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Droemer 2018, 310 Seiten, Hardcover, 22,99 €, ISBN: 978-3-426-27735-5
Yascha Mounk ist einer der führenden Analysten zur Krise der liberalen Demokratie und erforscht als kritischer Beobachter die Populismus-Trends weltweit. Er lebt seit 2005 in New York, lehrt politische Theorie und vergleichende Politik an der Harvard University und leitet das Tony Blair Institute for Global Change in London. Und er schreibt: unter anderem für die New York Times, die ZEIT und die FAZ. Nach gut einem Jahr Donald Trump ist für den in Deutschland geborenen Sohn polnischer Eltern klarer denn je: Trumps Wahl zum US-Präsidenten war ein schwarzer Tag für die liberale Demokratie. In seinem neuen Buch schlägt der Politikwissenschaftler die Brücke von Amerika zu den Rechtspopulisten in Europa und spricht vom Zerfall der Demokratie.
Yascha Mounk sorgte jüngst mit einem Interview bei den ARD-Tagethemen (20.02.2018) für erheblichen Wirbel: Es ging es um den politischen Wandel in Deutschland. Beim Thema Migration wollte Caren Miosga von dem Politologen wissen, weshalb das Vertrauen in die Regierung geschwunden sei. Der Wissenschaftler von der Harvard University nannte als einen Grund, „dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar, eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln. Das kann klappen. Es wird, glaube ich, auch klappen. Aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen.“ Schaut man sich das ganze Interview an, steht Yascha Mounks Aussage im Kontext von Populismus weltweit. Eine These, die er in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“ ausführlich erläutert.
Yascha Mounk Aussage wurde kontrovers diskutiert. Schon 2015 äußerte er in einem Interview mit dem Spiegel identische Sätze, in dem er den Prozess des Bevölkerungsaustausches, wie er es nennt, explizit mit der „Flüchtlingskrise" in Verbindung setzte. Für Yascha Mounk ist es kein Zufall, dass insbesondere in West- und Osteuropa, in Australien und in Teilen von Asien die Demokratien so stabil wurden: Sie sind immer monoethnisch und monokulturell begründet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland für Yascha Mounk so homogen wie nie zuvor und hat erst in den letzten 50, 60 Jahren viel Einwanderung erlebt. In Deutschland leben mittlerweile etwa 18,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, was 22,5 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. „Wenn ein Politiker anfängt zu sagen, nur ich spreche für das Volk, und jeder der gegen mich steht, der ist illoyal, der ist ein Verräter – das ist für mich einer der gefährlichsten Punkte des Populismus. Weil das genau zeigt, dass Politiker und Parteien die Opposition für nicht mehr legitim halten“, erläutert Yascha Mounk im Gespräch mit unserer Autorin. „Es macht mir große Sorge, dass in europäischen Ländern mittlerweile Politiker und Parteien sehr viel Macht haben, die sehr ähnlich klingen, wie Victor Orban es vor 6, 7 Jahren tat.“
„In den kommenden Jahren geht es um nichts weniger als um das Überleben der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, schreibt Yascha Mounk. Für ihn ist der Aufstieg von Donald Trump bei dieser Entwicklung von allergrößter Bedeutung. Ein instinktgetriebener Autokrat regiere die älteste und mächtigste Demokratie der Welt, ohne erkennbare Strategie, was er mit der Macht in seinen Händen anfangen soll. Der US-Präsident agiert für den Harvard-Politologen „wie ein amateurhafter Clown, der keinerlei Grenzen akzeptiert“. Trump wolle unabhängige demokratische Institutionen, die sich ihm in den Weg stellen, am liebsten zerschlagen. Noch hätten sich die rechtsstaatlichen Institutionen gut bewährt, aber es mehrten sich die Verstöße gegen die Idee der Gewaltenteilung.
Ist Trump ein Wirrkopf, der nach Gutdünken regiert? Oder ein gefährlicher Autokrat, der die amerikanische Demokratie schwer schädigen kann? „Beides stimmt“, sagt Yascha Mounk. Für den Wissenschaftler ist die Wahl eines Präsidenten, der unverhohlen die Grundwerte des Rechtsstaates missachtet, der schockierende Ausdruck einer Krise der liberalen Demokratie weltweit. Der deutsche Autor erlebt die Gesellschaft in Amerika und Europa zutiefst gespalten und diese Polarisierung macht ihm Angst. Holten vor zwei Jahrzehnten die Populisten in Europa etwa acht Prozent der Stimmen, sind es mittlerweile 25 Prozent.
