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Wer etwas über Gesundheit und Krankheit wissen möchte, kann seinen Arzt oder Apotheker fragen. Natürlich auch das Internet oder einschlägige Zeitschriften und Bücher. Informationen also in Hülle und Fülle. Doch wie steht es tatsächlich um die Gesundheitskompetenz der Deutschen? Dazu liegen derzeit mehrere Studien vor: Gemäß einer Untersuchung der Universität Bielefeld ist das Gesundheitswissen der Bevölkerung schlecht und hat sich in jüngster Vergangenheit sogar noch verschlechtert. Eine AOK-Erhebung untersucht speziell den Zustand der digitalen Gesundheitskompetenz, die Stiftung Gesundheit geht dem Zusammenhang von sozialer Lage und Gesundheitsbewusstsein auf den Grund.
Das Thema zielt auf einen tiefgreifenden Wandel der Patientenrolle. Entscheidungen in Gesundheitsfragen werden nicht mehr ausschließlich vom Arzt oder der Ärztin entschieden, sondern sind Teil des Informations- und Entscheidungsprozesses zusammen mit Patient*innen und Therapeut*innen, Pflegenden und Angehörigen. Patient*innen sind dabei idealerweise Experten in eigener Sache. Sie benötigen Wissen über Krankheiten und Behandlungsformen sowie die Fähigkeit, relevante Informationen aufzufinden und einzuordnen und sich zum eigenen Nutzen im Gesundheitssystem zu bewegen.
Deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung (58,8 %) verfügt über geringe Gesundheitskompetenz, fand die Studie der Universität Bielefeld heraus. Sie stellt Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung für die vergangenen sieben Jahre einer Vorgängerstudie von 2014 gegenüber. Im fraglichen Zeitraum habe sich der Wert sogar noch verschlechtert (2014: 54 %), stellt Studienleiterin Professorin Dr. Doris
Schaeffer fest. Das gelte für die drei untersuchten großen Kompetenzbereiche – Krankheitsbewältigung/Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung. Probleme bereiten vor allem die Bewältigung der Informationsfülle sowie die Identifizierung von Falschinformationen. Große Teile der Bevölkerung seien nicht ausreichend vorbereitet, Gesundheitsrisiken richtig einzuschätzen und im Alltag umzusetzen.
Ein leichter Kompetenzanstieg ist indes für die Corona-Pandemie festzustellen, ergab eine Zusatzbefragung im Herbst 2020. „Am Beispiel der Coronapandemie wird sichtbar, dass umfangreiche, verständliche und wiederholte Gesundheitsinformationen sich rasch auf die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung auswirken.“
Auch bei der digitalen Gesundheitskompetenz sieht es nicht besser aus. Die entsprechende AOK-Studie befragte 8.500 Bürger*innen zwischen 18 und 75 Jahren, wie gut sie digitale Gesundheitsinformationen auffinden, verstehen, bewerten und für sich nutzen können. Jedem zweiten Befragten (52,4 %) fällt demnach der Umgang mit solchen Informationen und Angeboten schwer. Mehr als die Hälfte der Befragten verfügt nur über eine eingeschränkte digitale Gesundheitskompetenz. Knapp der Hälfte (48,4 %) fällt es schwer, die Zuverlässigkeit einer Info zu bewerten; große Verunsicherung herrscht in der Beurteilung dahinter stehender kommerzieller Interessen.
Ansonsten gilt: Frauen und Menschen mit höherem Einkommen und besserer Bildung haben tendenziell eine stärker ausgeprägte digitale Kompetenz, Personen mit guter Gesundheit eher als Personen mit mittelmäßigem bis sehr schlechtem Gesundheitszustand.
Wie eng Gesundheitskompetenz und sozialer Status zusammenhängen, erforscht die Stiftung Gesundheitswissen in ihrer aktuellen Studie. „Der Grad der Gesundheitskompetenz wirkt sich demnach direkt auf die individuelle Gesundheit aus und hat zudem Folgen für unser Gesundheitswesen“, führt Vorsitzender Ralf Suhr aus. Keine neue Einsicht, aber immer wieder aktuell, zeigt die repräsentative Befragung von 1.255 Deutschen über 16 Jahren: bei der positiven Beurteilung des eigenen Gesundheitszustands (75 % der Menschen mit einem hohen sozioökonomischen Status vs. 49 % der Menschen mit niedrigem Status), bei der Fähigkeit, Gesundheitsinformationen leicht aufzufinden (86 vs. 63 %), der Wertschätzung von gesunder Ernährung und Sport (77 vs. 60%; 60 vs. 31 %) und beim Vorliegen chronischer Erkrankungen (33 vs. 54 %). Bei Gesundheitsfragen gehe ein Riss durch Deutschland, konstatiert die Analyse, mit weitreichenden Konsequenzen für das Zurechtfinden im Gesundheitssystem und für die Prävention. Als „bedenklich“ gilt das in den vergangenen fünf Jahren allgemein zurückgegangene Vertrauen in die gesundheitsbezogene Selbstwirksamkeit (von 46 auf 35 %), in besonderem Maße bei Menschen mit geringem Status.
Es hapert merklich an der Gesundheitskompetenz der Deutschen, darin sind sich die drei Studien einig. Vor allem komme es auf die Entwicklung zielgruppengerechter Angebote an, welche die gesundheitsbezogene Teilhabe vor allem für vulnerable Gruppen verbessere (Menschen mit niedrigem Bildungs- oder Sozialstatus, Ältere, Chroniker).
Die Corona-Pandemie habe deutlich gemacht, wie wichtig die individuelle Fähigkeit sei, rasch und kompetent auf Angebote des öffentlichen Gesundheitssystems zurückzugreifen und vorausschauend das eigene Verhalten anzupassen, unterstreicht die Bielefelder Studie.
Leichter Zugang und Verständlichkeit, Abbau von Barrieren, das schließt natürlich auch den digitalen Bereich ein. Die digitale Vermittlung von Angeboten werde künftig eine Schlüsselrolle einnehmen, vor allem bei der Überwindung der Kluft von „wissen“ und „umsetzen“, merkt die Studie der Stiftung Gesundheitswissen an.
Die Verantwortlichen der AOK sehen sich mit ihrem „Gesundheitsnavigator“ einen praktischen Schritt weiter: ein laienverständliches Suchportal zu Gesundheitsfragen. Ein weitergehender Schritt sind die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), auch als Gesundheits-Apps auf Rezept bezeichnet (z. B. Online-Coching, Impfkalender, Diabetes-Tagebuch).
Nicht zuletzt geht es um die schon häufig angesprochenen Defizite in der Interaktion mit Ärzt*innen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung findet es schwer, Fachbegriffe zu verstehen oder ausreichend Gesprächszeit zu bekommen – eine Herausforderung für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen, aber auch direkt für das Kommunikationsverhalten mit den Patient*innen.
Doris Schaeffer / Eva-Maria Berens / Klaus Hurrelmann u. a.,
Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie. Ergebnisse des HLS-GER 2,
Universität Bielefeld und Hertie School Berlin, Berlin 2021, 126 Seiten, Download
Kai Kolpatzik / Matthias Mohrmann / Hajo Zeeb (Hrsg.), Digitale Gesundheitskompetenz in Deutschland, Berlin 2020, 23 Seiten, Download
Stiftung Gesundheitswissen (Hrsg.), Gesundheitsbericht 2020, Statussymbol Gesundheit, Neue Studiendaten u. a. zum Einfluss des sozialen Status‘ auf Gesundheit, Prävention und das Informationsverhalten, Berlin 2021, 13 Seiten, Download
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