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Bis zu 400 Mal pro Minute fliegen ihre Finger über Maus und Tastatur und lassen die Spielfiguren auf dem Bildschirm tanzen. Der Puls hämmert, das Stresshormon Cortisol schnellt auf Rennfahrer-Niveau hoch: Profispieler bezeichnen ihre Wettkämpfe in den virtuellen Welten von PC, Handy und Videokonsole als E-Sport. Doch Schreibtischstuhl statt Fitness-Studio – ist das wirklich Sport? Eine alte Streitfrage, die durch eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln und der AOK Rheinland/Hamburg neue Nahrung erhält.
Ausverkaufte Stadien, globale Turniere und Preisgelder in Millionenhöhe zeugen vom rasanten Boom des E-Sports, aufwändige Strategiespiele wie League of Legends, Dota 2 und Counterstrike ziehen scharenweise Fans an. E-Sport steht eher für den Wettbewerb unter Profi-Zockern, wird jedoch oft mit dem massenkompatiblen Gaming in einem Atemzug genannt. Experten schätzen die gesamte Community auf 6,4 Mio. Menschen hierzulande, weltweit auf 380 Mio. Spieler und Fans. Einige Fußballclubs der Bundesliga schicken ihre E-Sport-Teams ins Rennen, Markenhersteller wie Daimler sponsern die Szene und stiften Preisgelder.
Noch einmal: Betreiben E-Sportler überhaupt Sport? Nicht, wenn es nach dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) geht. Dessen Präsident Alfons Hörmann sprach sich erst kürzlich klar gegen die Einstufung von Gaming als Sport aus: „E-Sport existiert nicht. Und es wird auch nicht ins olympische Programm aufgenommen.“ Studienleiter Ingo Froböse von der Kölner Sporthochschule ist anderer Meinung: „Betrachtet man die kognitiven und mentalen Anforderungen wie schnelle Reaktionen, Antizipation und Taktik, so werden einige Parallelen zum ,richtigen’ Sport deutlich.“ In seinem speziellen Leistungsprofil sei E-Sport durchaus mit Schach oder Sportschießen vergleichbar.*
Das Studienergebnis kann zunächst nicht überraschen: Passionierte Computerspieler vernachlässigen ihre Gesundheit, weil sie zu lange vor dem Bildschirm sitzen. Bei dieser Erkenntnis bleibt es aber nicht. Die Wissenschaftler untersuchen ein geeignetes Ausgleichs- und Regenerationstraining im klassischen Sport. Grundlage der Studie ist die Befragung von 1.200 männlichen und weiblichen Probanden unterschiedlicher Leistungsstufen zu ihrem Spielverhalten. Ein Leistungstest mit Messdaten zu Reaktionsschnelligkeit, Wahrnehmung und körperlicher Fitness ergänzt die Untersuchung.
Der typische E-Sportler ist männlich, 23 Jahre alt, hat hohe Schulbildung und frönt seit mehr als elf Jahren dem Videospiel, ermittelt die Studie. Die durchschnittliche Spielzeit pro Woche liegt bei allen Leistungsstufen hoch: Profis, die regelmäßig an Turnieren teilnehmen und damit zumindest einen Teil ihres Lebensunterhalts bestreiten können, kommen auf 27,7 Wochenstunden. Amateure, die auch bei Turnieren mithalten, aber nicht davon leben, spielen sogar 28,5 Stunden pro Woche. Hobby-Gamer verbringen 21,8 Stunden wöchentlich vor dem Bildschirm – gut drei Stunden pro Tag. Einzelne Befragte zocken mehr als 100 Stunden pro Woche.
