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Sie heißen „Essbare Siedlung“, „Lerngarten“ und „Garten der Begegnung“ – allesamt Gemeinschaftsgärten, in denen es nicht nur um Obst und Gemüse geht. Sie zeugen von der Lust, die Natur zurück in die Stadt zu holen und die Seele zu begrünen. Stadtgärtner pflanzen gerne gemeinschaftlich und sorgen dafür, dass sich um die Beete häufig auch Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Nachbarschaftsgestaltung und demokratische Teilhabe ranken. Alles hehre Ansprüche, doch ohne gemeinschaftliches Lernen funktioniert es nicht, besagt eine repräsentative Studie der Universität Halle-Wittenberg und der Fachhochschule Münster.
Es begann Mitte der 1990er-Jahre mit den Internationalen Gärten, wo Flüchtlinge unterschiedlicher Herkunftskulturen zum Harken, Pflanzen und Ernten zusammenkamen. Die Soziologin Christa Müller beschrieb diese innovativen Integrationsprojekte in ihrem vielbeachteten Buch „Wurzeln schlagen in der Fremde“. Inzwischen gedeihen bundesweit rund 700 Gemeinschaftsgärten. Je nach Schwerpunkt sind es Stadtteilgärten, Nachbarschaftsgärten, Selbsternteprojekte, Gesundheitsgärten und zunehmend auch mobile urbane Landwirtschaftsprojekte. Soziales Lernen sei ein viel zu wenig beackerter Aspekt dieser weiterhin wachsenden Bewegung des Urban Gardening, finden die Autorinnen.
Tatsächlich sind Wissenstransfer und kultureller Austausch wichtige Voraussetzungen zum Gelingen dieser sich oft experimentell verstehenden stadtökologischen Projekte. Sie sind, anders als der klassische Schrebergarten, von der Idee gemeinsamen Gärtnerns motiviert und werden häufig von äußerst heterogenen Teams getragen. Die Studie untersucht, welche Gruppen darin mit- und voneinander lernen, wie sie lernen und was sie lernen. Und was geschieht, wenn diese Gruppen zu bunt sind – verderben zu viele Gärtner die Ernte? Bundesweit 123 von 433 kontaktierten Gemeinschaftsgärten nahmen an der Untersuchung teil.
Die soziale Vielfalt der Stadtgesellschaft spiegelt sich auch in den Gemeinschaftsgärten wider. Laut Studie stellen Berufstätige, Familien und Studenten die größten Nutzergruppen dar, gefolgt von Rentnern, Flüchtlingen und Migranten sowie Arbeitslosen. Bei Alter und Einkommen stufen mehr als 50 Prozent der befragten Garteninitiativen ihre Heterogenität als „hoch“ und „sehr hoch“ ein, 47 Prozent beim kulturell-ethnischen Hintergrund ihrer Mitstreiter und 40 Prozent beim Bildungsstand. Fast die Hälfte der Gärten (48 %) meldet mehr Frauen als Männer, bei fünf Prozent ist es umgekehrt.
Wo derart verschiedenartige Menschen gemeinsam aktiv sind, gestalten sich auch Lernprozesse höchst vielgestaltig. Ganz weit oben steht das Learning by Doing: Alt und Jung, Alteingesessene und Zuwanderer, Grübler und Zupacker tauschen sich kreuz und quer über alles aus, was praktisches Gärtnern ausmacht. Hinzu kommen die Organisation von Finanzen, Vereinsstrukturen und Formen der Kooperation mit Akteuren im Quartier. So bietet mehr als die Hälfte der Stadtgärten Informations- und Bildungsveranstaltungen für Kindergärten, Schulen und interessierte Bürger an: vom biodynamischen Gemüseanbau über ökologische Stadtplanung bis zur klimagerechten Welternährung. Allesamt Bereiche, die mitunter hohen Aufwand der Problemlösung erfordern.
„Heterogenität kann soziale Kooperation erleichtern oder hemmen“, stellt die Untersuchung für die befragten Gemeinschaftsgärten fest. Dem Lern- und Integrationseffekt in den Initiativen und dem Zufluss innovativer Ideen für die Stadtgesellschaft steht auch Konfliktstoff gegenüber. Hohe Heterogenität insbesondere bei Bildungsstand und kulturellem Selbstverständnis beeinträchtigen laut Studie das soziale Lernen; auch bei Einkommen und Alter sollte sich keine Kluft auftun. Wie stark sich Heterogenität auswirkt, hängt auch von der Anzahl der Mitglieder ab, die bei den befragten Gärten von 8 bis mehr als 400 reichte.
Diese Erkenntnis überrascht nicht, gilt sie doch überall dort, wo kreative Vielfalt und Ergebnisorientierung zusammentreffen. Zwar sind Konflikte Teil des sozialen Lernens und daher nicht per se negativ zu beurteilen, legen die Autorinnen nahe. Allerdings bedürften sie moderierender Mechanismen, um das Gartenkollektiv nicht zu gefährden. Wo es gelingt, die Arbeits-, Mitwirkungs- und Entscheidungsprozesse im Gemeinschaftsgarten demokratisch zu organisieren, können sie als Impulsgeber für Bürgerbeteiligung und Integration in die Stadtgesellschaft hinwirken. Begegnung, Diskurs, Selbstwirksamkeit und Naturnähe sind wichtige Ressourcen der Projekte, an denen es in den fragmentierten Lebenswelten urbaner Menschen oft mangelt. Die Studie empfiehlt daher, das soziale Lernpotenzial von Gemeinschaftsgärten durch Ausweisung entsprechender Flächen bei der Stadtentwicklung zu würdigen.
Nicole Rogge / Insa Theesfeld / Carola Strassner, The potential of social learning in community gardens and the impact of community heterogeneity, in: Learning, Culture and Social Interaction, 2019, 13 Seiten, Download
Christa Müller (Hrsg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom-Verlag, München 2011, 350 Seiten ISBN 978-3-86581-244-5
Gartenmanifest – Hintergründe, Praxisanleitungen und Deutschlandkarte von Gemeinschaftsgärten beim Münchener Institut Anstiftung, https://anstiftung.de/urbane-gaerten
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