Suche
Die Struktur der Bewohner in Pflegeheimen verändert sich: Immer mehr Menschen, die ins Heim kommen, sind kognitiv eingeschränkt und multimorbid – was die Einrichtungen vor steigende Anforderungen stellt. „Heime entwickeln sich zunehmend zu gerontopsychiatrischen Facheinrichtungen, die eine würdevolle und palliative Begleitung am Lebensende absichern müssen“, heißt es im kürzlich veröffentlichten „Pflege-Thermometer 2018“ des Deutschen Instituts für angewandtes Pflegeforschung e. V. (dip). Mit besorgniserregenden Folgen für das Personal: Pflegekräfte sind aufgrund der zunehmenden Belastungen immer häufiger und länger krank. Und auch für Pflegebedürftige wird die Situation schwieriger. So hat etwa jede fünfte Einrichtung in den vergangenen drei Monaten wegen personeller Engpässe zeitweilig keine neuen Bewohner aufgenommen.
Befragt wurden Leitungskräfte in bundesweit 13.600 Einrichtungen, rund 1.000 meldeten sich zurück. Mehr als 80 Prozent von ihnen geben an, dass in den vergangenen zwei Jahren komplexe medizinische Problemlagen bei den Bewohnern zugenommen haben. Pflegebedürftige kommen immer häufiger aus schwierigen sozialen Verhältnissen (Verwahrlosung, Vereinsamung, 38 %), sind ohne Angehörige (33 %) oder haben ein Suchtproblem (31 %). Weitere erschwerende Faktoren sind das steigende Einzugsalter und die kürzere Verweildauer.
Die Pflegekräfte sind durch zunehmende herausfordernde Verhaltensweisen der Bewohner (55 %), höhere grund- und behandlungspflegerische Anforderungen (52 %) und aufwändigere Angehörigenbetreuung (52 %) immer stärker gefordert. Als betriebliche Gesundheitsrisiken dominieren nach Angaben der befragten Leitungskräfte Auswirkungen auf den Muskel- und Skelettbereich (78 %) vor Auswirkungen psychischer Belastungen (71 %). Als drittes schwerwiegendes Risiko wird Gewalt gegenüber Pflegenden benannt (42 %).
Nicht sonderlich attraktive Arbeitsbedingungen also, die den Fachkräftemangel in der Pflege weiter verstärken. Rund 17.000 Stellen sind in den Einrichtungen derzeit unbesetzt: Um den Bedarf zu decken, seien sogar 25.000 zusätzliche Pflegekräfte nötig, so die Studienautoren.
Maßnahmen wie die Ausweitung von Teilzeit- in Vollzeitstellen oder eine aktive Bewerbung und Rückgewinnung von Pflegekräften gehören dabei längst zum Alltag der Einrichtungen. Die Rekrutierung von Personal ist allerdings nur lokal begrenzt möglich: 91 Prozent der befragten Leitungskräfte geben an, dass die Mitarbeiter maximal 20 Kilometer von der Einrichtung entfernt wohnen, die Bereitschaft, längere Strecken zu fahren, sei gering.
In diesem begrenzten Raum qualifizierte Kräfte zu finden, wird jedoch immer schwieriger. Die Folge: 62 Prozent der Befragten haben im Jahr 2017 Bewerber eingestellt, die sie noch vor fünf Jahren abgelehnt hätten. Insgesamt sagen 74 Prozent, dass sich die Qualität der Bewerbungen gegenüber dem Jahr 2016 extrem verschlechtert habe.
Wenig zufrieden sind die Befragten auch mit der Umstellung der Pflegestufen in Pflegegrade. Neueinstufungen führen aus ihrer Sicht tendenziell zu einer niedrigeren Eingruppierung der Pflegebedürftigen (58 %). Höhergruppierungen seien gegenüber dem MDK immer schwerer durchzusetzen (54 %). Mehr als jede dritte Einrichtung (38 %) befürchtet, ab 2018 durch die Pflegegrade finanzielle Einbußen zu erleiden. Knapp die Hälfte sieht gegenüber den Pflegestufen keine Verbesserung, was die Abbildung des realen Pflegeaufwands angeht; ein Drittel gibt an, dass sich die Personalkalkulation durch die Einführung der Pflegegrade verschlechtert hat. In der Konsequenz überlegen 42 Prozent der Einrichtungen, künftig nur noch Bewohner ab Pflegegrad III aufzunehmen.
Trotz der wenig optimistischen Aussichten – die aktuelle finanzielle Situation der Einrichtungen ist laut Pflegethermometer stabil. Weniger als fünf Prozent sind akut von einer Schließung oder Insolvenz bedroht. Bei rund der Hälfte stieg der Umsatz in 2016 im Vergleich zum Vorjahr, bei einem Drittel erhöhte sich auch der Betriebsgewinn bzw. die Möglichkeit, Rücklagen zu generieren. „Rund die Hälfte der Einrichtungen ist derzeit in der Lage, strategisch wichtige Investitionen – wie zum Beispiel die Einstellung von zusätzlichem Personal, Netzwerkarbeit oder die Modernisierung der Einrichtung – zu tätigen“, schreiben die Autoren. Rund neun Prozent planen für das laufende Jahr einen Ausbau an Bettplätzen in der Langzeitpflege, sieben Prozent in der Kurzzeitpflege und rund zehn Prozent wollen ihr Tagespflegeangebot erweitern.
Knapp 37 Prozent verfügen allerdings nicht über die dafür notwendigen Finanzmittel. Der Personalmangel verschärft die Lage: Ein Drittel der Einrichtungen kann geplante strategische Entwicklungen wegen zu wenig Personal nicht umsetzen, jede vierte gibt an, dass sie aus diesem Grund ihre betrieblichen Ziele nicht erreichen können. Das hat Folgen für das Angebot an Betreuungsplätzen: So sehen knapp 67 Prozent der Befragten in ihrer Region noch Bedarf für Kurzzeitpflegeplätze, 42 Prozent für Tagespflegeplätze und etwa jeder Dritte Bedarf für Vollzeitpflegeplätze.
Um die Pflegeeinrichtungen bei der (benötigten) Erweiterung ihres Angebots zu unterstützen, empfehlen die Studienautoren, lokale Netzwerke aufzubauen. Gemeinsam mit Kommunen, weiteren Trägern und Leistungsanbietern sollten übergreifende Strategien der lokalen Versorgungssicherung entwickelt werden. Sinnvoll sei zudem, mehr technologische Innovationen einzusetzen – immer unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Mitarbeitern und Bewohnern. Um die Personalgewinnung zu vereinfachen, sollten Anerkennungsverfahren zwischen den Bundesländern vereinheitlicht und nationale Strategien zur Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland entwickelt werden.
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V.: Pflege-Thermometer 2018. Eine bundesweite Befragung von Leitungskräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung in der teil-/vollstationären Pflege
Pflege
Neuer Ansatz in der Kurzzeitpflege von Menschen mit Demenz
Pflege
Pflegethermometer 2018: Die Fieberkurve zeigt nach oben
Gesellschaft
Sag mir du wohnst und ich sage dir, wer du bist
Bildung
Elternbefragung: Beitragsfreie Kitas sind nicht die Lösung
Sozialwirtschaft
Soziale Dienstleistungen: Hoch geschätzt, zu wenig wert
Armut
Wer wenig verdient, hat auch nichts vom Aufschwung
Gesellschaft
Neues Familienverständnis: Aktive Väter, gemeinsame Elternschaft
Buchempfehlung
Thomas Schulz: Wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern will
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail