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Zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen, hat für die Pflege höchste Priorität. Längst hat das auch die Politik erkannt und ihre Anstrengungen zur Anwerbung von ausländischen Fachkräften und Quereinsteigern deutlich verstärkt. Wie ernst es ihm ist, demonstrierte Gesundheitsminister Jens Spahn im vergangenen Jahr, als er zur Anwerbetour in den Kosovo, auf die Philippinen und nach Mexiko reiste. Doch ausländischen Pflegefachkräften den Weg in deutsche Krankenhäuser und Altenheime zu weisen, ist nicht alles. Falsche Erwartungen, Missverständnisse und Konflikte können die Integration in den Pflegealltag konterkarieren. Herkommen ist gut, bleiben noch besser – andernfalls reden wir über „Vertane Chancen der Fachkräftebindung in der Pflege“, so der Titel einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Anders als Großbritannien, die USA und die Schweiz verfügt Deutschland nur über wenig Erfahrung als Zielland der globalisierten Pflegekräftemigration, führt die Studie aus. Erst seit 2012 datieren verstärkte Anwerbeaktivitäten. Seitdem ist die Zahl der Pflegefachkräfte, die jährlich aus dem Ausland nach Deutschland kommen, von knapp 1.500 auf gut 8.800 im Jahr 2017 gestiegen. Größtenteils stammen sie aus süd-, südost- und osteuropäischen Staaten und von den Philippinen. So unterschiedlich die Herkunft der Menschen ist, so lassen sie alle schwierige wirtschaftliche und politische Verhältnisse hinter sich und stehen unter hohem persönlichen Druck, da sie sich während des Anwerbeprozesses verschuldet haben und ihre Familien daheim unterstützen wollen.
Eine weitere Maßnahme zum Ausgleich von Personallücken besteht in der Rekrutierung von Quereinsteigern. Hervorzuheben ist die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“, die vor allem Arbeitslosen eine vollfinanzierte Umschulung ermöglicht. Zwischen 2012 und 2017 begannen knapp 38.000 Personen eine Umschulung in der Altenpflege, 30.600 schlossen die Ausbildung ab. Sie verfügen über unterschiedliche berufliche Vorerfahrungen, viele haben den Zugang zur neuen Tätigkeit auch durch die Pflege von Angehörigen sowie berufliche Praktika gewonnen.
Zugewanderte und Quereinsteiger haben häufig eine ganz andere Vorstellung von Pflegearbeit als die Etablierten, die über ein gemeinsames oder zumindest alltagserprobtes professionelles Selbstverständnis verfügen, führt die Studie aus. „In der täglichen Arbeit kommt es deshalb zu Missverständnissen und latenten oder offenen Konflikten mit Pflegefachkräften von außen.“ Die Studienautoren unterscheiden zwei typische Konstellationen:
Aus diesen grob skizzierten Problemlagen schaukeln sich schnell ernsthafte Konflikte zwischen neu Hinzugekommenen und Alteingesessenen auf. Wenn von der Führungsebene nicht konsequent gegengesteuert wird, graben sich Unverständnis, Ab- und Ausgrenzung in den Pflegealltag ein. „Die Dissonanzen werden auf persönlicher Ebene in Teams getragen und häufig auch ethnisiert. In den Interviews wurde berichtet, dass Abwertungen, Gruppenbildung oder Polarisierung zwischen Etablierten und Neuen keine Seltenheit sind“, hält die Studie fest.
Die Untersuchung listet fünf Optionen auf, wie ausländische Fachkräfte und Quereinsteiger mit den Schwierigkeiten umgehen: Sie passen sich an, arbeiten anders, als es das Reglement vorsieht oder gehen in den offenen Konflikt. Diese Strategien können Teil eines schwierigen Prozesses der Selbstfindung und schließlich Integration in die gegebenen Arbeitsabläufe sein.
Die beiden verbleibenden Optionen sind unwiderruflich mit Entfremdung sowie innerer und äußerer Kündigung verbunden: Die Einstellung „So schnell wie möglich weiterziehen“ zielt auf den Wechsel auf eine andere Station, in eine andere Stadt oder in einen anderen Pflegebereich. Die Option „Exit deutsche Pflege“ besiegelt den endgültigen Abschied aus der Pflegetätigkeit hierzulande – ein Schritt, der sämtliche Anwerbe- und Umschulungsmaßnahmen zunichte macht und die Personalknappheit verstärkt.
Es müsse mehr für die Integration von Neuankömmlingen in Heimen und Kliniken getan werden, fordert Mitautorin Christa Larsen. Dabei sei das Management gefragt. „Im Kern geht es darum, aus den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Teammitglieder ein geteiltes Verständnis über die Pflegearbeit zu entwickeln, das auch die Impulse der zugewanderten und quereinsteigenden Fachkräfte einschließt.“ Gefragt sind die Moderation entsprechender Prozesse und in besonderen Fällen auch ein professionelles Coaching. Ein solcher Austausch könnte „Keimzelle für soziale Innovationen auf Organisationsebene“ sein. Pflegeschulen und Hochschulen seien gut beraten, die Arbeit in multiprofessionellen Teams thematisch in die Ausbildung zu integrieren. Außerdem solle der Gesetzgeber die Anerkennungsverfahren für die Abschlüsse ausländischer Pflegefachkräfte beschleunigen und für eine bessere Vorbereitung der Umschulung zu Altenpflegefachkräften sorgen.
Mariana Grgic / Christa Larsen / Sigrid Rand / Birgit Riedel / Dorothea Voss: Vertane Chancen der Fachkräftebindung in der Pflege. Strukturelle Hindernisse bei der Integration von migrierten und quereinsteigenden Fachkräften. Hg.: Hans-Böckler-Stiftung, Policy Brief, Nr. 5, Dez. 2019, 12 Seiten, Download
Sigrid Rand / Christa Larsen, Herausforderungen und Gestaltung betrieblicher Integration von Pflegefachkräften, Einblicke aus der Krankenhauspraxis. Hg.: Hans-Böckler-Stiftung, Working Paper Nr. 114, Februar 2019, Hans-Böckler-Stiftung, 26 Seiten, Download
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