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„Global denken, lokal handeln“ – ein berühmter Slogan der Klimaschutzbewegung, der an die Verantwortung für die Welt direkt vor der eigenen Haustür appelliert. Klar, beide Bereiche hängen eng miteinander zusammen. Doch lokale Verwurzelung ist entscheidend für die Engagementbereitschaft vor Ort und darüber hinaus, mehr als die nationale oder globale Identität, betont eine Studie des Ifo-Instituts Dresden. Menschen, die sich in ihrer Gemeinde zu Hause fühlen, interessieren sich stärker für Politik, wählen seltener populistische Parteien und sind häufiger ehrenamtlich aktiv.
Eine Erkenntnis, die ins Herz der erbitterten Diskussion um nationale Identität und wahren Patriotismus führt. Viele Bürger leben gleichzeitig mehrere geografisch-kulturelle Identitäten: zum Beispiel als Europäer, Deutsche, Bayer und Nürnberger. Diese Wahrnehmungsebenen bestehen problemlos nebeneinander, erfahren aber in speziellen Situationen wechselnde Gewichtung. Zum Beispiel, wenn der Nürnberger sich im Auslandsurlaub zuallererst an seine deutsche Herkunft erinnert fühlt. Normalerweise aber hat man übers Jahr hinweg die häufigsten Kontakte an seinem Lebensmittelpunkt: „Der soziale Alltag der meisten Bürger wird damit deutlich stärker durch das Leben in der eigenen Kommune als durch das Leben innerhalb des Nationalstaates geprägt – die mediale Debatte verläuft jedoch zumeist genau umgekehrt“, kritisieren die Autor*innen.
Datenbasis vorliegender Analyse sind repräsentative Befragungen im Rahmen des European Values Study (EVS) und der World Values Survey (WVS) in den Jahren 2006, 2013 und 2017. Demnach fühlen sich annähernd genau so viele Befragte mit ihrer Gemeinde verbunden wie mit Deutschland als Nation (43,8 bzw. 44,1 %). „Bemerkenswert ist, dass die kommunale Identität für die Deutschen damit etwa genauso stark ausgeprägt ist wie ihre nationale Identität.“ Regionale Verbundenheit und globale Identität hingegen reichen an diese Bedeutung nicht heran (25,1 bzw. 16,8 %).
Die Studie untersucht in sechs Dimensionen (1-6), welche Rolle die kommunale Identität für politische und soziale Einstellungen und Aktivitäten spielt. Ergebnis: Befragte mit lokaler Verwurzelung nehmen vergleichsweise häufiger an kommunalen Wahlen (1) teil und zeigen ein größeres Interesse an Politik im Allgemeinen (2) als Personen ohne kommunale Identität. Sie befürworten überdies auch häufiger die Demokratie als Staatsform (3). Kein Wunder: Der Bürger erlebt elementare Daseinsvorsorge, etwa durch Schulen, Straßen, Bibliotheken und soziale Unterstützung direkt in seiner Kommune.
Interessant auch die Antwort auf die kontrovers diskutierte Frage zum Verhältnis von lokaler Verbundenheit und Populismus (4). Soziale Beziehungen über Nachbarschaften und Vereine hinweg können ebenso die Ausgrenzung von ethnischen und ökonomischen Minderheiten als auch Zusammenhalt und Sicherheit im Umgang mit ihnen begünstigen. Das Ergebnis vorliegender Untersuchung ist eindeutig: Bei Menschen mit hoher kommunaler Identität geht die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer rechts- oder linkspopulistischen Partei zurück, ebenso die Ablehnung von Diversität im Sinne einer pluralen Gesellschaft (5). „Kommunale Identität geht also regelmäßig mit größerer Offenheit und weniger Abgrenzung einher. “
Deutlich ist auch die positive Korrelation von kommunaler Zugehörigkeit und ehrenamtlichem Engagement (6). Bürger, die sich ihrem Heimatort, seinen Menschen und seiner Geschichte verbunden fühlen, tragen eher zum Erhalt der Gemeinschaft bei. Das kann die Renovierung des Spielplatzes, die Fürsorge für Alte und Benachteiligte oder die Mitarbeit bei einer Städtepartnerschaft sein. Einen entsprechend klaren Hinweis ergibt auch die Zugehörigkeit zu örtlichen Kirchengemeinden, Vereinen und Arbeitsgruppen. Bei nationaler und globaler Identität hingegen ist kein derartiger Zusammenhang feststellbar.
„Lokale Verbundenheit geht mit einem stärkeren ehrenamtlichen Engagement und einem höheren Maß an Toleranz einher“, bringt es vorliegende Studie auf den Punkt. Dieses Ergebnis wird durch eine weitere Expertise der Autor*innen zu den Folgen kommunaler Gebietsreformen bekräftigt. Danach können Fusionen von Landkreisen und Gemeinden nachteilig auf die lokale Identität und das gemeinwohlorientierte Engagement wirken. „Überschaubare Strukturen sind ein wichtiger Faktor für Heimatgefühl, Ehrenamt und Partizipation“, so die Schlussfolgerung auch hier.
Als Alternative zu den in der Regel kostensparend geplanten Gebietsreformen thematisieren Wissenschaftler*innen zeitgemäße Formen der interkommunalen Zusammenarbeit, etwa punktuelle Kooperationen (Feuerwehr, Standesamt) und Zweckverbände (Volkshochschule, Energie- und Abfallbetriebe).
Demokratische Teilhabe bedürfe der Stärkung der Kommunen, fordern die Autor*innen. „Für einen starken sozialen Zusammenhalt vor Ort kommt es auf eine Verbundenheit von Bürgern mit ihren Kommunen an, die für ihre Aufgaben eine hinreichende Bürgernähe und Finanzausstattung benötigen.“ Zusätzlich zum nötigen Geld bedarf es der Wertschätzung jenes Ortes, an dem Menschen auch emotional zu Hause sind – damit ihre Sehnsucht nach sozialer und kultureller Nähe nicht den Populisten überlassen wird.
Mona Förtsch / Felix Rösel, Ehrenamt und Toleranz brauchen lokale Wurzeln,
Zeitschrift „ifo Dresden berichtet“, Heft 6/2019, Seiten 3-8.
Die Publikation beruht auf einem Gutachten im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung (zusammen mit Marcel Thum et al.: Stärkung kommunaler Identität, Potsdam 2019).
Download
Vom selben Autorenteam aktuell: Gebietsreformen reduzieren das Heimatgefühl, in: „ifo Dresden berichtet“, Heft 1/2020, Seiten 3-5, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=26974
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