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Eltern beklagen oft, dass Kinder zu viel am Smartphone hängen. Dabei dürften sie sich ruhig einmal an die eigene Nase fassen: Schnell mal bei Facebook oder WhatsApp vorbeischauen ist für viele Erwachsene völlig normal. Alles in Gegenwart des eigenen Nachwuchses, beim Kinderwagenschieben, Essen oder bei der Schulfeier. Der ständige Blick aufs Smartphone oder andere Medien kann die Eltern-Kind-Beziehung stören, soviel ist bekannt. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) untersucht den Zusammenhang jetzt genauer. Demnach hängt es von Dauer und Zweck der Smartphone-Nutzung ab, ob das Bedürfnis der Kinder nach Kontakt und Nähe vernachlässigt wird.
„Ich hasse das Telefon meiner Mutter und ich wünschte, sie hätte nie eines gehabt“ – mit diesem aufrüttelnden Bekenntnis in ihrem Schulaufsatz trat eine Siebenjährige in den USA eine Diskussion um die medial bedingte Vernachlässigung von Kindern los. Sie empfand das Handy als größtes Hindernis im Kontakt mit ihrer Mutter. Hierzulande appellierte vor einigen Jahren eine Plakataktion an Eltern, das eigene Medienverhalten zu hinterfragen: „Sprechen Sie lieber mit ihrem Kind.“ Das Smartphone als ständiger Begleiter ist empirisch belegt: US-Mütter äußerten in Befragungen, ihre Facebook-Nutzung während der Erziehung erhöht zu haben. 94 Prozent tummeln sich während des Stillens oft in sozialen Netzwerken. In Deutschland greifen laut Umfrage 60 Prozent der Eltern während der Betreuung ihrer Kinder zum kleinen elektronischen Begleiter.
Belastbare Studien zur medial begleiteten Eltern-Kind-Kommunikation und ihrer Wirkung sind rar. Allein schon wegen der schmalen Datenbasis ändert das auch die vorliegende Erhebung nicht, sie liefert aber Anhaltspunkte. Dazu beobachteten die Forscherinnen 89 Mütter mit ihren Kindern auf 20 Spielplätzen in Stuttgart. Sie untersuchten, wie oft und wie lange die Mütter das Smartphone bedienten und während dieser Zeit mit dem Kind Kontakt hielten. „Behielt die Mutter ihr Kind im Blick oder bemerkte sie erst nach dem fünften Rufen, dass das Kind auf der Schaukel angestoßen werden möchte?“, lautete eine der Fragen.
Tatsächlich griff fast die Hälfte der beobachteten Mütter (48 %) zum Smartphone – während der zehnminütigen Beobachtungsdauer durchschnittlich 80 Sekunden lang. Die Hauptbeschäftigung bestand im Chatten mit Familie und Freunden, gefolgt von der Organisation des Alltags und der Erstellung von Fotos. Die Studie ergab, dass Mütter, die ihr Smartphone für längere Zeit nutzten, sich weniger einfühlsam gegenüber ihrem Kind verhielten: Sie waren von dessen Signalen abgelenkt, reagierten langsamer und weniger situationsbezogen. Dieser Befund ist eindeutig, dennoch wollen die Forscherinnen daraus keine unbewiesenen Schlussfolgerungen für die Beziehungsqualität in ihrer Gesamtheit ziehen.
Interessant ist auch die Beobachtung, dass häufigere, aber kurze Nutzungsereignisse die Aufmerksamkeit der Mütter nicht verschlechtern: Mal kurz zwischendurch aufs Handy schauen, scheint die Interaktionsqualität von Mutter und Kind nicht messbar nachteilig zu beeinflussen, soweit da nicht zur unbewussten Routine wird. Noch in einem weiteren Punkt warnt die Untersuchung vor voreiligen Schlüssen: Der Hauptzweck des Smartphone-Gebrauchs auf der Spielplatzbank, Kontaktpflege und Alltagsunterstützung, könne auch der emotionalen Entlastung der Mutter und ihrer Selbstorganisation (Terminanfrage beim Arzt) dienen und damit indirekt dem Kind zugute kommen.
Smartphones und moderne Medien, das ist und bleibt ein Reizthema. Schnell verengt sich das Thema auf smartphonesüchtige Eltern und auf Kinder, die bereits über das Display wischen, bevor sie sprechen können. Schon ist die Rede vom „Mom- und Dad-Shaming“, dem öffentlichen Anprangern von Eltern, deren Verhalten nicht dem Fingerzeig selbsternannter Erziehungsexperten folgt.
Doch viele Erzieher*innen, Lehrer*innen und Wissenschaftler*innen stimmen dem Grundtenor zu: Das Smartphone wird häufig reflexhaft und distanzlos genutzt, stört somit im Alltag und beeinträchtigt persönliche Beziehungen. Wenn Eltern viel Familienzeit mit Smartphone & Co. verbringen, kann sich das Verhältnis zum Nachwuchs verschlechtern, dann nehmen einer US-Studie zufolge Verhaltensauffälligkeiten zu. Forscher sprechen von „Technoferenzen“, wenn digitale Geräte den persönlichen Kontakt von Auge zu Auge beeinträchtigen.
Lara Wolfers, Leiterin vorliegender Studie, warnt hingegen vor „Eltern-Bashing“: „Die meisten Eltern benutzen das Smartphone in Gegenwart ihrer Kinder sehr reflektiert und konsumieren Inhalte, die wenig Konzentration benötigen.“ Das Smartphone biete hier mitunter einen Zugang zu Unterstützung. Insoweit gebe eine verantwortungsvolle Smartphone-Nutzung Flexibilität und Autonomie zurück und biete Kontakt zu Gleichaltrigen in einem sonst sehr isolierten Alltag. Die Dosis macht’s: Das Smartphone ist kein Monster, doch selbstaufgelegte Nutzerregelungen innerhalb der Familie helfen dabei, dass es in seiner Bedeutung als nützliche Helfer auch nicht überschätzt wird.
Lara N. Wolfers / Sophie Kitzmann / Sabine Sauer / Nina Sommer, Phone use while parenting: An observational study to assess the association of maternal sensitivity and smartphone use in a playground setting. Computers in Human Behavior, 2019
Online verfügbar unter https://doi.org/10.1016/j.chb.2019.08.013
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