Suche
Im internationalen Vergleich ist Deutschland gut durch die erste Corona-Welle im Frühjahr 2020 gekommen. Allerdings wurde dieser Vorteil mit unnötig teuren und wenig zielgerichteten Maßnahmen erkauft, argumentiert eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung: mit Freihaltepauschalen in Milliardenhöhe für zehntausende leerstehende Klinikbetten und der Verschiebung planbarer Operationen bei kaum abschätzbaren Gesundheitsrisiken. Ein „deutscher Sonderweg“ der Corona-Bewältigung, der im Ländervergleich nicht glänzt und nach einer Reform des hiesigen Krankenhaussystems ruft, so das harsche Urteil der Autor*innen.
„Was kann Deutschland aus der Corona-Bewältigung anderer Länder lernen?“ – mit dieser Leitfrage blickt die Studie auf die Krankenhaussysteme in Schweden, Dänemark, Spanien und Israel. Die Untersuchung wertet die erste Corona-Welle aus und wurde Ende Februar 2021 veröffentlicht.
Deutschland ging im OECD-Vergleich mit einem Spitzenbestand an Kliniken, Krankenhausbetten und Intensivkapazitäten in die Pandemie: mit 8,0 Betten pro 1.000 Einwohner (2018), gegenüber Israel, Spanien (je 3,0), Dänemark (2,4) und Schweden (2,1). Eine ähnliche Spannweite zeigte sich bei den Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern: Deutschland 33,9; Israel 10,3; Spanien 9,7; Dänemark 7,8 und Schweden 5,2.
Trotz der vielen Häuser und Betten zahlte die Bundesregierung den Kliniken in der ersten Pandemiewelle knapp neun Milliarden Euro an Freihaltepauschalen, was faktisch mehr als 300 Häuser aus der Versorgung herausnahm, rechnet die Studie vor. Qualitative Anforderungen, wie etwa eine Eignung für die Versorgung von COVID-19-Patient*innen, wurden nicht gestellt. „Kein anderes Land der Welt gab mehr Geld dafür aus, dass Krankenhäuser ihre Betten leer stehen ließen.“
Tatsächlich wurden 90 Prozent der Corona-Patient*innen ambulant versorgt. Lediglich schwere, vor allem beatmungspflichtige Fälle kamen in stationäre Behandlung, und zwar in großen, spezialisierten Häusern. Dieses Vorgehen sei medizinisch richtig, aber nicht das Ergebnis einer systematischen Krankenhausplanung gewesen. „Die Krise zeigte gnadenlos die Schwächen in der deutschen Krankenhauslandschaft auf“, urteilen die Wissenschaftler*innen. Diese verorten sie
Die dynamische Anpassung vorhandener Kapazitäten an einen schwer vorhersehbaren Bedarf ist das A und O jeder Pandemiebekämpfung. Die Vergleichsländer Schweden, Dänemark und Israel mit zentraler Steuerung und Koordination schnitten hier besser ab als Deutschland und Spanien, so das Urteil der Wissenschaftler*innen.
Schweden verfügt seit 2001 über ein aktuelles Register der Intensivkapazitäten in seinen 21 Regionen und erfüllte bereits vor Krisenbeginn die digitalen Anforderungen der OECD zur Bewältigung der Pandemie. Dänemark konnte seine veraltete Datenbasis zur Intensivversorgung zu Beginn der Pandemie rasch aktualisieren, Israel zog im Juli 2020 nach. In allen drei Ländern gelang es jeweils kurzfristig, planbare Operationen und wachsende Intensivkapazitäten flexibel aufeinander abzustimmen. In Spanien mit seinem stark dezentralen Gesundheitssystem waren aktuelle Kapazitätsdaten nur „mit deutlichem Zeitverzug“ und auf nationaler Ebene lückenhaft verfügbar.
Auch in Deutschland fehlte anfangs ein Überblick über die aktuellen Ressourcen im Krankenhaussektor. Erst Mitte April 2020 hatten alle Krankenhäuser die Anzahl der verfügbaren und belegten Intensivbetten an das kurzfristig neu eingerichtete DIVI-Intensivregister weitergeleitet. Anders als in Dänemark und Schweden fehlt hierzulande bis heute ein datengestützter Überblick über die Klinikkapazitäten jenseits der Intensivmedizin. „Eine bedarfsgerechte Ressourcensteuerung ist damit in Deutschland kaum möglich – nicht nur im Regelbetrieb, sondern auch in der kurzfristigen Reaktion auf weitere Pandemiewellen.“
Der Mangel an qualifiziertem Personal erwies sich in allen untersuchten Ländern als Engpass der Pandemiebekämpfung. Häufig mussten Pflegekäfte aus anderen Abteilungen kurzfristig geschult werden, manchmal blieben Intensivplätze aufgrund des Personalmangels auch ungenutzt. Der Mangel an geeigneter Schutzkleidung – und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko – verstärkte stellenweise den Personalmangel. So lag der Anteil des Gesundheitspersonals in Spanien an allen COVID-19-Infizierten bei 24,1 Prozent, in Deutschland bei nur 5,2 Prozent.
Alle fünf Länder waren bestrebt, schwere COVID-19-Fälle vorrangig in Krankenhäusern zu behandeln und leicht erkrankte Menschen ambulant zu versorgen. Gleichwohl war die Hospitalisierungsrate von Land zu Land sehr unterschiedlich, vermerkt die Studie. Sie reichte während der ersten Corona-Welle von 13 Prozent in Deutschland bis zu 55 Prozent in Spanien. Am konsequentesten achteten Dänemark und Schweden darauf, dass Kontakte mit medizinischem Personal möglichst digital oder telefonisch erfolgten, um weiteren Ansteckungen vorzubeugen. „Dabei profitierten beide Länder von der bereits seit vielen Jahren erfolgreich praktizierten Nutzung digitaler Möglichkeiten für Kontakte zwischen Kranken und dem Gesundheitssystem.“
Zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems gegen außergewöhnliche Herausforderungen wie eine Pandemie empfiehlt die Studie folgende Maßnahmen:
Mirella Cacace, Krankenhausstrukturen und Steuerung der Kapazitäten in der Corona-Pandemie. Ein Ländervergleich, Bertelsmann Stiftung, 2021, 108 Seiten (Studie)
Download
Jan Böckem / Uwe K. Preusker, Reaktionsfähigkeit von Kliniken. Was kann Deutschland aus der Corona-Bewältigung anderer Länder lernen? Bertelsmann Stiftung, 2021, 8 Seiten (Kurzfassung)
Management
„Fehlentwicklungen frühzeitig identifizieren“
Gesundheitswesen
Was Deutschland aus der Corona-Bewältigung lernen kann
Arbeitswelt
Mobbing: Immer schön kuschen und Leistung bringen?
Gesellschaft
Wie Corona das Land spaltet und einen kann
Gesundheit
Gesundheitskompetenz: Befund schlecht, Heilung möglich
Pflege
Soziale Brücke ins Quartier
Buchempfehlung
Jutta Allmendinger: Es geht nur gemeinsam
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail