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Soviel Pflege war noch nie: im Koalitionsvertrag, bei Gesundheitsminister Spahn und bei Bundeskanzlerin Merkel sowieso. Nicht genug für Yvonne Falckner (43). Die Politik löse keines der drängenden Pflege-Probleme und auf die Medien sei kein Verlass, meint die gelernte Krankenschwester und Pflege-Dozentin aus Berlin. Höchste Zeit, dass Pflegeprofis selbst ihrem Beruf eine Stimme geben und für ihre Anliegen auf die Bühne gehen – mutig, kreativ, selbstbewusst. Vorhang auf zum deutschlandweit einzigen CareSlam!
Beim CareSlam tragen Alten-, Kinder- und Krankenpflegerinnen eigene Gedichte und Storys aus ihrem Berufsalltag vor. „Grundgedanke ist die Schaffung eines geschützten künstlerischen Raums für Menschen aus den vielfältigen Bereichen der Pflege. Hier haben sie die Möglichkeit, die Sprach- und Ausdruckslosigkeit der Pflege zu überwinden“, erklärt Yvonne Falckner, Gründerin und künstlerische Leiterin des Rezitationsevents. Anders als die verbreiteten Poetry Slams ist er kein Wettbewerb. Es zählt das Zusammenwirken als Team, das einen thematisch stimmigen Abend auf die Bühne bringt. „Hauptanliegen ist die Sensibilisierung der Gesellschaft und die Ermächtigung der Pflegenden.“
Der Weg in die Öffentlichkeit fällt manchem nicht leicht. So wie Beatrix Langenecker (44). Die examinierte Krankenpflegerin arbeitet seit zehn Jahren auf der onkologischen Station des Ortenau-Klinikums in Offenburg. Schon lange treiben sie die bedrückenden Erfahrungen ihres Arbeitsalltags um und rühren an ihrem professionellen Selbstverständnis: Dauerstress, wenig persönliche Zeit für Patienten, ausgebrannte Kolleginnen, die dem Beruf den Rücken kehren. Auf Empfehlung eines Freundes nahm Langenecker 2017 den Kontakt zu Yvonne Falckner auf. „Sie ermutigte mich, gab mir Tipps“, erinnert sich die Pflegerin. „Doch mir fehlte der Mut, ich befürchtete, vor Publikum knallrot zu werden.“ Wenig später platzte der Knoten. Innerhalb weniger Tage schrieb sich Langenecker den täglichen Wahnsinn des Pflegealltags von der Seele. Im vergangenen Herbst stand sie auf der Bühne in Berlin – mit dem atemlosen Protokoll einer Neun-Stunden-Schicht.
Ein verstorbener Patient gleich zu Schichtbeginn, vier Fachkräfte für 44 Patienten, Sparzwang, Schmerzmittel, Visite, Evaluation. „Ärger, Anflug von Verzweiflung“, heißt es in dem Bericht mit dem Refrain: „Schlucke runter. Halte aus. Bin stark. Bleibe ruhig.“ Am Ende ihrer zehnminütigen Rezitation erhielt Langenecker viel Zuspruch aus dem Publikum und daheim von Kollegen und Freunden.
Für die Pflegerin war dies Antrieb genug, um im Frühjahr zum zweiten Mal beim CareSlam aufzutreten. „Diese Erfahrung hat mich sicherer gemacht und hilft mir bei der Verarbeitung meiner Eindrücke. Seither schreibe ich regelmäßig auf, was mich bewegt“, berichtet Beatrix Langenecker. Doch es geht ihr nicht nur darum, selbst besser klarzukommen. Sie möchte auch zur Verbesserung der Pflegesituation für die Patienten und Beschäftigten beitragen. „Wir müssen selbst aktiv werden, damit sich endlich etwas tut!“
Das sehen viele Teilnehmer des CareSlam ebenso. Als Falckner die Veranstaltung 2015 aus der Taufe hob, konnte sie persönlich auf mehrere Qualifikationen zurückgreifen. Zuallererst auf eine fundierte Ausbildung als Krankenschwester in einer psychiatrischen Landesklinik. „In der psychiatrischen Pflege muss man immer wieder untypische Strategien einschlagen, um Lösungen zu finden.“ Hinzu kamen Erfahrungen aus der Arbeit mit Jugendlichen in der Berufsvorbereitung, insbesondere das Theaterspiel zur Förderung der individuellen Ausdrucksfähigkeit. Schließlich ist da die Zusammenarbeit mit dem Fotografen und Videofilmer Thorsten Strasas. Seine ästhetische Bildsprache stellt den kongenialen Brückenschlag zwischen Darstellern und Publikum her und gibt den Betrachtenden die Möglichkeit zur Korrektur von Fremd- und Eigenzuschreibungen.
Womit ein zentrales Anliegen des CareSlam angesprochen ist: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft Pflegefachkräfte sagen: ,Ich bin nur die Pflegerin’, ohne zu reflektieren, wie dicht sie am Menschen dran sind“, beklagt Falckner. „Wir müssen der Gesellschaft und der Politik unser Wissen nachdrücklich kommunizieren.“ Die Frau, die ihren Pflegeberuf konsequent mit der Theaterarbeit verbindet, ist selbst immer wieder beeindruckt, welche Energien auf der Bühne freigesetzt werden. „Das gibt einerseits Hoffnung, weil uns bewusst wird, welche großartigen Menschen in der Pflege arbeiten. Andererseits erfüllte es auch mit Trauer, wie die Gesellschaft zu ihrem eigenen Schaden mit diesen Menschen umgeht.“
Pflegenotstand gibt es überall – den Ruf nach bühnenreifen Artikulationsformen auch. Seit der Gründung findet der CareSlam alle drei Monate im Kulturhaus Alte Feuerwache in Berlin-Friedrichshain statt. Hinzu kommen Gastauftritte, zum Beispiel in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“. „Wir haben immer wieder Anfragen, den CareSlam auch in anderen Städten unter unserer Regie abzuhalten“, sagt Falckner, „zurzeit laufen dazu Verhandlungen.“ Für Berlin sind dieses Jahr noch zwei weitere Veranstaltungen geplant, die nächste am 6. Oktober.
Mehr Infos:
www.careslam.org
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