„Wir sehen, dass Rechtspopulisten in Ungarn, Polen und der Türkei oder in vielen Ländern wie Lateinamerika und Asien jetzt an der Macht sind. Wir sehen auch das Erstarken von Linkspopulisten in Venezuela, Griechenland und Spanien“, erläutert Mounk. „Trump ist nur das absurdeste, schockierendste, interessanteste Beispiel für diese viel größere Entwicklung. Populismus bedeutet, dem Volk nach dem Mund zu reden, aber gleichzeitig den Rechtsstaat zu untergraben und irgendwann freie und faire Wahlen abzuschaffen.“
Bis vor kurzem betrachteten Politikwissenschaftler wie Yascha Mounk liberale Demokratien in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder den USA als unumstößlich, nicht zuletzt weil diese Länder relativ wohlhabend sind. Inzwischen haben autoritäre Populisten überall auf der Welt Zulauf, stürmen politische Neulinge die Bühne. Für den Autor vollziehen sich rund um die Welt zwei scheinbar gegensätzliche Entwicklungen: Einerseits verlören die Wählerinnen und Wähler die Geduld mit unabhängigen Institutionen und seien immer weniger bereit, die Rechte von ethnischen und religiösen Minderheiten zu akzeptieren. Anderseits gewännen die Eliten immer mehr Kontrolle über das politische System und schotteten sich von der öffentlichen Meinung ab.
Zahlen belegen: Seit 1985 haben die Leute nicht mehr das Gefühl, dass es ihnen viel besser geht als ihren Eltern. „Wir wissen nicht, wie sich Demokratie unter solchen Umständen verhält, es gibt keine historischen Präzedenzfälle.“ Die Weltsicht der Populisten nährt sich für Mounk aus zwei politische Sehnsüchte: Erstens: Nach einem sogenannten starken, ehrlichen Anführer, der den Willen des Volkes umzusetzen versucht. Zweitens: Niemand darf ihn aufhalten. Weg mit Gerichten, Opposition oder kritischen Medien. In Russland und in der Türkei sei es bereits gelungen, junge Demokratien in Diktaturen mit dünnem demokratischem Anspruch zu verwandeln. In Polen und Ungarn agierten populistische Regierungschefs nach ähnlichem Muster. Für den Autor zerfällt die einzigartige demokratische Mischung aus den Rechten des Individuums und dem Willen des Volkes. „Die dramatische Lage ist so neu und beängstigend, dass sich noch niemand einen echten Reim darauf machen kann“, schreibt der Politologe.
Länder, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, müssen für Mounk „ihre Identität langsam umstellen und begreifen, dass man Demokratie auch multiethnisch begründen kann“. Für den Politologen ist das ein „historisch einzigartiges Experiment. Niemand weiß, ob es funktionieren wird“. Der Autor zeigt auf, dass man lernen muss, mit bestehenden populistischen Regierungen umzugehen und zu leben. Dass man eine multiethnische Gesellschaft am besten aufbauen kann, wenn man sich zu den Nationalstaaten bekennt, auf inklusiver Basis, wie er es nennt. „Wir sind stolz Deutsche zu sein, Italiener zu sein. Aber wir müssen lernen, dass jemand aus Asien oder Afrika mit einer anderen Religion auch ein echter Deutscher, ein echter Italiener oder ein echter Franzose sein kann.“
Der 1982 in München geborene und aufgewachsene Autor gehört einer neuen Generation von politischen Beobachtern an. In seiner Analyse verzichtet Yascha Mounk auf jede Form von Vorhersagen. Sein Buch ist vielmehr Zwischenbilanz, Schadensbesichtigung und eine Art Reparaturanleitung. Um das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, plädiert das ehemalige SPD-Mitglied dafür, den Glauben an die Demokratie zu erneuern. Gemeint ist, Werte und Errungenschaften dieser Regierungsform von einer Generation an die nächste zu vermitteln, zum Beispiel in Schulen das Fach Staatskunde einzuführen. Yascha Mounk ist voriges Jahr ganz bewusst amerikanischer Staatsbürger geworden, weil das Land für ihn geradezu prädestiniert ist, eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen, die mehr das Gemeinsame als das Trennende betont. Der Politologe nennt es inklusiven Patriotismus und inklusiven Nationalismus.
Weitere Informationen:
Tagesthemen vom 20.02.2018, ab Minute 26:25
RP Online: "Bekämpft den Nationalismus nicht, sondern bändigt ihn!"
Deutschlandfunk Kultur: Der Prophet des Untergangs der Demokratie
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