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Politiker-Äußerungen zur Digitalisierung klingen hierzulande oft wie Stimmen aus einer virtuellen Parallelwelt. Das passt irgendwie zum Thema, nur leider finden Wunsch und Wirklichkeit nicht zueinander: Regelmäßig zerschellt das Bekenntnis zu Netzausbau und Laptops für alle am Eingeständnis gravierenden Rückstands. Der achte Altersbericht macht da keine Ausnahme. „Die Digitalisierung birgt gerade auch für ältere Menschen ein riesiges Potenzial, das wir noch viel stärker ausschöpfen müssen“, sagte dazu Bundesseniorenministerin Franziska Giffey und mahnte: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Seniorinnen und Senioren abgehängt werden.“ Genau das, die mangelnde digitale Teilhabe Älterer, belegt der Report. Immerhin, die Hoffnung stirbt zuletzt: Die Bestandsaufnahme der Möglichkeiten digitaler Helfer für ein selbstbestimmtes Alter ist ein Weckruf für alle Verantwortlichen, den hehren Absichten endlich Taten folgen zu lassen. Hoffentlich verhallt er nicht wieder ungehört.
Der Altersbericht, einmal pro Wahlperiode erstellt, analysiert in seiner aktuellen Ausgabe das große Potenzial digitaler Technologien. Im Blickpunkt stehen zentrale Lebensbereiche wie Wohnen, Mobilität, soziale Integration, Gesundheit, Pflege und Leben im Quartier. Der Bericht will die Chancen der Digitalisierung herausarbeiten, ohne deren Ambivalenz zu vernachlässigen: die Vorteile von elektronischer Patientenakte, virtuellen Arztbesuchen und Smart-Home-Anwendungen gegenüber den Problemen des Datenschutzes. Ein Dilemma, das die Autoren für lösbar halten: „Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Vorteile der Digitalisierung genutzt und ihre Risiken minimiert werden.“
Auf dem Weg dorthin muss ein großes Hindernis beiseite geräumt werden: die digitale Kluft der Nutzergruppe. Experten befürchten eine regelrechte Spaltung zwischen Jung und Alt. „Der Zugang zu und die Nutzung von digitalen Angeboten sind innerhalb der Gruppe der älteren Menschen je nach Bildungsstand und Einkommen ungleich verteilt – deutlich ungleicher als zwischen jüngeren Menschen“, heißt es im Altersbericht. Ältere Menschen mit geringem Bildungsstand nutzen digitale Technik demnach „deutlich seltener beziehungsweise weniger kompetent“ als ältere Menschen mit hohem Bildungsstandard – eine Kluft, die sich im Ruhestandsalter hin zur Hochaltrigkeit signifikant vergrößert.
Erhebliche Unterschiede bestehen auch aufseiten der Pflegeanbieter, konstatiert der Report: Sie reichen von visionären Prototypen für den Einsatz von Robotik und Künstlicher Intelligenz bis hin zu zahlreichen Pflegeheimen, die noch immer ohne Internetzugang und WLAN für die Bewohner*innen sind.
Experten kritisieren, dass digitale Teilhabe oft bereits an der Infrastruktur scheitere. Der Altersbericht liefert folgerichtig eine zwölf Punkte umfassende Liste erforderlicher Maßnahmen zum Ausbau digitaler Angebote für die ältere Generation. Eine Auswahl:
„Der Bericht ist gut, aber jetzt muss auch etwas passieren“, zitiert die Ärzte Zeitung den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) und frühere SPD-Chef, Franz Müntefering. Die BAGSO fordert analog zum „DigitalPakt Schule“ einen „Digitalpakt Alter“, um den digitalen Kompetenzerwerb in der nachberuflichen Lebensphase zu erleichtern.
Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) attestiert dem Altenbericht „viele gute Ideen“, mahnt aber auch die Umsetzung an. Vor allem die technischen Voraussetzungen müssten stimmen, etwa der Ausbau der digitalen Infrastruktur, zudem die Klärung finanzieller Fragen. „Gerade bei der digitalen Anwendung zur Unterstützung im Alltag darf die Nutzung nicht daran scheitern, dass sich Menschen mit weniger Geld die notwendige Hardware etc. nicht leisten können“, heißt es.
Problem erkannt, Gefahr noch nicht gebannt. Die Corona-Pandemie unterstreicht gerade aktuell noch einmal die Dringlichkeit der umfassenden digitalen Versorgung des Landes. Für die ältere Generation ist sie von hoher Bedeutung für Alltag, Wohlergehen und Gesundheit.
Ältere Menschen und Digitalisierung. Erkenntnisse und Empfehlungen des Achten Altersberichts, hg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), August 2020, 56 Seiten (Kurzfassung)
Langfassung (162 Seiten)
Altenbericht: Giffey sieht digitale Spaltung in der Gesellschaft, Ärztezeitung online, 12.08.2020, l (abgerufen am 6. 9. 2020)
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