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Siedler Verlag München, 2022, 336 Seiten, 24 Euro
Spenden für die Ukraine, fleischlose Ernährung, Verzicht auf Urlaubsflugreisen - was die globalen Krisen von uns fordern, ist längst kein Insiderwissen mehr. Und an Gelegenheiten zu uneigennützigen Taten und Verhaltensänderungen mangelt es wahrlich nicht. Trotzdem drängt sich für Armin Falk der befremdende Eindruck auf, dass es uns schwerfällt, das Richtige nicht nur zu erkennen, sondern auch zu tun. Viele entscheiden sich lieber für den eigenen Vorteil und gegen das Gemeinwohl. „Wir halten uns für deutlich besser als wir eigentlich sind“, stellt der renommierte Bonner Wirtschaftswissenschaftler fest. „Warum ist es so schwer, ein guter Mensch zu sein“ fragt Armin Falk und hat erforscht, was ethischem Verhalten im Weg steht und eine bessere Welt verhindert.
Tagtäglich gilt es, sich neu zu entscheiden: Sind wir bereit für Bedürftige zu spenden? Endlich auf den etwas teureren, klimafreundlichen Ökostrom umzustellen? Bei Regen umständlich mit Bus und Bahn zu fahren oder sich beim Straßenfest uneigennützig zu engagieren. Für Armin Falk, Leiter des Instituts für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (brig) in Bonn, ringt permanent das Gute mit dem Eigennützigen in uns – und längst nicht so oft, wie wir glauben, gewinnt das Gute die Oberhand. Auf Anhieb würde sich die meisten Menschen vermutlich trotzdem ein charakterlich einwandfreies Zeugnis ausstellen.
Eine Warnung vorab: Sollten sie sich für ein im Grunde anständiges Geschöpf, also einen „guten Menschen“ halten, so werden sie nach der Lektüre feststellen: Leider ein Irrtum. Armin Falk greift all die menschlichen Wahrnehmungsverschiebungen, die kleinlichen Lügen und Selbstbetrügereien auf, mit denen wir uns das eigene gute Image zurechtschmeicheln. Wir vergessen zu erwähnen, dass wir ein klimaschädliches spritfressendes Auto fahren, geben stattdessen lieber damit an, regelmäßig für den Tierschutz zu spenden, einen Organspende-Ausweis zu haben und die alte Nachbarin im Seniorenheim zu besuchen. Der Verhaltensökonom macht bei der Lektüre mit der verstörenden Einsicht vertraut, dass sich ein kritischer Blick auf das eigene Selbstbild lohnt. In der Regel sind die meisten Menschen meilenweit davon entfernt, sich ständig anständig und richtig und gut zu verhalten. Trotzdem seien sie deswegen nicht per se schlechte Menschen.
Armin Falk, der als einer der weltweit renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler gilt, will keineswegs besserwisserisch oder gar anklagend mit dem Finger auf andere zeigen. Ziel seiner Forschung sei vielmehr besser zu verstehen, weshalb wir uns für oder gegen prosoziales Handeln entscheiden. Es interessiert ihn, ob sich jemand seinen Werten entsprechend verhält. Oder eben nicht. Nur dann lassen sich die Dinge seiner Meinung nach ein bisschen zum Besseren wenden. Oder anders ausgedrückt: Es ist deshalb so schwer ein guter Mensch zu sein, „weil uns prosoziales oder altruistisches Verhalten etwas kostet“, so Armin Falk in der Süddeutschen Zeitung (SZ). „Wenn ich jemandem Gutes tue, also den Nutzen für ihn erhöhe, steht das in einem Spannungsverhältnis zu den Kosten, die mir dadurch entstehen. Dabei kann es sich um Geld handeln, etwa, wenn ich für Geflüchtete aus der Ukraine oder für Obdachlose spende. Aber auch um Zeit, Aufmerksamkeit und jede andere Form von Engagement. Wäre Altruismus kostenlos zu haben, sähen wir ihn viel häufiger.“
Verhaltensökonomen wie Armin Falk testen mit Experimenten die Gründe altruistischen Verhaltens. Sie kreieren einen „fundamentalen Zielkonflikt“, wie der Autor es nennt, um herauszufinden, ob Menschen sich für die gute oder schlechte Seite entscheiden. Dazu gehören Versuchsanordnungen, die den Zielkonflikt zwischen Nutzen und Kosten widerspiegeln. Aufwendig erforscht der Wissenschaftler beispielsweise, ob Menschen bereit sind, anderen Schmerzen zuzufügen, wenn sie dafür Geld bekommen. Oder ob jemand bereit ist, für ein fremdes krebskrankes Kind zu spenden. Dabei bezieht der Forscher auch psychologische Erkenntnisse mit ein, um so ein realistischeres Menschenbild zu gewinnen. „Unser Befund, dass die Menschen Kosten und Nutzen abwägen, ist eine Interpretation. Was hirnphysiologisch wirklich passiert, wissen wir einfach nicht“, so Armin Falk in der SZ. Im Kern geht es wohl um die Frage, wie Reflexe, Emotionen und Verstand zusammenwirken, wenn es gilt, eine Entscheidung zu treffen – und wie sich das beeinflussen lässt.
