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Nach der Reform ist vor der Reform. Das gilt auch für das neue Gemeinnützigkeitsrecht. Die nach langem Ringen beschlossene Novellierung mit dem Jahressteuergesetz 2020 gilt als großer Wurf: mit steuerrechtlichen Anpassungen, neuen gemeinnützigen Zwecken und Vereinfachungen in der Zusammenarbeit gemeinnütziger Rechtsträger. Im August 2020 wurde der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) an die neue Gesetzeslage angepasst. Aber bereits diesen Januar führten ungeklärt gebliebene und durch die Reform neu entstandene Diskussionspunkte zu weiteren Änderungen. Das Gespräch der Trendinfo-Redaktion mit den auf das Gemeinnützigkeitsrecht spezialisierten Rechtsanwälten Thomas von Holt und Dr. Rafael Hörmann richtet den Fokus auf die wichtigsten Neuerungen und ihre Konsequenzen für Träger im Non-Profit-Bereich.
Thomas von Holt: Zuerst musste die Finanzverwaltung die im Jahr 2020 in Kraft getretene umfangreiche Gemeinnützigkeitsreform letztes Jahr in den AEAO einarbeiten. Da sie die Reform zunächst im AEAO nur sehr zurückhaltend umsetzte – in der Fachwelt kursierte sogar die pointierte Einstufung als „Nichtanwendungserlass“ – gab es erhebliche Unruhe in der Fachwelt und bei den Betroffenen. Daraufhin hat die Finanzverwaltung Anfang diesen Jahres nachgebessert und zugleich Regelungen zu einigen offen gebliebene Streitfragen wie dem zulässigen Umfang politischer Betätigung mit eingearbeitet.
Dr. Rafael Hörmann: Hervorzuheben ist die begrüßenswerte Klarstellung zur Quotenberechnung „Pro Kopf“ bei Inklusionszweckbetrieben. Dabei müssen für die Steuervergünstigung mindestens 40 Prozent der Beschäftigten des Inklusionsbetriebs schwerbehindert oder diesen gleichgestellte Menschen sein. Zuvor war die Zählweise der Personen nicht exakt vorgegeben. Da schwerbehinderte Menschen bereits ab zwölf Wochenstunden als „Kopf“ zu qualifizieren sind, ist die Quote jetzt einfacher zu erreichen. Weiter ist die problematische Formulierung zu politischen Betätigungen durch gemeinnützige Organisationen zu nennen.
Drittens sind die restriktiven Vorgaben zu gemeinnützigen Kooperationen zu erwähnen. Hier wurden die Hoffnungen der Fachwelt und Betroffenen leider enttäuscht, denn auch die jetzt nachjustierte Formulierung des AEAO legt weiterhin den Gesetzeswortlaut zu eng aus.
Von Holt: Zwar wird den gemeinnützigen Rechtsträgern zutreffend eine den politischen Parteien vergleichbare Tätigkeit untersagt. Auch ist nicht zu beanstanden, dass die politische Bildung keinen indoktrinierenden Charakter haben darf. Leider wurde jetzt aber in den AEAO eine sehr missverständliche Formulierung aufgenommen, wonach bereits eine auf die Erfüllung der Satzungszwecke gerichtete politische Betätigung in den Hintergrund treten muss. Das eröffnet der Finanzverwaltung Angriffspunkte gegenüber „unbequemen“ zivilgesellschaftlichen Organisationen. In der Praxis ist daher mit einer sehr uneinheitlichen Handhabung zu rechnen.
Dr. Hörmann: Leider wurden Kooperationen durch die neueste Änderung des AEAO im Vergleich zu der im letzten Jahr von der Fachwelt und den Betroffenen heftig kritisierten Regelung nur in sehr geringem Umfang erleichtert, auch wenn diese geringfügigen Erleichterungen zu begrüßen sind. Soweit ein Verbund vorliegt, ist es nunmehr ausreichend, wenn er als Kooperationspartner in der Satzung einer Servicegesellschaft genannt wird, um ihr den Gemeinnützigkeitsstatus zu ermöglichen. Ergänzend ist es für die Finanzverwaltung ausreichend, wenn eine Liste der gemeinnützigen Verbandmitglieder eingereicht wird. Weiterhin ist dieses Verständnis des Gesetzeswortlauts zu eng. Dem Gesetz ist die Notwendigkeit der Namensnennung von Kooperationspartner nicht zu entnehmen.
Von Holt: Längerfristig betrachtet haben wir abwechselnd Phasen vermehrter gemeinnützigkeitsrechtlicher Restriktionen und solche mit einer hohen Wertschätzung des Gemeinnützigkeitsrechts. Sicher befördert durch die beiden letzten großen Krisen – Flüchtlingskrise und Corona – hat das Gemeinnützigkeitsrecht jetzt wieder eine zunehmende Wertschätzung erfahren, übrigens auch beim Europäischen Gerichtshof. Vielleicht setzt sich allmählich doch die Erkenntnis durch, dass ein effizientes Gemeinnützigkeitsrecht für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unverzichtbar ist. Jedenfalls wurden mit den letzten Reformen viele Hemmnisse beseitigt, die sinnvolles und kostensparendes gemeinnütziges Handeln verhinderten. Wir erfahren also eine deutliche und angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen unverzichtbare Aufwertung des Gemeinnützigkeitsrechts.
Dr. Hörmann: Vor allem die Verwaltungsansicht zur Nennung aller Kooperationspartner von gemeinnützigen Servicegesellschaft in der Satzung bzw. einer laufend zu aktualisierenden Aufstellung bedarf eines Umdenkens, da die aktuelle Formulierung für die Praxis der Zusammenarbeit von gemeinnützigen Organisationen nur sehr eingeschränkt tauglich ist.
Weiter anpassungsbedürftig auf gesetzlicher Basis bleibt das gesetzliche Sanktionssystem im Gemeinnützigkeitsrecht. Grundsätzlich ist jeder Gesetzesverstoß geeignet, zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit zu führen. Die Rechtsprechung unterscheidet mittlerweile zwischen Bagatell- und schwerwiegenden Verstößen. Die genaue Grenze ist aber weiterhin unklar. Neben solchen Grenzen wäre die Einführung von Bußgeldvorschriften oder einer partiellen Besteuerung begrüßenswert, um die Gemeinnützigkeit nicht wegen Bagatellverstößen zu gefährden.
Zuletzt wäre eine Klärung der gesetzlichen Anforderungen an die Mittelverwendung im Ausland sinnvoll, insbesondere unter der aktuellen Entwicklung in Ost-Europa und der dazugehörigen Flüchtlingssituation.
Thomas von Holt ist Rechtsanwalt und Steuerberater in Bonn, Dr. Rafael Hörmann ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner der Kanzlei Campbell Hörmann in München. Beide sind Fachexperten für Recht und Steuerrecht von Nonprofit-Organisationen und haben langjährige Erfahrung in der Beratung von gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Körperschaften.
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