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Mit großer Aufmerksamkeit blicken Wohlfahrtsorganisationen, Vereine, Stiftungen und Zivilgesellschaft in diesen Wochen nach Berlin: Im Bundestag steht die Verabschiedung einer umfassenden Reform des Gemeinnützigkeitsrechts an. Das war so bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, geriet aber durch die Kontroverse über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des globalisierungskritischen Netzwerks Attac und der Kampagnenorganisation Campact ins Stocken.
Die im Rahmen des Jahressteuergesetzes (JStG) vorgesehene Novellierung sollte bereits Ende November verabschiedet werden. Doch hinter den Koalitionskulissen wird noch heftig um zwei Kardinalpunkte gerungen:
Nach aktuellem Stand soll das Gesetzesvorhaben noch im Dezember verabschiedet werden, doch eine Verschiebung auf das nächste Jahr ist nicht ausgeschlossen. Klar ist, dass es um mehr als eine steuerrechtliche Anpassung geht. Neben der Erhöhung von Freibeträgen und der Aufnahme neuer gemeinnütziger Zwecke soll die Zusammenarbeit gemeinnütziger Rechtsträger entbürokratisiert und steuerlich entlastet werden. Im Gespräch mit der Trendinfo-Redaktion stellt Thomas von Holt, Rechtsanwalt und Steuerberater in Bonn, die wichtigsten Punkte der geplanten Änderung vor.
Thomas von Holt: Erstmals seit Jahrzehnten wird mit der Bereinigung zentraler Kritikpunkte des Gemeinnützigkeitsrechts nicht vordergründig auf Wählerstimmen fokussiert, sondern werden – vom Bundesrat und der Finanzministerkonferenz der Länder angemahnte – überfällige strukturelle Verbesserungen angestrebt, welche in ihrer Komplexität der Allgemeinheit kaum vermittelbar sind.
Insbesondere die Entbürokratisierung und steuerliche Entlastung der arbeitsteiligen Zusammenarbeit gemeinnütziger Organisationen ist von immenser Bedeutung für einen funktionierenden Sozialstaat. Zum Beispiel ist es derzeit steuerrechtlich kompliziert, wenn ein gemeinnütziger Rechtsträger eine Altenwohnanlage betreibt, in der ein anderer Rechtsträger ambulante Pflegeleistungen oder die Verpflegung der Bewohner übernimmt. Einziger, aber aus Sicht der Wohlfahrtsverbände gravierender Kritikpunkt an der geplanten Reform ist die vorgesehene Entbürokratisierung des – auch künftig hochbesteuerten – Ausstiegs aus der Gemeinnützigkeit. Nicht ausgeschlossen, dass die hieran geäußerte Kritik zu einer Verschiebung der ganzen Reform führen kann.
Die gesonderte Nennung des Klimaschutzes neben dem Umweltschutz dient der Rechtssicherheit und ist von hoher symbolischer Tragweite. Während die geplante Förderung der Ortsverschönerung und Friedhofspflege viele Bürger interessieren wird, hat der Gesetzgeber mit den geplanten Neuregelungen zur Geschlechteridentität und zu Freifunknetzen auch Bereiche im Blick, die weniger im öffentlichen Fokus stehen.
Der Transfer liquider Mittel soll zwischen gemeinnützigen Organisationen vereinfacht werden. Außerdem sollen Holdingstrukturen, zum Beispiel zwischen einem Verein oder einer Stiftung mit den zugehörigen Tochtergesellschaften gemeinnützigkeitsrechtlich wie ein einziges Unternehmen behandelt werden. Die geplante Anhebung der sog. Übungsleiterpauschale von 2.400 auf 3.000 Euro, der sogenannten Ehrenamtspauschale von 720 auf 840 Euro, der vereinfachten Zuwendungsbestätigung von 200 auf 300 Euro sowie der Bagatellgrenze für steuerpflichtige Tätigkeiten von 35.000 auf 45.000 Euro werden in der Öffentlichkeit sicher besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Die seit vielen Jahren überfällige Reform würde die Geschäftsführung gemeinnütziger Organisationen sowie deren Zusammenarbeit deutlich erleichtern. Kleine Organisationen profitieren von der höheren Bagatellgrenze für steuerpflichtige Tätigkeiten und der Ausnahme vom Gebot, alle Mittel zeitnah ausgeben zu müssen. Bei vielen gemeinnützigen Organisationen mit Immobilien entfallen durch die Reform Restriktionen, die in der Vergangenheit zu einem erheblichen Investitionsstau geführt haben.
Wegen des Wegfalls zahlreicher gemeinnützigkeitsrechtlicher Detailprobleme führt die Reform auch zu einem deutlichen Zuwachs an Rechtssicherheit.
Auch wenn die Reform wie geplant beschlossen werden sollte, sind damit leider noch nicht alle Problempunkte beseitigt. Die Diskussion über eine Steuerbegünstigung für politisch tätige Organisationen wie Attac wird uns voraussichtlich erhalten bleiben. Der Ruf nach Rechtssicherheit für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Zweckbetriebe blieb ungehört. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist zudem weiterhin in vielen Segmenten zu kleinkariert und macht dadurch den Ehrenamtlichen die Arbeit unnötig schwer. Nicht Gängelung, sondern Missbrauchsbekämpfung sollte im Vordergrund stehen. Zudem kann sich Deutschland angesichts seiner Vergangenheit nicht leisten, dass die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes bei Behinderteneinrichtungen mit einer nach allgemeiner Auffassung der Fachwelt sehr angreifbaren Begründung weiterhin rechtsunsicher ist. Hier bleibt leider noch viel zu tun.
Anmerkung:
Das öffentlich einsehbare Gemeinnützigkeitsregister soll nun doch ab 2024 eingeführt werden.
Weitere Info
Das Jahressteuergesetz im Bundestag:
www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-de-jahressteuergesetz-2020-796034
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