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Diese Nachricht hätte eigentlich das Zeug zu einer riesengroßen Schlagzeile: Kitas verzeichnen einen Beschäftigungsrekord! Mit aktuell knapp 770.000 Mitarbeitenden und 57.000 Nachwuchskräften erlebt die Frühe Bildung einen Boom. „Diese Zahlen belegen eine der erstaunlichsten Wachstumsdynamiken des Bildungswesens der letzten hundert Jahre“, sagt Professor Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI) bei der Präsentation des Fachkräftebarometers Frühe Bildung 2019. Dynamische Arbeitswelt, steigende Geburtenzahlen, Zuwanderung und hohe Ansprüche an die frühkindliche Erziehung haben einen enormen Ausbau der Kindertagesbetreuung bewirkt. Dennoch, zum Jubelgesang besteht kein Grund: Der Fachkräftemangel hält die Branche auch künftig im Griff und ist die Achillesferse eines modernen Erziehungs- und Bildungssystems.
Das Berufsfeld Frühe Bildung hat sich zu einem „starken und dynamischen Teilarbeitsmarkt“ entwickelt, besagt die Studie: Zwischen 2012 und 2017 wuchs die Beschäftigung um 26 Prozent und damit knapp dreimal so stark wie der gesamte Arbeitsmarkt (+9 %). Zwischen 2006 und 2018 lag der Personalausbau sogar bei 72 Prozent auf aktuell knapp 770.000 Beschäftigte. Dem stehen rund 3,6 Millionen betreute Kinder in 56.000 Einrichtungen gegenüber (2018). Auch die Anzahl der Fachkräfte in den Teams ist merklich gestiegen: von 7,5 auf 11 Personen (2007 bis 2018).
Die Ausweitung der Beschäftigung muss vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Aufgabenspektrums der Kindertagesbetreuung gesehen werden. Stichpunkte sind: der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (seit 2013), das bildungspolitische Bekenntnis zur Inklusion sowie die wachsende kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft.
In Kitas trägt die U3-Betreuung zum anhaltenden Beschäftigungsboom bei, die Kindertagespflege hingegen verzeichnet kaum Personalzuwachs, schreibt die Studie. Die Zahl der Tagesmütter und -väter ist seit 2012 nur um zwei Prozent auf 44.200 gestiegen, die Zahl der betreuten Kinder nahm hingegen von 133.000 (2012) auf 168.000 (2018) stark zu. Trotz der Qualifikationsangebote der Politik gilt für die Kindertagespflege: „Im Vergleich zum Personal in Kindertageseinrichtungen, das über eine mehrjährige pädagogische Ausbildung verfügt, ist die Qualifikation weiterhin niedrig.“
Der Beschäftigungsboom kann den Fachkräftemangel nicht beseitigen, trotz des Rekords von 38.000 jungen Menschen, die 2017/2018 eine Erzieher-Ausbildung begonnen haben: Die bisherige Zunahme beim Ausbildungsnachwuchs schwäche sich ab, die demografische Entwicklung zeige nach unten, argumentieren die Autoren. Nach Berechnungen des DJI werden bis 2025 zusätzlich etwa 740.000 Betreuungsplätze für Kinder bis zur Einschulung benötigt. „Die Personalfrage ist damit zu einer Zukunftsfrage für die Frühe Bildung geworden.“
Als Besonderheit des Arbeitsmarkts in der Frühen Bildung sehen die Autoren den Fortbestand althergebrachter Zugangsmechanismen trotz stürmischen Wachstums. Sie werten ihre Untersuchung als Bestätigung für die Dringlichkeit einer grundlegenden Reform „des Systems Kindertageseinrichtung“. Dazu gehöre die Erschließung des Rekrutierungspotenzials bisher stark unterrepräsentierter sozialer Gruppierungen in der Frühen Bildung: Männer (bisher knapp 6 %), Menschen mit Migrationserfahrung, Akademiker, geringfügig Beschäftigte.
Leider erweise sich die starke Konzentration auf das Qualifikationsprofilprofil von Erzieherinnen mit einer vollzeitschulischen Berufsausbildung in Teilzeitarbeit als Hindernis einer expansiven Beschäftigungsoffensive. „Zwar bestehen mit der Kinderpflege- und Sozialassistenzausbildung sowie den kindheitspädagogischen und weiteren pädagogischen Studiengängen alternative Ausbildungswege auf Berufsfachschul- und Hochschulniveau, aber nicht überall können deren Absolventinnen und Absolventen im Berufsfeld Fuß fassen oder eine ihrer Qualifikation angemessene Stelle finden“, monieren die Studienautoren.
Würden die beschriebenen Defizite behoben und Reformen tatkräftig angepackt, stünden die Chancen verbesserter Fachkräftegewinnung gar nicht so schlecht, kann man die Studie interpretieren. So stiegen die Gehälter in der Frühen Bildung seit 2012 überdurchschnittlich an (rund 16 vs. 11 %), außerdem rangierten Erzieherinnen auf den Top-Plätzen der angesehensten Berufe Deutschlands. Und dennoch: Der Handlungsdruck auf die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden hält an, erinnern die Studienautoren. Angesichts des geplanten Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gewinnt die Personalfrage weiter an Brisanz.
Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019, Autorengruppe unter Leitung von Prof. Dr. Anke König und Prof. Dr. Thomas Rauschenbach.
Hg.: Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI) und Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF), München 2019, 24 Seiten
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
www.fachkraeftebarometer.de
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