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Newsletter für das Sozialmanagement
Klett-Cotta Verlag, 22,00 Euro, 182 Seiten
Man nennt ihn gern den „Bindungsexperten“. Der Psychologe Dr. Claus Koch hat sich viel mit der Frage beschäftig, wie zwischen Eltern und Kind Bindung entsteht – und wie sie gestört wird. Was brauchen Kinder und Jugendliche um sich zu selbstbewussten, autonomen Erwachsenen zu entwickeln? Zu Menschen, die in ihrem sozialen Umfeld selbstverantwortlich handeln. Dazu hat Claus Koch geforscht und vor neun Jahren das Pädagogische Institut Berlin (PIB) mitgegründet. Zudem hält er Vorträge, gibt Workshops und schreibt Bücher. In seinem jüngsten Buch beschäftigt er sich mit einer ganz besonderen Lebensphase: Dem Alter zwischen 18 und 30 – „Wenn aus Jugendlichen Erwachsene werden“.
Es waren wohl eigene Erfahrungen, schreibt Claus Koch im Vorwort, die bei ihm die Neugier auf die Entwicklungsphase des Erwachsenwerdens geweckt haben. Das Dilemma beim Erwachsenwerden sei ja, dass man erst dann für sich weiß, was es heißt, ein Erwachsener zu sein, wenn man bereits einer geworden ist. Dem Bildungsforscher zufolge ist die Phase des Erwachsenwerdens nach der Pubertät im Gegensatz zur Pubertät selbst ein bisher noch wenig erforschter Lebensabschnitt.
„Wenn Kinder sich bemühen, immer mehr auf Abstand zu ihren Eltern zu gehen, mit dem Ziel, sich immer mehr abzugrenzen“, sagt Koch im Skype-Interview mit unserer Autorin. „Weil sie wissen, dass sie sich nur so auf die Suche nach ihrer eigenen Identität begeben können. Mit 19, 20 Jahren schiebt sich ein Filter dazwischen, junge Leute fragen sich, ob Beziehungen oder Beruf passen: Wo ist mein Ziel.“
„Die Härten des Lebens mit zahlreichen Sinn- und Orientierungskrisen folgen ja erst nach dem Schulabschluss“, weiß Claus Koch. Der Psychologe bezeichnet die Zeit nach der Pubertät als Odysseus-Jahre, ähnlich der Heldenreise aus dem gleichnamigen Epos von Homer. „Beim Erwachsenwerden verlässt man mit eigenem Boot den sicheren Elternhafen, raus ins eigene Leben.“ Odysseus sei auch raus aufs Meer, erotische Verführung durch Sirenen oder der Tod spielt bei seinen Abenteuern eine große Rolle. Der Unterschied: „Odysseus will nach Hause – das ist bei den Jugendlichen genau umgekehrt, sie wollen ihr eigenes Zuhause gründen.“ Um die Irrfahrt gut zu meistern, sind für Claus Koch gute Bindungserlebnisse in der frühen Kindheit entscheidend.
Im Pädagogischen Institut in Berlin, dass Claus Koch 2016 mitgegründet hat, erforscht der Therapeut, was junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren für diese „Transitphase“ brauchen, damit sie in ihrem eigenen sozialen Umfeld selbstverantwortlich handeln können. Der Bindungsexperte hat untersucht, wie sich die Bindung zwischen Eltern und Kind verändert, wenn sie in ihr eigenes Leben treten. Eine Zeit voller Sinnsuche, bei der die Eltern eine besondere Rolle haben. Wobei der vierfache Vater Claus Koch klarstellt: Kinder bleiben immer die Kinder, auch wenn sie erwachsen sind.
„Man kann 18- bis 30-Jährige nicht als junge Erwachsene bezeichnen, weil sie noch nicht erwachsen sind, sondern dazwischen“, sagt der Autor. „Dafür gibt es kein hartes, objektives Kriterium: Es geht darum, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und mein Tun zu reflektieren.“ Bezeichnungen für dieses Dazwischen sind Transitzone, Niemandsland zwischen Kindheit, Jugend, Erwachsenen – und für Koch eben die Odysseus-Jahre. „In Gesprächen mit vielen jungen Menschen war die Rede von „Moratorium“, von „Umherirren im Noch nicht“ oder einer besonders vulnerablen Phase, geprägt von Einsamkeit und Vereinzelung.“
Das entscheidende Kriterium für den Psychologen: Einerseits fallen elterlichen Leitplanken weg, das erweitere den Raum, neue Entwicklungsaufgaben entstehen: „Wie finde ich mich allein in der Welt zurecht, wenn ich keine Elternzuflucht mehr nehmen kann, keinen Schutz. Ich muss Verantwortung übernehmen. Stichwort Pandemie, Kriege und Krisen, die gab es vor zehn Jahren noch nicht, da hat sich sehr viel verändert“, so Koch.
Viele Eltern wissen gar nicht, wie sie damit umgehen sollten, welche Rolle sie in dieser Phase einnehmen sollten. Für Claus Koch ist die Falle immer, zu lange an der beschützenden Elternrolle festzuhalten. Sein Credo: Tritt zurück und bleibe verbunden. Aber dieses zurücktreten sei gar nicht immer einfach, gerade wenn Kinder in Krisen geraten. „Dann besteht die Gefahr, dass man nicht zurücktritt, weil man sich Sorgen macht, sondern selbst aktiv wird und fragt: Kann ich dir helfen?“ Es geht dem Bindungsexperten darum, dass er selbst als Jugendlicher diese Zeit als „krisenanfällig und härteste Zeit erlebt hat“, sein Interesse entstand vor allem über eigene biographische Erfahrung.
