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Bei der Personalsuche lassen sich Betriebe einiges einfallen. Mit flexiblen Arbeitszeiten, Zulagen und attraktiven Karriereoptionen umgarnen sie begehrte Nachwuchs-, Fach- und Führungskräfte. Menschen mit Behinderung empfinden solche Ausschreibungen meist als Hohn. Eine sichere Arbeit, angemessen bezahlt und ihren Talenten entsprechend, bleibt für sie oft ein unerfüllter Traum. Vor allem während der Pandemie: Laut „Inklusionsbarometer Arbeit 2021“ von Aktion Mensch und dem Handelsblatt Research Institute (HRI) wurde der seit 2016 erzielte Beschäftigungszuwachs von behinderten Menschen durch Corona zunichte gemacht.
So waren 2021 von den rund 1,45 Millionen Erwerbspersonen mit Handicap, die dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, 166.500 arbeitslos – also gut elf Prozent, belegt das Inklusionsbarometer aufgrund von Daten der Bundesagentur für Arbeit und der Inklusionsämter. Zwar waren es 7.000 Behinderte weniger als im ersten Coronajahr, aber fast 13.000 mehr als 2019. „Insgesamt liegt das Niveau der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt auf dem Stand von 2016. Da sich die Situation in den Jahren vor Corona nahezu stetig verbesserte, bedeutet dies: Alle seither erreichten Fortschritte sind verloren“, sagt HRI-Präsident Bert Rürup.
Der Arbeitsmarkt steht laut IAB-Prognose für 2022 vor einer positiven Entwicklung. Mit Ausnahme von Versicherungen und Finanzdienstleistungen gilt das für den Öffentlichen Dienst, für Erziehung, Gesundheit, Handel, Verkehr und Gastgewerbe. Diese Branchen, in denen rund 45 Prozent der Behinderten beschäftigt sind, werden im Zuge der demografischen Entwicklung 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Kurzfristig fürs laufende Jahr bedeutet das: „Menschen mit Behinderung werden zwar von der absehbaren Erholung des Arbeitsmarktes profitieren, jedoch voraussichtlich langsamer als ihre Kolleg*innen ohne Beeinträchtigung.“
Daher drohten noch mehr von ihnen in die Langzeitarbeitslosigkeit abzurutschen, heißt es in der Expertise. Bereits 2021 widerfuhr das 70.000 Personen für die Dauer von mindestens einem Jahr, davon 35.000 länger als zwei Jahre. Generell gilt: Einmal arbeitslos gewordene Menschen mit Handicap finden sehr viel schwerer in den Arbeitsmarkt zurück als ihre nichtbehinderten Kolleg*innen.
Behinderte suchen im Schnitt rund 100 Tage länger nach einer neuen Stelle als Nichtbehinderte. Im größten Bundesland NRW etwa liegt das Verhältnis bei 397 vs. 283 Tage – die längste Suchdauer im Ländervergleich.
Nur vier Prozent des coronabedingten Anstiegs der Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen sind auf Kündigungen zurückführen, rund 30 Prozent auf weniger Neueinstellungen, besagt das Inklusionsbarometer. Der größte Teil der Arbeitslosigkeit – zwei Drittel – geht auf das Konto ausgebliebener Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen für neue Tätigkeiten oder Jobs. Schuld daran sind die Corona-Einschränkungen. Mit fataler Konsequenz: „Es droht ein ,Rückstau‘ bei den Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen, der nicht so schnell aufgelöst werden kann.“
Die Förderung von Teilhabe am Erwerbsleben sollte mehrere Stellschrauben bedienen, rät die Studie. Das Wichtigste sei ein Kultur- und Bewusstseinswandel im Unternehmen, der Verständnis für etwaige Beeinträchtigungen behinderter Menschen sowie Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit fördere, empfiehlt Christina Marx von Aktion Mensch.
„Zudem unerlässlich: die Barrierefreiheit, ohne die es Menschen mit Behinderung schlichtweg verwehrt bleibt, ihre Stärken auf dem Arbeitsmarkt so einzusetzen, wie es für Menschen ohne Behinderung möglich ist.“ Angesprochen sind hier eine barrierefreie Gebäudearchitektur, Arbeitsplatzgestaltung sowie Hard- und Software. Die Studie spricht auch das Manko an, dass Förder- und Beratungsangebote für inklusionsgerechte Arbeitsplätze bei den Unternehmen häufig nicht bekannt seien. Das könne sich mit den neuerdings im Teilhabestärkungsgesetz vorgesehenen Ansprechstellen für Arbeitgeber ändern.
Unternehmen sollten nicht erst im konkreten Bedarfsfall, sondern präventiv im Sinne des „Design for all“ Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte schaffen. „So sollten sie beispielsweise bei Neu- und Umbauten von Gebäuden oder beim Kauf neuer Computer und Software Barrierefreiheit gleich mitdenken und -planen“, heißt es im Inklusionsbarometer. Entsprechende Maßnahmen könnten gesetzlich vorgeschrieben und im Gegenzug durch steuerliche Vergünstigung und KfW-Darlehen gefördert werden.
Jedenfalls verdiene das Thema Inklusion eine vorausschauende Betrachtung – nicht nur aus der Sicht der direkt Betroffenen, sondern auch der Gesamtwirtschaft. Neben den üblichen Empfehlungen von Wissenschaft und Politik, dem bevorstehenden Fachkräftemangel durch Zuwanderung, flexible Arbeitszeitmodelle und mehr Ganztagsbetreuung beizukommen, berge auch die Inklusion am Arbeitsmarkt noch erhebliches Potenzial.
Inklusionsbarometer Arbeit, Ein Instrument zur Messung von Fortschritten bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Aktion Mensch e. V. (Hg.) in Kooperation mit dem Handelsblatt Research Institute, 2021, 36 Seiten
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