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Deutschland, wir haben ein Problem! Wer an die Digitalisierung denkt, dem fallen in unseren Breiten spontan Dänemark, Estland und neuerdings auch Tschechien als Pioniere ein. Die führende Industrienation Deutschland indes läuft Gefahr, digitales Entwicklungsland zu werden. So rangiert die Bundesrepublik beim E-Government in der EU auf Platz 26. Unter den Top-50 der Firmen weltweit, die Apps für Smartphones und Tablets entwickeln, findet sich kein einziges deutsches Unternehmen. Das Land tut sich schwer mit dem digitalen Umbruch – aus vielen Gründen. Eine aktuelle Erhebung der Friedrich Ebert Stiftung geht den Erwartungen und Ängsten nach, mit denen die Bevölkerung der Digitalisierung begegnet.
Wie stehen die Deutschen zur Digitalisierung? Die Befragung durch das Online-Erhebungsinstitut Civey zeichnet ein uneinheitliches Meinungsbild. Die Hälfte der Teilnehmer ist zuversichtlich, doch die Skeptiker und Unentschiedenen sind zusammen genommen mehr. Lediglich eine knappe Hälfte (46 %) verspricht sich eine bessere Zukunft von der Digitalisierung, glaubt, dass damit zentrale gesellschaftliche Problemlösungen angestoßen werden. Ein Drittel (34 %) verneint diese Annahme, 20 Prozent sind unentschieden. Deutlich positiver (68 %) wird die technologische Entwicklung der vergangenen zehn Jahre beurteilt. Zusammengefasst heißt das: Die Zustimmung der Deutschen zu bereits etablierten Technologien wie etwa Computer und Onlineplattformen ist deutlich höher als zu Zukunftsvisionen wie Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos und Internet der Dinge.
Die Zukunftsskepsis ausgerechnet im Land der Ingenieure und Erfinder dürfte mit der sozialen Verunsicherung im Gefolge der Digitalisierung zu tun haben. Viele Umfrageteilnehmer nehmen die Digitalisierung als Macht- und Verteilungsfrage wahr, konstatieren die Wissenschaftler: „Rund 50 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die fortschreitende Digitalisierung mit wachsender Einkommensungleichheit einhergehen wird.“ Überdies treibt viele Menschen (37 %) die Sorge um, durch die rasanten digitalen Veränderungen abgehängt zu werden. Bereits im Alter ab 40 Jahren nimmt diese Befürchtung deutlich zu und korreliert zudem mit geringer beruflicher Qualifikation.
In welchen persönlichen Bereichen bringen die digitalen Technologien den größten Nutzen und Fortschritt? Für 31 Prozent der Befragten bei Unterhaltung und Entertainment und für rund 22 Prozent bei der Organisation ihres Alltags (Handy, Computer). Es folgen die Produktivität der eigenen Arbeit (13 %) und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (11 %). „Während also ein großer Teil den deutlichsten Fortschritt bei Unterhaltung und Alltag wahrnimmt, sieht nur ein kleiner Teil vorteilhafte Veränderungen durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt“, schlussfolgern die Wissenschaftler.
Zwar werden die Zukunftsverheißungen der digitalisierten Arbeitswelt gering geschätzt, die Risiken aber auch nicht dämonisiert. „Eine flächendeckende Verunsicherung, durch Digitalisierung den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, zeigt sich in den Befragungsergebnissen nicht“, stellen die Autoren fest. Nur 16 Prozent der Umfrageteilnehmer befürchten das. Dieser Befund überrascht angesichts der oben festgestellten sozialen Verunsicherung. Die Zuversicht, der eigene Arbeitsplatz sei sicher, gründet sich vor allem auf den Glauben an die eigene Qualifikation, zum kleineren Teil auch auf betriebliche Weiterbildungsangebote. Viele Beschäftigte schätzen auch die persönliche Flexibilität etwa durch Tele-Konferenzen und Home Office, weil sie dadurch ihr Privatleben besser organisieren können. Ein zentrales Mitarbeiter-Anliegen ist mehr Mitbestimmung bei Fragen digitaler Technik am Arbeitsplatz.
Die Frage, wer die Digitalisierung vorantreibt und damit in unser aller Alltag eingreift, zielt auf einen höchst kritischen Punkt der gesellschaftlichen Diskussion. Fast 60 Prozent der Befragten schreiben Internetriesen wie Google, Facebook und Amazon den größten Einfluss zu, nur acht Prozent dem Staat und sieben Prozent mittelständischen Unternehmen. Kein Zufall, damit korrespondiert eine verbreitete Sorge: Fast 80 Prozent sehen ihre privaten Daten trotz des gesetzlichen Datenschutzes nicht ausreichend vor dem Zugriff durch Privatfirmen geschützt, eine klare Mehrheit (72 %) stört sich an der Datensammelwut der Internetkonzerne.
Die Bürger erheben laut Studie einen deutlichen Anspruch: Allen voran der Staat solle den großen Internetkonzernen „auf jeden Fall“ Grenzen setzen (67 %) und die Digitalisierung stärker gestalten (35 %). Handlungsbedarf sehen die Befragten bei der effektiven Besteuerung und Regulierung der Digitalkonzerne, der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer sowie bei einem gestärkten Verbraucher- und Datenschutz.
Der Report enthält sich weiterführender Überlegungen, dabei liegt eine Schlussfolgerung nahe: Viele Menschen in Deutschland tun sich schwer mit den Verheißungen des digitalen Fortschritts. Der ungestüme Gründergeist im Silicon Valley und in den Metropolen Asiens will sich beim einstigen industriellen Musterschüler nicht einstellen. Doch eine Mehrheit hat die Bedeutung des tiefgreifenden Wandels erkannt, der Wirtschaft und Gesellschaft durchschüttelt. Es liegt an der Politik, die Skepsis der Bürger ernst zu nehmen und sie durch eine aktive, sozialverträgliche Steuerung der Digitalisierung in die Lage zu versetzen, zukünftige Herausforderungen mutig anzugehen.
Stefan Kirchner, Zeit für ein Update. Was die Menschen in Deutschland über Digitalisierung denken. Hg.: Friedrich Ebert Stiftung, 2019, 36 Seiten, Download
Digitisation. A quantitative and qualitative Market Research Elicitation. Hg.: PwC Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, 2018, 8 Seiten, Download
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