Armin Falk hat den Gossen- Preis und den Yrjö- Jahnsson-Preis, also den wichtigsten Ökonomen-Preis in Deutschland und den wichtigsten in Europa erhalten – und wurde 2009 mit dem Leibniz-Preis, dem »deutschen Nobelpreis«ausgezeichnet. Schon in seiner Familie in Bergisch Gladbach habe man bei Tisch viel über Ungleichheit, soziale Gerechtigkeit und Fairness diskutiert, erzählt Falk in der FAZ. Die Eltern, beide Chemiker, waren beide politisch engagiert. Seine Mutter half türkischen Frauen mit Integrationskursen, machte Hausaufgabenhilfe für benachteiligte Kinder. „Die Frage nach dem richtigen Leben hat mich viel beschäftigt."
Aufsehen erregte im Frühjahr 2012 Falks Experiment mit den Mäusen in der Bonner Beethovenhalle. Mehrere hundert Studenten sollten entscheiden, ob sie für ein paar Euro echte Mäuse töten würden. Der Ökonom und seine Ko-Autorin interpretierten die Ergebnisse so, dass „der Markt“ die Moral erodieren lasse – eine Erkenntnis, die sich für Armin Falk bis heute durchzieht. Andere Verhaltensökonomen kritisierten zwar diese plakative Zuspitzung. Später untersuchte der Bonner Forscher, ob Versuchspersonen mehr Mäuse töten lassen, wenn sie in eine Situation gebracht werden, wo sie ihre Intelligenz unter Beweis stellen sollen: Je besser sie beim IQ-Test abschnitten, desto höher die Todesgefahr für die Mäuse. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass solche Forschung viel Aufsehen und Widerstand erregte. Naivität und Idealismus wurden Falk vorgeworfen. Fehler in seiner Forschung fand laut SZ aber keiner.
Das Böse entsteht für den Autor interessanterweise auch deshalb, „weil wir viele kleine gute Dinge tun“. Dieser seltsame Widerspruch entsteht dadurch, dass wir häufig nur deshalb Gutes tun, „damit wir selbst und andere ein gutes Bild von uns bekommen. Dabei geben wir uns schnell mit kleinen, symbolischen Wohltaten zufrieden, die letztendlich gar nichts bewirken“, so Armin Falk in der SZ. „Wenn ich zwanzig Kilo Grillfleisch kaufe, was dem Klima enorm schadet, und in den Öko-Jutebeutel packe, kann ich mich vor mir und anderen als umweltbewusst darstellen, blende das eigentliche Problem aber aus. Mit diesem Trick gaukele ich mir vor, ich wäre ein guter Mensch und hätte mich anständig verhalten.“
Der preisgekrönte Ökonom tendiert dazu, Emotionen als Störfaktor für vernünftiges
Entscheiden zu halten. Er fordert: „Wir sollten mehr denken als fühlen.“ Damit besonders viel moralisches Verhalten entsteht, muss sich für den Wirtschaftswissenschaftler letztendlich der Mensch selber als entscheidend oder als ausschlaggebend erleben, ganz gleich, ob es um die Klimakrise oder die Energiekrise geht. Beschränkte Rationalität macht uns dagegen beeinflussbar und manipulierbar.
„Wir lieben Geschichten, die dafür sorgen, dass wir die Vorteile des egoistischen Verhaltens genießen und gleichzeitig die Handlungsfolgen verschleiern. Wenn es etwa heißt, der Klimawandel sei gar nicht menschengemacht. Oder: Niemand kann das von mir erwarten., so Falk in „Der Zeit“. Besser sei, Entscheidungsstrukturen so gestalten, dass der Einzelne sich als verantwortlich erlebt, schreibt der Autor. Oder bei den Konsumenten ein Verständnis über die Handlungsfolgen wecken. Hier spielen für Armin Falk Produktinformationen und Labels eine Riesenrolle.
Armin Falk hat mehrere Kinder, auch ein Mädchen von gut einem Jahr, dem das Buch mit gewidmet ist. Gefragt von der SZ, worauf der Familienvater bei seiner Entwicklung achte, sagte er: „Ich würde mich freuen, wenn sich Luise zu einem selbstbestimmten, freien, fröhlichen Menschen entwickelt. Aus der Forschung weiß ich, dass die Eltern dabei eine gewisse Rolle spielen. Das Lernen geht aber in beide Richtungen. Weil Kinder unser Verhalten teilweise imitieren, erinnern sie uns daran, dass wir uns gut verhalten sollten. Insofern könnt Luise mir helfen, ein besserer Mensch zu werden.“
In „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“ geht es vor allem um individuelles menschliches (Fehl-)Verhalten. Erst wenn Einsicht und Freiwilligkeit nicht weiterhelfen, so der Autor, muss reguliert werden. Viele Erkenntnisse des Verhaltensökonomen mögen unangenehm sein, sind aber tröstlich: Weil sie eine Art „Ertappt-Gefühl“ hervorrufen und die Einsicht, viele Menschen sind durch die vielen Stolperfallen genauso überfordert wie man selbst. Armin Falks lesenswerte Botschaft: Verstehen, was uns daran hindert, sich anständig und richtig zu verhalten, ist das A-und-O für Verhaltensänderungen. Dazu gehört über moralische Stolperfallen aufzuklären oder Menschen besser über die Folgen ihres Handelns zu informieren. Etwa durch Labels: Warum nicht jedes Produkt mit dem CO2-Fußabdruck kennzeichnen?
Weiterführende Links:
Deutschlandfunk Kultur, 18.06.2022
Süddeutsche Zeitung, 24.06.2022
Die Zeit,06.05.2022
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