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Skypen mit dem Enkel, Video-Sprechstunde beim Arzt, Einkaufen im Online-Shop – die Digitalisierung bietet älteren Menschen große Chancen. Landauf, landab zielen zahlreiche Initiativen darauf ab, die Seniorengeneration für die digitale Teilhabe zu befähigen. Eine Bremer Studie räumt jedoch mit einigem Wunschdenken auf: Beliebte Angebote wie etwa Digitalbotschafter und Internettreffs greifen zu kurz und lassen wichtige Problemgruppen unberücksichtigt. Die Unterstützung muss präziser auf die Zielgruppe ausgerichtet werden und verursacht weit mehr Aufwand und Kosten als gemeinhin angenommen.
Die Studie des Instituts für Informationsmanagement der Universität Bremen (ifib) zur „Internetnutzung älterer Menschen“ ist laut dem Autor und Informatik-Professor Herbert Kubicek die mit mehr als 11.300 Befragten größte Stichprobe zum Thema in der Generation 60plus. Sie legt den Fokus auf Bremen und Bremerhaven, versteht sich jedoch größtenteils als bundesweit relevant.
Die ältere Generation ist gefährdet, in die „digitale Alterslücke“ zu geraten und von digitaler Teilhabe ausgeschlossen zu werden: In der Altersgruppe von 70 bis 75 Jahren war die Hälfte der Menschen noch nie im Internet; insgesamt nutzen immer noch deutlich weniger Angehörige der älteren als der jüngeren Generation digitale Medien, führt die Studie an.
Trotz anspruchsvoller Projekte gibt es noch keine validen Erkenntnisse zu nachweislich wirksamen Maßnahmen digitaler Inklusion. Unbestritten sind Einflussfaktoren wie Alter, Bildung und Einkommen, die jedoch in späten Jahren nicht mehr beeinflussbar sind. Übrig bleibt die Förderung von Medienkompetenz als Weiterbildung, etwa durch Lern- und Trainingsangebote, Beratungs-Hotlines und Senioren-Treffs.
Die Studie geht ausführlich der Frage nach, warum diese per se sinnvollen Angebote nicht mehr Ältere erreichen. Ein erster Hinweis liegt in persönlichen Hemmnissen, nämlich mangelnden Deutschkenntnissen (55 % der Offliner), eingeschränkter Mobilität (59 %), schlechtem Gedächtnis (80 %) und zunehmendem Pflegegrad (47 % bei Pflegegrad 1). Eine negative Korrelation zur Internetnutzung besteht auch bei Sozialleistungsempfängern und Heimbewohnern.
Die zweite Antwort führt schlicht zum Desinteresse an Internet, WhatsApp & Co. Den befragten Offlinern reichen die klassischen Medien aus (73 %), sie verlassen sich auf Kinder und Bekannte mit Internetzugang (64 %) und haben alles in allem nicht das Gefühl, auf etwas Wichtiges zu verzichten. Manche Offliner können sich aber auch vorstellen, zu Onlinern zu werden, wenn sie Dinge des täglichen Bedarfs nicht mehr in ihrem Stadtteil erledigen können oder wenn ihnen jemand zeigt, wie die Anwendung funktioniert.
Neben Nichtnutzern benötigen auch die Nutzer digitaler Dienste Unterstützung, da ihre Kompetenzen oft begrenzt sind. Nur die Hälfte der Onliner im Alter 60 plus nutzt alle Angebote ohne Hilfe, ein Viertel bekommt gelegentliche Hilfe. Zum Beispiel können elf Prozent Fotos nicht als E-Mail-Anhang versenden. Wenn sie niemanden in ihrer Nähe haben, der ihnen dabei hilft, wünschen sie sich je nach Thema Hausbesuche, eine Telefon-Hotline oder Sprechstunde. „Vielfach wird noch angenommen, die Förderung digitaler Kompetenzen sei ein einmaliges großes Programm, das ähnlich wie aktuell beim Impfen alle, auch die Älteren, einmal durchlaufen sollten und dann sei die digitale Teilhabe aller gewährleistet. (…) Vielmehr handelt es sich um eine permanente Aufgabe für mindestens die Hälfte der älteren Bevölkerung.“ Das gilt umso mehr angesichts ständiger technischer Innovationen.
Bis hierhin wird deutlich, dass die derzeitigen Fördermaßnahmen an den Offlinern vorbeigehen und bei Onlinern nicht den tatsächlichen Unterstützungsbedarf abdecken. Was also sollte getan werden, um die Desinteressierten, Skeptiker und Verweigerer zu überzeugen und eine Kompetenzerweiterung für Onliner vorzuhalten?
Als vorbildlich empfiehlt Kubicek die Ausweitung des vom Bund geförderten Projekts „Digitale Engel“, bei dem ein Expertenteam mit dem Bus auf Marktplätze und zu Begegnungsstätten fährt, um Älteren digitale Anwendungen zu demonstrieren. Weiterhin könnten Haupt- und Ehrenamtliche in Altenhilfe und ambulanter Pflege zu vertrauenswürdigen Digitalbotschaftern qualifiziert werden. Digitales Unterstützungspotenzial sollte durchgängig im Quartiersmanagement, in Bürgertreffs und Bibliotheken verankert sein, also überall dort, wo sich alte Menschen im Alltag bewegen. Da die meisten Onliner ihre Kompetenzen im familiären Kontext erwerben, könnte dieser Personenkreis durch gezielte Anleitungen zusätzlich motiviert werden. Eine Vielzahl weiterer Maßnahmen ergänzt den Katalog: die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen, Hilfen für die digitale Grundausstattung, Angebote für Wohn- und Pflegeheime.
Insgesamt ergibt sich die Notwendigkeit eines qualitativen und quantitativen Ausbaus der Unterstützungsangebote entlang der Nutzungsbiografien, empfiehlt der Autor. Dabei, so kann man sagen, ist er von der Devise „klotzen statt kleckern“ geleitet. Das vollmundige Versprechen von Politiker*innen, niemanden bei der Digitalisierung zurückzulassen, konfrontiert die Studie beispielhaft mit einer Hochrechnung für alle Onliner in Bremen. Heraus kommt ein jährlicher Bedarf von 10.000 bis 70.000 Hausbesuchen, 6.600 bis 69.000 Hotline-Anrufen und 5.000 bis 25.000 Digital-Sprechstunden: „Weiß die Politik, was so etwas kostet und welchen organisatorischen Aufwand es dafür bedarf?“
Um die digitale Alterslücke zu schließen, sollten Träger, Politik und Verwaltung das Digitalangebot für Ältere schrittweise ausbauen. Ein Baustein seien strukturelle Anpassungen der Altenhilfe. Die große Zahl erforderlicher Hausbesuche könne nicht alleine mit ehrenamtlichen Kräften bewältigt werden, sondern sollte in die ambulante Pflege und aufsuchende Altenhilfe integriert werden.
Herbert Kubicek, Internetnutzung älterer Menschen in Bremen und Bremerhaven. Ergebnisse und Schlussfolgerungen einer Bevölkerungsumfrage 2021, Hg: Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib) an der Universität Bremen, 2022, 151 Seiten
Das Projekt wird vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat als Open Government Labor gefördert.
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