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Aufgerieben im beruflichen Alltag, freudlos, die seelischen Batterien leer. Dazu körperliche Signale wie Schlaflosigkeit und Gliederschmerzen – Erschöpfung und Burnout ist in den sozialen Berufen ein großes Thema. Eine Studie der Hochschule Fulda und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi präsentiert jetzt einen alarmierenden Befund: „Das Burnout-Risiko der Beschäftigten ist extrem hoch. In allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit besteht eine höchstmögliche berufliche Erschöpfung.“
Schon im vergangenen Jahr enthüllte eine bundesweite AOK-Untersuchung das auffallend hohe Burnout-Risiko in der Alten- und Krankenpflege. Beschäftigte dieser Bereiche sind demnach fast doppelt so häufig betroffen wie Angehörige anderer Berufe; der Anteil psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit Burnout stieg seit 2012 um mehr als 15 Prozent.
Jetzt legt die Studie „Professionelle Krise nach Corona? Steuerungsbedarf in der Sozialen Arbeit nach der Pandemie (CriCo)“ mit ersten Ergebnissen nach: Der Report blickt auf die weitgefächerte Dienstleistungsbranche der Sozialen Arbeit, darunter Kindertageseinrichtungen, Behindertenhilfe, Jugendämter, Ganztagsschulen, Wohnungslosenhilfe, Migration und Asyl. Die nun dritte Studie seit Pandemiebeginn liefert einen erkenntnisreichen Längsschnitt für die Coronajahre, 8.200 Teilnehmer*innen wurden dazu im November 2022 befragt.
Die Wahrnehmung sich verschlechternder Arbeitsbedingungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Angaben der Befragten. „Deutlich wird in unserer Studie, dass die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit emotional extrem erschöpft sind und eine nachlassende Leistungsfähigkeit wahrnehmen“, bilanziert Prof. Dr. Nikolaus Meyer (Hochschule Fulda). Rund 60 Prozent der Teilnehmer*innen gaben an, dass sie regelmäßig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen, 81 Prozent bemerkten seit Pandemiebeginn eine nachteilige Veränderung ihres Arbeitsalltags – beispielsweise nicht eingehaltene Pausenzeiten, zusätzliche Arbeitsstunden und weniger direkte Kontakte etwa in Kitas und Jugendämtern zu Erziehungsberechtigen und Jugendlichen.
„Die Beschäftigten agieren wie ein Puffer“, beschreibt Meyer. „Sie werden zerrieben zwischen den Anforderungen der Organisationen, der steigenden Zahl unterstützungsbedürftiger Personen, der Ausweitung von Problemlagen gerade auch während der Corona-Pandemie und den eigenen hohen Leistungserwartungen.“
Hauptursache dieser Missstände ist der Personalmangel in der Sozialen Arbeit. So fehlen laut einer Verdi-Erhebung alleine in den Kindertagesstätten 175.000 Fachkräfte (2021). Hohe Fluktuation, Mehrarbeit, Flucht in die Teilzeit sowie Abwanderung aus dem Beruf sind gängige Folgen. Mehr als 77 Prozent der Studienteilnehmer*innen rechnen damit, nicht bis zur Rente arbeiten zu können, bei den Kindertagesstätten sind es sogar 86,5 Prozent. Das weit zurückreichende Versäumnis, die Ausbildungskapazitäten der Fach- und Hochschulen dem wachsenden Fachkräftebedarf anzupassen, lässt keine schnelle Problemlösung erwarten.
Die Verschlechterungen im Arbeitsalltag machen Soziale Arbeit unattraktiv und verschärfen so den Personalmangel. Diese berufliche Realität belastet aber nicht nur die Beschäftigten, sie treffen auch die Hilfsbedürftigen und schließlich die Gesellschaft insgesamt. Verdi-Expertin und Ko-Autorin Dr. Elke Alsago spricht von „einer ernsten Versorgungskrise“ in der Sozialen Arbeit: „Viele Kommunen mussten bei ihren Kitas die Öffnungszeiten reduzieren. Die Eltern können nur noch Teilzeit arbeiten. Sozialarbeiter*innen in den Jugendämtern wissen nicht mehr, wo sie die Kinder, die sie in Obhut genommen haben, unterbringen sollen“, erklärt sie den Ernst der Lage. Und verweist auf die Bedeutung Sozialer Arbeit als expandierendem Sektor für die Gesellschaft, weil schließlich auch die Problemlagen in unserer Gesellschaft zunähmen.
Angesichts der kritischen Versorgungslage empfiehlt Alsago „eine klare Prioritätensetzung“ mit Einschränkung des Angebots. Eine bittere Ansage, die angesichts eingeschränkter Sprech-, Beratungs- und Betreuungszeiten in zahlreichen sozialen Einrichtungen bereits Realität ist.
Dem stehen Bemühungen gegenüber, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um der Erschöpfung und dem Burnout vorzubeugen. Hierzu gehört etwa die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) mit Angeboten zum Stressmanagement, zu gesunder Ernährung und Bewegung, zur besseren Gestaltung von Schichtplänen und zur Führungskultur. Diskutiert werden auch der verstärkte Einsatz von Digitaltechnologien zur Entlastung von Beschäftigten, vorausgesetzt, dass sie eine echte Hilfe bei der Bewältigung des Arbeitsalltags bieten und nicht zur weiterhin belastenden Effizienzsteigerung eingesetzt werden.
Von zentraler Bedeutung dürfte sein, der Sozialen Arbeit vermehrt Anerkennung und Wertschätzung zukommen zu lassen. Hier gibt es viel zu tun: Mehr Fort- und Weiterbildung, mehr Personal, mehr Mitbestimmung. Vor allem finanzielle Anreize erhöhen die Attraktivität der Berufsbilder, beugen der Abwanderung vor und bilden ein Instrument gegen Personalmangel. Folglich misst Elke Alsago den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst große Bedeutung zu: „Um die Beschäftigten durch einen guten Abschluss wenigstens von finanziellen Sorgen und Existenzängsten zu entlasten.“
Nikolaus Meyer / Elke Alsago, Professionelle Krise nach Corona? Steuerungsbedarf in der Sozialen Arbeit nach der Pandemie (CriCo). Abschließende Ergebnisse der Studie im März 2023, siehe Pressemeldung „Beschäftigte vor dem Burnout“
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fehlzeiten-Report 2021. Prävention stärken – Lehren aus der Pandemie, Download,
AOK Bundesverband, Pressemitteilung: Burnout-Risiko bei Pflegefachpersonen hoch, veröffentlicht am 23.8.2022
praktischArzt, Aktuelle Studie: Burnout bedroht das Gesundheitswesen, veröffentlicht am 24.5.2021
Katharina Kitze, Burnout.Grundlagen und Handlungswissen für soziale Berufe, Kohlhammer 2021, 192 Seiten
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