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Angesichts eines wachsenden Bedarfs steht dem Pflegesystem ein enormer Kraftakt bevor. Geht es nach der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen“ (BAGSO), ist eine umfassende Neukonzeption der Pflege angesichts dieser Entwicklung unausweichlich. Die vor drei Jahrzehnten eingeführte Pflegeversicherung sei ungeachtet von Reformen und Reformversuchen an ihre Grenzen gekommen, heißt es in einem aktuellen Positionspapier. Darin beschreibt die BAGSO, wie eine zukunftsorientierte Versorgungsstruktur ihrer Vorstellung nach aussehen könnte.
Im Mittelpunkt des Positionspapiers steht die Situation älterer Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf. Zugleich richten die Autor*innen ihr Augenmerk auf Aktivitäten zur Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation, die dazu beitragen, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zumindest zu verzögern.
Laut Statistischem Bundesamt waren am Ende des Jahres 2021 fast fünf Millionen Menschen in Deutschland als pflegebedürftig im Sinne des SGB XI registriert. Im Jahr 2030 werden es voraussichtlich sechs Millionen sein. In den Jahren bis 2045 wird die Versorgungslage noch schwieriger, weil die Generation der Babyboomer ein Alter von 75 bis 90 Jahre erreicht, erklärt die BAGSO.
Als Grund dafür, dass die Nachfrage nach Betreuungs- und Pflegediensten und das verfügbare Angebot weiter auseinanderdriften, benennen die Autor*innen vor allem den Personalmangel sowie eine unzureichende Refinanzierung durch die Pflegeversicherung.
Ausdrücklich thematisiert werden zudem die körperlichen und psychischen Belastungen, denen pflegende Angehörigen oftmals ausgesetzt sind. Das Positionspapier verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie des Sozialverbandes VdK Deutschland, wonach mehr als ein Drittel aller befragten Angehörigen erklärt hat, die Pflege nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht mehr leisten zu können.
Umso mehr kritisiert die BAGSO, dass das Angebot an örtlichen Begegnungsstätten sowie Informations- und Beratungsstellen nicht ausreiche. Es existiere zwar eine gesetzliche Regelung (§ 71 SGB XII), die jedoch nicht angemessen umgesetzt werde. Dieses Defizit sei fatal, da gerade solche Leistungen dazu beitragen könnten, gesundheitliche Risiken frühzeitig zu identifizieren und gegenzusteuern.
Im Bereich der Pflegeberatung (§ 7a SBG XI) liegt dem Positionspapier zufolge ebenfalls vieles im Argen. Eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure*innen führt nach Ansicht der BAGSO dazu, dass die Zielgruppe das Angebot nicht durchschauen kann. Auch die unterschiedliche Beratungsqualität wird als Problem erachtet.
Die Autor*innen erinnern daran, dass die 1995 eingeführte Pflegeversicherung die Steuerungskompetenz der Kommunen zugunsten der Bundesländer deutlich eingeschränkt habe. Zwar habe es seitens des Bundes und der Länder zwar einige Bestrebungen gegeben, den Kommunen erneut einen aktiveren Part zuzuweisen. Aber: „Eine verbindliche Pflegebedarfsplanung oder eine integrierte Altenhilfe- und Pflegeplanung auf kommunaler Ebene, die regelmäßig aktualisiert wird und als Grundlage für konkrete Maßnahmen dient, ist die Ausnahme und nicht die Regel.“ Kommunen benötigen dafür einen gesetzlichen Auftrag und eine angemessene Finanzierung, sagt die BAGSO-Vorsitzende Dr. Regina Görner.
Bei ihren Forderungen und Empfehlungen beziehen sich die Autor*innen des Papiers ausdrücklich auf den Siebten Altenbericht der Bundesregierung, der 2016 erschienen ist. Darin wird dem Quartiersansatz ein hoher Stellenwert zuerkannt. „Sorge und Pflege“ sollten entsprechend lokal und somit sozialraumbezogen sowie sektorenübergreifend organisiert werden.
Damit sei jedoch nicht gemeint, dass die Kommunen selbst Träger von Pflege- und Sozialeinrichtungen sein müssten, fügt die BAGSO klärend hinzu. Deren wichtigste Aufgabe bestehe vielmehr darin, ein bedarfsorientiertes Angebot sicherzustellen, Vernetzungsarbeit zu leisten sowie Koordinierungs-, Kontroll- und Evaluationsaufgaben zu übernehmen. Zudem müssten präventive Angebote der Altenhilfe nach § 71 SGB XII ausgebaut werden, um eine selbstständige Lebensführung zu fördern und die Lebensqualität zu erhalten.
Die BAGSO spricht sich außerdem dafür aus, ein verpflichtendes und durch die Kommunen federführend koordiniertes Case- und Care-Management zu installieren. Präventive Hausbesuche, die regelmäßig und bedarfsbezogen durchgeführt werden, sollten ein wichtiger Bestandteil sein. Auf diese Weise könnten passende Unterstützungsbedarfe festgestellt und entsprechende individuelle Hilfepläne erstellt werden.
Neben der gezielten Unterstützung pflegender Angehöriger, etwa durch die Einführung einer Familienpflegezeit und eines Familienpflegegeldes, setzt sich die BAGSO unter anderem dafür ein, die professionelle Pflege zu stärken. Dazu gehört die Empfehlung, das Zusammenspiel von Pflege und Medizin zu optimieren, da es bei der Versorgung pflegebedürftiger Menschen gleichermaßen auf Pflegekompetenz wie auf medizinische Kompetenz ankomme.
Die Gesundheit zu fördern, auch im Falle bestehender Beeinträchtigungen, ist ein weiteres wichtiges Anliegen des Papiers. Verhaltensorientierte Ansätze stehen ebenso im Fokus wie Möglichkeiten einer aktivierenden Umweltgestaltung.
Gleichzeitig müsse die Hospiz- und Palliativversorgung gestärkt werden, sind die Autor*innen überzeugt und weisen auf ein im Dezember 2019 erschienenes Positionspapier der BAGSO hin. Daraus geht zum einen hervor, dass es ratsam sei, die Endlichkeit des Lebens zu akzeptieren und Berührungsängste im Umgang mit Sterbenden zu überwinden. Zum anderen werden Politik und Medizin dazu aufgefordert, Angebote zur Palliativ- und Hospizversorgung flächendeckend auszubauen.
BAGSO: Sorge und Pflege: Neue Strukturen in kommunaler Verantwortung, Download
Weiterführende Informationen
www.bagso.de/spezial/aktuelles/detailansicht/sorge-und-pflege-in-kommunale-verantwortung-geben/
alle abgerufen am 06.10.2023
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