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Westend Verlag Frankfurt 2019, 220 Seiten, 18, Euro, ISBN 978-3864892431
Ulrich Teusch (61) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Vor drei Jahren beschäftigte er sich in seinem Buch „Lückenpresse“ mit der massiven Glaubwürdigkeitskrise der Qualitätsmedien. Dabei stellte der Publizist zwei gravierende Faktoren ins Zentrum seiner Analyse: Die Unterdrückung wesentlicher Informationen und das Messen mit zweierlei Maß. Ulrich Teusch prognostizierte „das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten". Jetzt hat sich der Autor mit dem „Krieg vor dem Krieg“ beschäftigt. Gemeint sind kriegsrechtfertigende Ideologien und kriegsvorbereitende Propaganda im weitesten Sinn, wozu für Ulrich Teusch auch „aggressive Maßnahmen wie Sanktionen unterhalb der Schwelle direkter militärischer Gewalt“ gehören. Der Autor geht dabei der Frage nach, „wie Kriegspropaganda über Leben und Tod entscheidet“.
Für Ulrich Teusch liegen alle Optionen gut sichtbar auf dem Tisch. Politiker, Diplomaten, Militärs, Journalisten – sie alle reden wieder ganz offen über Krieg. Sich abzeichnende kriegerische Konflikte und kriegerische Vorbereitungen passieren längst nicht mehr im Geheimen, sie sind nahezu täglich in den etablierten Medien präsent. Vorausgesetzt man erkennt sie. Für den Publizisten ist das beängstigend. Akribisch listet der Politikwissenschaftler auf, welche „kriegsvorbereitende Propaganda“, welche Entscheidungen und Entwicklungen ihm im Herbst 2018 vorlagen.
„Es ist im Moment sehr viel von einem neuen Kalten Krieg die Rede“, sagt Ulrich Teusch im Gespräch mit unserer Autorin. „Das klingt ein bisschen so, als sei da der alte Kalte Krieg gewesen und jetzt kommt eben der Neue. Und der Neue ist so ähnlich wie der Alte, weil sich wieder Russland und der Westen gegenüberstehen.“ Das ist für den Autor auf den ersten Blick tatsächlich so. Aber auf den zweiten Blick sieht er „etwas ganz Anderes.“
„Man sieht, dass sich eine unipolare, von den USA dominierte Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges auflöst und in eine multipolare Ordnung übergeht“, findet Ulrich Teusch. Der erste Kalte Krieg war für den Politikwissenschaftler „ein berechenbares bipolares System“. Das neue multipolare System sei dagegen viel instabiler. Eigentlich müssten die USA den Übergang zur multipolaren Ordnung politisch gestalten. Ulrich Teusch äußert den Verdacht, sie versuchen stattdessen „vor allem mit militärischen Mitteln, ihren globalen hegemonialen Anspruch aufrecht zu erhalten“.
Dazu gehört für Ulrich Teusch auch, dass Russland und die USA sich wieder ein atomares Wettrüsten liefern. Dass die USA den INF-Vertrag gekündigt hat und Russland sich nicht mehr daranhält, bezeichnet der Autor als „gewaltigen Rückfall“. „Aus meiner Sicht ein ganz schwieriger und unglaublich gefährlicher Prozess.“ Der Vertrag verbietet nukleare Mittelstreckenraketen, was auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges für Abrüstungsverhandlungen ein wichtiges Instrument war. Dabei ist das über dreißig Jahre alte Abkommen nach wie vor entscheidend für unsere Sicherheit. „Sollten die USA erneut in Europa Mittelstreckenraketen stationieren, geraten die Europäer zwangsläufig ins russische Fadenkreuz“, schreibt Ulrich Teusch.
Aktuell prognostiziert der Autor, dass keine der beiden Seiten einen Krieg vom Zaun brechen will. Der Politikwissenschaftler beobachtet stattdessen, „dass eine aggressive Widerständigkeit Platz greift“. Dazu gehört für ihn der „exorbitante Rüstungshaushalt“ der USA, der 2019 weit über 700 Milliarden US-Dollar liegt. „Allein die Steigerung von 2018 auf 2019 ist größer als der nominelle russische Rüstungshaushalt“, stellt Ulrich Teusch fest und wundert sich, dass „die westliche Propaganda weiterhin ständig behauptet, die Gefahr kommt aus einer ganz anderen Ecke“.
Ulrich Teusch seziert mit deutlich spürbarem Ärger die Dämonisierung Waldimir Putins. Der russische Präsident werde permanent als Bedrohung, als feindlicher Nachbar dargestellt. Antirussischen Ressentiments und das Verächtlichmachen eines Volkes sind für den Publizisten auch ein propagandistischer Exzess. Ulrich Teusch bettet seine Analysen, Beobachtungen und Rückschlüsse jeweils stark in historische Bezüge ein und provoziert dabei ganz bewusst.
