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Die Corona-Pandemie deckt die Schwachstellen der Pflegeversorgung hierzulande erbarmungslos auf. Pflegeheime, ambulante Dienste und häusliche Pflege erleben eine dramatische Zuspitzung der Situation. Entspannung ist nicht in Sicht, auch wenn der Lockdown derzeit schrittweise gelöst wird. Eine Expertise des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rückt jetzt die Pflegehaushalte in den Fokus. Deutschlands größter Pflegedienst ist nunmal die Familie und braucht dringend Unterstützung, so das Fazit der Wissenschaftler Björn Fischer und Johannes Geyer.
Von den 3,7 Mio. Menschen in Deutschland mit Pflegeleistungen leben 800.000 in Pflegeheimen (2018), die große Mehrheit wird hingegen zu Hause versorgt. In 80 Prozent der Pflegehaushalte leisten Angehörige, Freunde und Nachbarn die informelle Pflege, also Menschen ohne pflegerische Ausbildung. Auch das Umfeld professioneller Pflegearrangements befindet sich derzeit im Krisenmodus. Die Tagespflege ist vielerorts eingeschränkt, Pflegekräfte aus Osteuropa fehlen, Pflege- und Altenheime nehmen häufig keine neuen Bewohner*innen auf. Die Folge: „Den informell Pflegeleistenden wird nun noch mehr abverlangt als ohnehin schon.“
Knapp 4,3 Mio. Menschen leisten regelmäßig informelle Pflege. Der Großteil ist über 50 Jahre alt und zählt damit ohnehin zur Risikogruppe. Überwiegend wird diese Pflege außerhalb des eigenen Haushalts erbracht, zusammen mit anderen Personen und zu wechselnden Tageszeiten. Pflegende Angehörige, denen es oft an Schutzausrüstung mangelt, gehen mithin ein erhöhtes Infektionsrisiko für sich und ihre Schützlinge ein. Demenzkranke, die mobil sind, aber die aktuelle Gefahr nicht einschätzen können, erschweren die Situation zusätzlich.
Solange noch kein Impfstoff verfügbar ist, befindet sich die gesamte Pflegebranche in einer Ausnahmesituation. Pflegehaushalte sind aktuell besonders von der stark eingeschränkten oder gar nicht stattfindenden Tagespflege betroffen, welche die Angehörigen entlasten und Pflegebedürftige bei der Strukturierung ihres Alltags unterstützen soll. „In die Bresche springen wohl in erster Linie Familienangehörige, die ohnehin schon viele Pflegestunden leisten und gleichzeitig oft selbst zur Corona-Risikogruppe gehören“, heißt es in dem DIW-Papier.
30 Prozent der Pflegeleistenden arbeiten in Vollzeit, weitere 16 Prozent in Teilzeit. Die Folgen der Corona-Pandemie lassen sich für diese Gruppen laut Wissenschaftler nur grob abschätzen. „Ein Teil der Erwerbstätigen ist vermutlich von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und auch Frühverrentung betroffen.“ Ein anderer Teil der Erwerbstätigen dürfte große Probleme mit den genannten Einschränkungen des Pflegeangebots haben und muss um eine neue Balance von häuslicher Pflege und Beruf kämpfen.
Die Autoren schlagen für die Zeit der Kontaktbeschränkungen einen erleichterten Zugang zu finanzieller Unterstützung von pflegenden Angehörigen vor. Dazu böte sich an, den Rechtsanspruch auf das zinslose Darlehen während der Pflege- oder Familienpflegezeit auszudehnen und die Rückzahlung auszusetzen. „Damit könnten erwerbstätige Personen in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und den Wegfall der formellen Pflege zu kompensieren.“
Um die derzeit besonders erschwerten Pflegebedingungen nicht auf die Angehörigen abzuwälzen, müsse ein bedarfsgerechtes Angebot an Heimplätzen sichergestellt sein. Ein wichtiger Schritt dahin sei eine ausreichende Versorgung mit Corona-Tests und Schutzkleidung, um die Heimaufnahme auch weiterhin möglich zu machen.
Für die Pflege zu Hause und im Heim gelten gleichermaßen hohe Hygieneanforderungen. Daher müssten beide Bereiche ausreichend mit Hygienemitteln versorgt werden, fordert die DIW-Expertise. Wichtig seien auch Schulungen der pflegenden Angehörigen, damit sie sich selbst und ihre Pflegebedürftigen vor Infizierung schützen könnten.
Björn Fischer / Johannes Geyer, Pflege in Corona-Zeiten: Gefährdete pflegen besonders Gefährdete, DIW aktuell 04/2020, Hg.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 6 Seiten, Download
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