Wieso sind die Bindungsmuster aus der frühen Kindheit so wichtig, welchen Einfluss haben sie, sich als junger Mensch selbstständig seine Welt zu erobern? Der entscheidende Punkt ist für Claus Koch, als ihm als Psychologe und Therapeut klar wurde, wie stark die Bindungserlebnisse in der frühen Kindheit das Erwachsenwerden beeinflussen. „Wenn man als Kind nie wusste, woran man ist, bestimmt das das Erwachsenwerden ungemein. Bei jungen Leuten führt es zu Konflikten, das ist der Knackpunkt, viele junge Menschen, mit denen ich geredet habe, haben das gar nicht gut hingekriegt.“
Das kann eine Scheidung sein oder als Kind abgelehnt zu werden. Für den Autor ist es fatal, wie stark sich diese Erfahrungen der frühen Kindheit auswirken. „Mein Ansatz war, das völlig neu zu schreiben, als mir klar wurde, auch unsichere Bindungserfahrungen der Eltern mit ihren Eltern hinterlassen Spuren im Verhältnis zu eigenen Kindern. Wenn ich als Eltern unter Verlustängsten gelitten habe, tauchen diese Verlustängste in der eigenen Elternschaft wieder auf. Das habe ich für mich als Erkenntnis gewonnen.“
Verändert sich die Bindung zwischen Eltern und Kind, wenn sie anfangen, ein eigenes Leben zu führen? „Die Bindung spielt sich wie Hintergrundgeräusch weiter ab, das macht sich zwischen jungen Leuten und Eltern sofort bemerkbar, wenn das Kind nach Hause kommt“, weiß der vierfache Vater Claus Koch. „Eltern bleiben immer Eltern, Kinder bleiben immer Kinder.“ Es stellt sich beispielsweise automatisch ein Kommunikationsstil wieder her, der nicht mehr passt, das schnappt sofort wieder ein. Auch bei den Kindern. „Das ist völlig absurd und ruft unangenehme Gefühl hervor. Die Eltern waren in der Kindheit die bedeutendsten Bezugspersonen. Das gräbt sich so tief ein, dass diese Abhängigkeit wieder aufgerufen wird.“ Für Claus Koch ist es eine wesentliche Aufgabe beim Erwachsenwerden, genau die diese starke Abhängigkeit zu überwinden.
Für Claus Koch sind Eltern keine Freunde: „Von Freunden kann ich mich trennen, von Eltern nie. Sie geistern immer in unseren Köpfen rum, in gefährlichen Situationen oder wenn man krank ist, kommen einem gleich die Eltern in den Kopf. Wenn Eltern versuchen, dieses Schema zu durchbrechen und zum Beispiel den jugendlichen Lebensstil kopieren, das empfinden die meisten jungen Leute als unangenehm.“
Die heutzutage gängige Auflösung der Generationsschranke erschwere den Abgrenzungsprozess, der nötig sei, um selbstständig und erwachsen zu werden. „Da hat sich wahnsinnig viel verändert“, so der Autor. „Jetzt gibt es Erziehung auf Augenhöhe, deswegen ist der Absprung viel schwieriger, weil die Lebensstile sich auch angenähert haben. Gehen sie mal auf Rockkonzert von Taylor Swift, da kommt die ganze Generationsfolge anmarschiert. Früher mit den Eltern in ein Rockkonzert zu gehen, das war unerträglich, zumal die Musik als Krach niedergemacht wurde. Ich habe früher in einer Band gespielt und wäre von der Bühne gefallen, wenn meine Eltern aufgetaucht wären.“
Und noch etwas hat sich laut Claus Koch verändert: Junge Leute heute sagen unisono, dass Eltern die Fixpunkte in ihrem Leben sind. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern als Ratgeber. „Meine Generation hatte ganz andere Konflikte mit den Eltern. Heute fragen selbst 30-Jährige per WhatsApp: Wie seht Ihr das?“ Eltern müssen loslassen und ihrem Kind gleichzeitig das Gefühl geben: Ich bin weiter für dich da. Wichtig sei, Kinder kommen zu lassen. Aktiv eingreifen nur, wenn‘s gesundheitsgefährdend wird, rät der Bindungsexperte. „Einem 28-Jährigen kannst du den Geldhahn zudrehen, aber du hast keine Chance mehr, ihn zu erziehen.“
Lesenswert und mit vielen Beispielen beschreibt Claus Koch in „Wenn aus Jugendlichen Erwachsene werden“ die Odysseus-Jahre – und erzeugt beim Lesen manchen Aha-Effekt. Für ein gelingendes Erwachsenenleben wird das Fundament nicht nur in der frühen Kindheit, sondern auch in später Kindheit und in der Pubertät gelegt. Der Autor nennt sechs Bausteine oder Schlüsselqualifikationen, die dazu notwendig sind. Zum Selbstwertgefühl gehört, dass Eltern ihrem Kind in Krisen vermitteln: Du bleibst wertvoll, auch wenn du Mist baust oder nicht Professor wirst wie ich. Zur Kommunikationsfähigkeit gehört, dass Eltern Gesprächsfaden nicht abreißen lassen „Klingt so banal“, sagt der Wissenschaftler, „aber gibt ungeheure Kraft“.
Weitere Informationen:
www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/Claus-Koch-100.html
www.tagesanzeiger.ch/interview-uebers-zusammenleben-die-eltern-sind-keine-freunde-449714056616
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
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