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Eine wachsende Zahl der Menschen in Deutschland fühlt sich durch die vielfältigen Krisen verunsichert und reagiert mit Unverständnis auf die geforderten Veränderungsprozesse. Auch gegen die Maßnahmen zum Schutz des Klimas regt sich immer öfter Widerstand. Nur 20 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass es bei der Umsetzung der ökologischen Transformation gerecht zugeht. Aus diesem Anlass haben die Ökonomin Sara Holzmann von der Bertelsmann Stiftung und Dr. Ingo Wolf vom Forschungszentrum für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) erstmals die entstandenen Zielkonflikte aus der Perspektive der Bevölkerung untersucht. Gemeinsam raten sie dazu, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und fordern einen Klimaschutz mit sozialem Augenmaß.
Im Mittelpunkt stehen die Spannungs- und Konfliktfelder „Wohlstand und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“, „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“, „Verteilungsgerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt“ sowie „Kosten und Kostenentwicklung“. Als Grundlage wurden Befragungsdaten des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers der Energie- und Verkehrswende (SNB) verwendet, die aus der zweiten Projektphase von 2021 bis 2023 stammen.
Zunächst stellen Holzmann und Wolf in ihrer Studie klar: Ein großer Teil der Menschen in Deutschland spricht sich aufgrund des Klimawandels grundsätzlich dafür aus, Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz zu ergreifen. Als Beleg dient die neuste Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes. Danach empfinden 88 Prozent der Menschen den Klimawandel als sehr oder eher bedrohlich. 84 Prozent betrachten es als wichtige Aufgabe, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Anders sieht es jedoch aus, wenn es gilt, individuelle Bedürfnisse zugunsten des Klimaschutzes zurückzustellen. Zu den bekannten Beispielen zählt die Auseinandersetzung, die sich an der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes („Heizungsgesetz“) im Frühjahr und Sommer 2023 entzündete. Auch der Bau von Windkraftanlagen sorgt regelmäßig für Unmut. Somit wird der Protest immer dann laut, wenn der Klimaschutz „plötzlich im direkten Umfeld der Menschen – in ihrer Gemeinde, ihrem Haus, ihrer Garage oder auf ihrem Arbeitsweg – ankommt.“
Insbesondere in den sozialen und ökonomischen Lebensbereichen sind die Konflikte gewachsen. Knapp 40 Prozent der Bürger*innen fürchteten im Jahr 2023, dass die Energie- und Verkehrswende den Wohlstand und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands gefährden. Gegenüber dem Vorjahr sei dies ein Anstieg um 10 Prozentpunkte, stellt die Studie fest.
Im Jahr 2022 betrachteten 54,9 Prozent der Bürger*innen die Verteilung von Kosten und Nutzen energiepolitischer Maßnahmen als (eher) ungerecht. Nur acht Prozent bezeichneten diese als (eher) gerecht.
Mit der Verteilungsgerechtigkeit von verkehrspolitischen Maßnahmen gingen die befragten Bürger*innen noch härter ins Gericht. 58,4 Prozent fanden diese (eher) ungerecht. Lediglich 6,3 Prozent waren gegenteiliger Meinung.
Ein spezifischer Zielkonflikt bildete sich im Bereich des Arbeitsmarktes heraus. Für rund ein Viertel der Bürger*innen erschien es vorstellbar, dass der Verzicht auf fossile Energieträger im Zuge der Energiewende Arbeitsplätze kosten wird.
Entsprechende Bedenken waren im Bereich der Verkehrswende noch größer. Im Jahr 2022 rechneten 40 Prozent der Befragten damit, dass es in deren Folge zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt. Diese Skepsis resultiert der Studie zufolge aus dem hohen Stellenwert, den die deutsche Automobilindustrie bislang als Jobgarant innehatte. Allerdings zeigten sich regionale Unterschiede. Zudem fiel die Folgenbewertung vor allem in der Gruppe der Arbeiter*innen negativ aus.
Zwar halten die beiden Forschenden – trotz der „möglichen sektoralen oder regionalen Verwerfungen“ – einen zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften für sehr wahrscheinlich. Zugleich seien viele Klimaschutzmaßnahmen gerade für einkommensschwache Haushalte mit großen finanziellen Belastungen verbunden, räumen Holzmann und Wolf ein. Denn diese müssten für Nahrungsmittel, Energie oder Mobilität tiefer in die Tasche greifen.
Wie man die Folgen klimapolitischer Maßnahmen beurteilt, kann jedoch auch vom Wohnort abhängen. Ein prägnantes Beispiel für den Einfluss räumlicher Dimensionen findet sich beim Konflikt zwischen gesellschaftlichem Zusammenhalt und der Verkehrswende. Wie die Studie darlegt, ist die Sorge vor einer sozialen Spaltung im Zuge der Verkehrswende in einer ländlichen und einer städtischen Region unterschiedlich ausgeprägt. In gering besiedelten Gebieten befürchteten 56,1 Prozent eine Zunahme, in dicht besiedelten Gebieten nur 44,5 Prozent.
Aus Sicht der Autor*innen kann ein mangelnder gesellschaftlicher Rückhalt für die Transformation dazu führen, notwendige Maßnahmen unzureichend oder gar nicht in Angriff zu nehmen. Der Klimaschutz stehe jedoch keineswegs unauflöslich in Konflikt mit sozialer Gerechtigkeit, sind Holzmann und Wolf sicher. Vielmehr hänge dies von der Wahl der politischen Instrumente ab.
Darüber hinaus müsse man die Bürger*innen zunehmend davon überzeugen, ihr Verhalten im Alltag zu verändern. Dieser große Hebel werde bis heute politisch kaum adressiert, so die Kritik. "Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass es bei der Gestaltung und Kommunikation von klimapolitischen Maßnahmen Nachbesserungsbedarf gibt“, sagt Sara Holzmann.
"Die Politik sollte zeitnah Strategien zur Lösung der Zielkonflikte unter Einbeziehung der Bevölkerung aushandeln und umsetzen", fordert Ingo Wolf. "Bürgerbeteiligung, die Vermeidung von sozialer Ungleichheit bei der Gestaltung von Klimaschutzmaßnahmen sowie die Entwicklung und Förderung von nachhaltigen Wirtschaftsmodellen haben sich hier als wirksame Ansätze erwiesen und sollten umfassender verfolgt werden."
Einen Lösungsansatz sehen die Autor*innen beispielsweise im geplanten Klimageld, das die CO₂-Bepreisung sozial abfedern soll. „Allerdings wurde es bis heute nicht umgesetzt und seine Ausgestaltung und Einführung bleiben vage.“ Hier gelte es, eigenen Versprechen gerecht zu werden, um die Glaubwürdigkeit der sozial-ökologischen Transformationspolitik zu erhalten.
Holzmann, S. und Wolf, I. (2023). Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit. Wie die deutsche Bevölkerung. Zielkonflikte in der Transformation wahrnimmt. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Gütersloh.
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