Nach dem sogenannten Krieg gegen den Terror haben sich die USA vier neue Kriegsgegner gesucht: Russland und China, die Nuklearmacht Nordkorea und den Iran. Sanktionen sind keine Alternative, um militärische Gewalt abzuwenden, warnt Ulrich Teusch: Vielmehr führen Sanktionen wie gegen den Iran zu mehr Leid als Kriegshandlungen. China hat das ambitionierte Ziel, bis 2025 zur führenden Industriemacht aufzusteigen. Dagegen tritt Donald Trump über Twitter heftige Kampagnen los. Anstatt die Herausforderung anzunehmen, sich technologisch und technisch zu messen, kennt der US-Präsident nur Strafzölle und militärische Drohungen. „Es wird ständig mit der Möglichkeit des Krieges gespielt, wobei es viele Maßnahmen unterhalb der direkten Kriegsschwelle gibt, die ich als quasi Krieg werten würde.“
„Propagandistische Vorbereitungen eines Krieges sind selbst schon eine Art Krieg“, sagt Ulrich Teusch. Klug, fundiert, differenziert und provokant belegt er in seinem Buch „Der Krieg vor dem Krieg“, dass es kaum noch möglich ist zu unterscheiden: Wann enden militärische Provokationen? Wann beginnt ein Krieg? Nachvollziehbar zeigt der Publizist auf, dass die Grenzlinien zwischen Kriegshandlungen und Friedenszuständen fließend geworden sind. Der hochriskante Krieg vor dem Krieg wird seiner Meinung unterschätzt. „Innerhalb der internationalen Politik gibt es immer mehr solcher Fälle, wo es richtig ungemütlich wird.“
„Ungemütlich“ wird es für Ulrich Teusch, wenn Donald Trump dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-Un in seiner ersten Rede vor der UN mit „totaler Vernichtung“ droht. „Laut UNO-Charta wird aber nicht nur Krieg geächtet, auch Kriegsdrohungen sind verboten“, so Ulrich Teusch, „aber es wird immer öfter mit solchen völkerrechtswidrigen Drohungen gearbeitet.“. Man weiß letztendlich nie: Ist es nur eine Drohung, mit der etwas Bestimmtes erreicht werden soll? Oder wird nachlegt und den Worten folgen tatsächlich Taten.
Folgt man dem weit gefassten Kriegsverständnis des Autors, dann ist Krieg – global betrachtet – zum Normalzustand geworden. Dazu gehören für Ulrich Teusch der Krieg der Generationen, Wirtschaftskriege, Cyberkriege, Handelskriege. Sein Fazit: Wir leben in Zeiten des permanenten Krieges. Propagandakriege vor militärischen Kriegseinsätzen gehen für Ulrich Teusch zudem immer einher mit Massentäuschungswaffen und Massenzerstreuungswaffen, wie er die Medien nennt. Ihre Hauptfunktion: Manipulieren, Informationen unterdrücken, Halbwahrheiten sagen. Beruhigen, zerstreuen, mit Pseudoproblemen beschäftigen.
Bestes Beispiel ist für Ulrich Teusch der frühere US-Verteidigungsminister William Perry. Der Autor hält den Nuklearexperten für einen extrem klugen Kopf. „Perry gilt in den USA als „Defense intellectual“ und ist seit Jahrzehnten einer der größten Experten auf dem Gebiet der atomaren Rüstung. Der Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker kennt alle Facetten. Der Autor findet es „furchtbar, dass Perry in den Medien kein Forum hat, um vor den Gefahren einer atomaren Eskalation zu warnen, sondern eine mediale Randexistenz fristet“. Vorwürfe, dass Ulrich Teusch antiamerikanische Tendenz habe, weil er die US-Sicherheits- und Kriegspolitik so scharf kritisiert, weist der Publizist zurück. „Die allermeisten Autoren, deren Texte ich in meinem Buch zitiere, sind Amerikaner. Ich beziehe mich fast nur auf amerikanische Quellen.“
Ulrich Teusch weiß, dass es in den USA nicht nur die beiden großen Parteien gibt, deren Außenpolitik er für „fast identisch“ hält, sondern auch eine beachtliche Opposition. Das sei wichtig, „weil die aktuelle Kriegspolitik eben nicht nur viel Unheil in der Welt anrichtet, sondern auch negativ rückwirkt in die USA selbst“. „Man zerstört mit einem Rüstungshaushalt von über 700 Milliarden Euro und 800 Militärbasen weltweit und ständigen Drohungen gegen andere Länder, ständigen Kriegseinsätzen oder Quasi-Kriegseinsätzen letztlich auch das eigene Land.“
„Der Krieg vor dem Krieg“ ist ein komplexes und ein unbequemes Buch. Ulrich Teusch geht hart ins Gericht mit den Kriegsverkäufern in Politik, Wirtschaft, beim Militär und in den Medien. Es ist unangenehm beim Lesen zu erkennen, wie leicht es ist zu manipulieren und zu täuschen. Viele der Bedrohungen, mit denen versucht wird, Ängste zu schüren, sind für Ulrich Teusch nichts anderes als „interessengeleitete Übertreibungen, Verzerrungen, Täuschungen, Lügen“. Kriegspropaganda lässt sich nur mit historischer Aufklärung und mit Selbstaufklärung entlarven. Die gute Nachricht: „Westliche Kriegspropaganda ist zwar sehr erfolgreich – „die verstehen ihr Handwerk“, sagt Ulrich Teusch, aber er beobachtet auch, dass diese Art der Propaganda in Zeiten von Internet und sozialen Medien, in denen man sich schneller informieren und überprüfen kann, ob Behauptungen stimmen, „immer weniger verfängt“.
Das Buch „Der Krieg vor dem Krieg“ von Ulrich Teusch erscheint am 1. April 2019.
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