Zwar kann die Studie das Vorurteil von E-Sportlern als durchweg trägen Nerds nicht bestätigen: 84 Prozent der Befragten betreiben zusätzlich einen klassischen Sport, insbesondere Fitnesstraining (36 %), Joggen, Radfahren (jeweils 28 %), Ballsport (19 %) und Fußball (18 %). Jedoch nur die Hälfte der Befragten erfüllt das von der WHO empfohlene Mindestmaß von zweieinhalb Stunden Bewegung pro Woche – angesichts des hohen Zeitverbrauchs fürs Spielen auch kein Wunder. „Hier ist noch Luft nach oben“ mahnt Studienleiter Froböse an.
Wer viel spielt, hat tendenziell auch einen höheren Body Mass Index (BMI). Mehr als jeder vierte E-Sportler (27 %) ist übergewichtig, weitere elf Prozent weisen Adipositas (Fettleibigkeit) der Stufen I, II und III auf. Auch um die Nachtruhe steht es nicht immer zum Besten: Gamer schlafen weniger (7,1 Stunden) als der deutsche Durchschnittsbürger (7,75 Stunden)..
Zwar wissen die meisten Gamer genau, dass körperliche Fitness, gesunder Schlaf und ausgewogene Ernährung ihre Leistungsfähigkeit beflügeln. Allerdings trainieren sie fast nur digital, bestätigt die Studie, vor allem spielspezifische Anforderungen wie Taktik, Teamplay, Präzision und Tempo. Körperliche Fitness und Regeneration spielen hingegen nur eine geringe Rolle. User witzeln daher in einschlägigen Internetforen, E-Sport stähle bestenfalls die E-Muskeln.
Die Studienautoren fordern, E-Sportler als neue Zielgruppe der Gesundheitsförderung zu adressieren. „Ein möglicher Ansatz, der im Rahmen dieses Projekts weiter verfolgt wird, beinhaltet die Kombination von Trainingsmethoden aus dem klassischen Sport, um Fähigkeiten, die für den Erfolg im E-Sport relevant sind, auch außerhalb des ,digitalen’ Trainings zu schulen.“ So sind hohe Konzentration und langes Sitzen beim Spielen oft mit Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen assoziiert – allesamt Beschwerden, denen gezieltes Krafttraining für die Rumpfmuskulatur und mentale Entspannungsverfahren vorbeugen können.
Im Rahmen der kürzlich besiegelten Zusammenarbeit zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und Borussia Mönchengladbach wird die Krankenkasse auch Gesundheitspartner des vierköpfigen E-Teams der Borussen. Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Die AOK erhofft sich Einblicke in die tatsächlichen Belastungen von E-Sportlern und darauf abgestimmte Trainingskonzepte, die Bildschirm-Fußballer profitieren von wissenschaftlicher Expertise. Natürlich geht es auch um Marketing, verdeutlicht Rolf Buchwitz, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse: „Wir stehen künftig nicht nur dem E-Sports-Team von Borussia als kompetenter Gesundheitspartner zur Seite – wir nehmen auch die gesamte E-Sports-Community in den Blick.“ **
* E-Sport ist wie Stricken, faz.net, 28.01.2019
www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/dosb-und-beuth-haben-eine-klare-meinung-e-sport-ist-wie-stricken-16012749.html
Interview mit Ingo Froböse, Ist eSport Sport?, Computerbild 03.11.2014:
www.computerbild.de/artikel/cbs-News-PC-Prof.-Dr.-Ingo-Froboese-eSport-11060679.html
**Pressemeldung: AOK wird Gesundheitspartner von Borussia-E-Sports (17.01.2019)
www.borussia.de/de/aktuelles-termine/news/borussia-news/news-detailansicht.html?tx_ttnews%5Btt_news%5D=40154&cHash=f8a50729855771df3562a15c1f0130ef
Ingo Froböse / Kevin Rudolf / Konstantin Wechsler / Chick Tholl / Christopher Grieben, eSport Studie 2019. Ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung der AOK Rheinland/Hamburg und der Deutschen Sporthochschule Köln, 10 Seiten, Download
Mehr zum Projekt unter www.esportwissen.de
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