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„Vom Krankenhaus zum Geisterhaus?“, fragt der Titel des aktuellen „Krankenhaus Rating Report 2022“ provokant. Dabei stellt sich die wirtschaftliche Lage deutscher Kliniken auf den ersten Blick recht positiv dar, belegt die Studie des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Hinter dieser Momentaufnahme braut sich indes schon länger Ungemach zusammen – schleichender Bilanzverlust, zu wenig Effizienz, Personalmangel. „Das deutsche Gesundheitswesen steht weiterhin vor gewaltigen Herausforderungen, für die es gegenwärtig nicht gerüstet ist“, so der nüchterne Befund.
Der inzwischen 18. Report bietet aufschlussreiche, empirisch abgesicherte Erkenntnisse zur Entwicklung des Krankenhausmarkts.Basis sind 540 (2019) und 544 (2020) Jahresabschlüsse von fast 1.000 Krankenhäusern, die gemeinsam von Autor*innen des RWI und der Institute for Health Care Business GmbH (hcb GmbH) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) analysiert wurden. Für 2021 lagen noch nicht genug Abschlüsse vor.
Im Jahr 2020 verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der Kliniken hierzulande deutlich. Nur noch sieben Prozent der Krankenhäuser (2019: 14 %) befanden sich im roten Bereich erhöhter Insolvenzgefahr, 25 Prozent im gelben und 68 Prozentimgrünen Bereich (2019: 60 %). Auch die Ertragslage bewegte sich 2020 aufwärts: Nurmehr 28 Prozentder Kliniken schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust (2019: 34 %), das durchschnittliche Jahresergebnisbetrug 1,2 Prozent der Erlöse (2019: 0,6 %).
Die guten Zahlen resultieren laut Report nicht aus zukunftsweisenden Strukturanpassungen, sondern aus den inzwischen eingestellten Ausgleichszahlungen und anderen Hilfen von Bund und Ländern im Rahmen der Corona-Pandemie. Besonders profitieren konnten kleinere Häuser, Einrichtungen mit unterdurchschnittlicher Fallschwere und nicht-private Krankenhäuser. Die Studie nimmt an, dass sich der Schrumpfprozess nach diesem temporären Aufschwung bis 2030 um 15 Prozent fortsetzen wird – allein 2019 und 2020 waren 60 Häuser betroffen. „Ich rechne mit einer Entwicklung wie in der Luftfahrt. Man benötigt (…) weniger Kapazitäten und damit weniger Flieger – hier also weniger stationäre Betten“, sagte Studienleiter Professor Dr. Boris Augurzky im Interview mit dem Beratungsunternehmen „Digitales Gesundheitswesen“.
Um auskömmlich zu wirtschaften, sind die Kliniken auf Patienten angewiesen. Wegen der Pandemie sank 2020 jedoch die stationäre Fallzahl laut Studie „außerordentlich stark“ um 13,5 Prozent und verharrte im Folgejahr auf diesem niedrigen Niveau. Zugleich sollen Kliniken sieben bis acht Prozent ihrer Erlöse in Investitionen stecken, erhalten von den Ländern aber nur Investitionsfördermittel in Höhe von 3,4 Prozent. „Krankenhäuser schließen diese investive Lücke nur zum Teil aus eigener Kraft, sodass es zu einem Substanzverzehrkommt, der in den Bilanzen deutlich sichtbar ist“, merkt die Expertise an. Ein Missstand, der sich bei den einstmals solide aufgestellten ostdeutschen Kliniken besonders stark bemerkbar macht.
Viele Krankenhäuser geraten zwischen die Mühlsteine mehrerer Problemkreise, zumal die Pandemie noch nicht ausgestanden ist: stagnierende Fallzahlen, steigende Personalkosten sowie verschärfter Personalmangel infolge des demografischen Wandels. Zusammen wird das die Versorgungssituation tiefgreifend verändern, so die Wissenschaftler*innen. Patienten müssen damit rechnen, dass Krankenhäuser weiterhin Abteilungen schließen, komplett schließen oder Insolvenz anmelden. Leeren sich also die Krankenhäuser, werden zu „Geisterhäusern‘‘ in Versorgungswüsten?
Klinikschließungen seien unvermeidbar und müssten durch Ausweitung der ambulanten Versorgung kompensiert werden: „Wenn manche bislang stationär erbrachten Leistungen künftig stärker ambulant erbracht und komplexere ambulante Fällen kostendeckend vergütet werden – Stichwort Hybrid-DRG – ergeben sich neue Optionen für Krankenhäuser, gerade für kleinere. Sie könnten sozusagen zu einer ambulanten Klinik werden“, führt RWI--Experte Augurzky gegenüber aerzteblatt.de aus. Somit bliebe der Standort mit Versorgungsangeboten auch für ältere und weniger mobile Menschen erhalten. Entscheidend sei ein geeignetes Vergütungssystem, wozu der Katalog ambulant durchführbarer Operationen (AOP-Katalog) nach §115b SGB V derzeit überarbeitet und ausgeweitet werde.
Einen zweiten Lösungsweg sehen die Studienautor*innen in der Digitalisierung. Dazu gehören die flächendeckende Einführung einer elektronischen Patientenakte und das weite Spektrum telemedizinischer Leistungen wie Videosprechstunde, Telekonsil, Telemonitoring und telenotärztliche Versorgung. „Wenn Daten strukturiert zur Verfügung stehen, kann der Arzt leichter entscheiden.“
„Das deutsche Gesundheitswesen kann und muss deutlich effizienter werden, beispielsweise durch sektorenübergreifende Versorgung“, konstatiert Augurzky. Der Koalitionsvertrag greife drängende Maßnahmen auf, jetzt sei „entschiedene politische Führung und eine entsprechende Priorisierung der Themen“ gefragt. So etwa hinsichtlich des Ausbaus multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren und der Stärkung niedrigschwelliger Angebote durch Gemeindeschwestern, Gesundheitslotsen und Gesundheitskioske.
Kliniken sollten zeitnah prüfen, ob ihre regionale Verbundstruktur nachhaltig ausgerichtet ist, sollten ihr Angebot hinterfragen und mögliche Schwerpunkte abwägen. Von Vorteil wäre, möglichst schnell an die Prozessoptimierung gehen. Auch die Politik stehe in der Pflicht, den Transformationsprozesse finanziell zu fördern – von der Bundes- bis zur Kommunalebene.
Weitere Info
Boris Augurzky / Sebastian Krolop u. a., Krankenhaus Rating Report 2022.
Vom Krankenhaus zum Geisterhaus? medhochzwei, Juni 2022, 250 Seiten
Download
www.medhochzwei-verlag.de/Shop/ProduktDetail/krankenhaus-rating-report-2022-978-3-86216-915-3
aerzteblatt.de, „Wir sind an einer Zeitenwende angekommen“, vom 10. Juli 2022 (abgerufen am 12.8.2022): www.aerzteblatt.de/nachrichten/135508/Wir-sind-an-einer-Zeitenwende-angekommen?rt=f4bc54ed0e333561a75ffd99bbc1f0d3
Digitales Gesundheitswesen, „13 Prozent der Kliniken haben Ramsch-Status“, vom 27. Juni 2022 (abgerufen am 12.8.2022):
https://digitales-gesundheitswesen.de/13-prozent-der-kliniken-haben-ramsch-status/
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