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Gesundheits-/Sozialwirtschaft aktuell, Juli 2019
Seit Mai 2019 ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft. Fast unbemerkt ist in der Branche die darin enthaltene Regelung zur pflegerischen Betreuung geblieben. Betreuungsdienste werden erstmals als Teil der Regelversorgung zugelassen und können auf das Sachleistungsbudget der Pflegebedürftigen in voller Höhe zugreifen. Dies wird nicht nur zu einer Veränderung der Pflegelandschaft führen. Insbesondere für Anbieter des Betreuten Wohnens bietet diese Neuregelung bedeutsame Potenziale für eine Ausweitung der Leistungspalette. Andererseits ist durch das TSVG der erste Schritt zur „Entprofessionalisierung der Pflege“ eingeleitet.
Mit dem TSVG soll insbesondere erreicht werden, dass gesetzlich Versicherte künftig schneller einen Arzttermin erhalten. Darüber hinaus beinhaltet das umfassende Gesetzeswerk beispielsweise neue Regelungen zu Medizinischen Versorgungszentren sowie zur Einführung der elektronischen Patientenakte.
Zudem wurden in § 71 SGB XI (Pflegeeinrichtungen) mit einem neuen Absatz 1a „ambulante Betreuungseinrichtungen, die für Pflegebedürftige dauerhaft pflegerische Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung erbringen (Betreuungsdienste)“ als zugelassene Leistungserbringer im Bereich der Pflegeversicherung eingeführt.
Die Betreuungsdienste sollen das Leistungsspektrum der ambulanten pflegerischen Versorgung ergänzen und damit den erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff der Pflegestärkungsgesetze umsetzen, insbesondere für an Demenz erkrankte Personen. Ziele des Gesetzgebers sind darüber hinaus die Verbesserung der Versorgung in unterversorgten Regionen, eine Entlastung ambulanter Pflegedienste und eine Erweiterung des Fachkräftepotenzials.
Das Leistungsspektrum der Betreuungsdienste umfasst Hilfen für pflegerische Betreuungsmaßnahmen (z. B. Spaziergänge, Vorlesen, Unterstützung bei der Kommunikation, Erinnerungshilfen, Handarbeit, Spiele, Ausflüge, Gespräche) und Hilfen bei der Haushaltsführung. Bisher konnten Pflegebedürftige diese Leistungen nur dann auf Kosten der Pflegekassen in Anspruch nehmen, wenn sie durch ambulante Pflegedienste erbracht wurden. Insofern handelt es sich bei Betreuungsdiensten um einen neuen Kreis von Leistungserbringern, die auf das ambulante Sachleistungsbudget zugreifen bzw. schon vorher bestehende Leistungen ohne Versorgungsvertrag erbringen können.
Beim Leistungsspektrum der Betreuungsdienste gibt es Überschneidungen mit den ambulanten Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach § 45a SGB XI, die über den Entlastungsbetrag von 125 Euro monatlich finanziert werden können. Im Vergleich dazu werden die Betreuungsleistungen durch Betreuungsdienste professionalisiert und sind als Regelleistung über die Pflegeversicherung abrechenbar. Sie sind in die Beratungsansprüche nach § 37 Absatz 3 und § 7a SGB XI einzubeziehen. Von den niedrigschwelligen Angeboten grenzen sich Betreuungsdienste zudem durch weitergehende Qualitätsanforderungen ab.
Die Landesverbände der Pflegekassen werden verpflichtet, mit qualifizierten Leistungserbringern Verträge zu schließen, die qualitätsgesicherte pflegerische Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung anbieten.
Für die Betreuungsdienste gelten die Vorschriften des SGB XI für Pflegedienste entsprechend, soweit keine davon abweichenden Regelungen getroffen worden sind. Etwa dürfen Betreuungsdienste keine Beratungsbesuche gemäß § 37 Absatz 3 Satz 1 durchführen.
Insbesondere im Hinblick auf die personellen Voraussetzungen gibt es Unterschiede zu ambulanten Pflegediensten. Dem Leistungsspektrum der Betreuungsdienste entsprechend kommen unterschiedliche Ausgangsqualifikationen für die verantwortliche Fachkraft in Betracht. Die Versorgung Pflegebedürftiger soll so auf eine breitere fachliche und damit auch personelle Basis gestellt werden. An Stelle der verantwortlichen Pflegefachkraft können qualifizierte, fachlich geeignete und zuverlässige Fachkräfte mit zweijähriger Berufserfahrung in anderen Gebieten eingesetzt werden, vorzugsweise aus dem Gesundheits- und Sozialbereich. Dies können zum Beispiel Altentherapeuten, Heilerzieher, Heilerziehungspfleger, Heilpädagogen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie Sozialtherapeuten sein. Aber auch andere Fachkräfte wie Kaufleute und Handwerker können mit einer Zusatzqualifizierung gem. § 53c SGB XI (Richtlinien zur Qualifikation und zu den Aufgaben zusätzlicher Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen) in das neue Aufgabengebiet wechseln.
Bis zum 31. Juli 2019 hat der GKV-Spitzenverband Regelungen zur Qualitätssicherung bei Betreuungs- diensten zu beschließen. Hierbei wird es sich um Übergangsregelungen handeln, die bis zur Einführung des neuen Qualitätssicherungssystems der Pflege gelten, welches im Herbst 2019 vorliegen soll.
Verschiedene Fachverbände und Pflegeexperten üben z.T. massive Kritik am Konzept der Betreuungsdienste. So werden Qualitätsrisiken und eine Entprofessionalisierung der Pflege befürchtet. Körperpflege und medizinische Behandlungspflege (z.B. Medikamentengabe) könnten von den Betreuungskräften „nebenbei“ erbracht werden, ohne entsprechende Qualifikation. Dies führe zu qualitätsgeminderten Parallelstrukturen neben den qualitätsgesicherten Angeboten ambulanter Pflegedienste.
Darüber hinaus wird das Nebeneinander von unterschiedlichen Regelungen und Anforderungen für ambulante Betreuungsdienste und einer Vielzahl anderer „niedrigschwelliger Dienste“ kritisiert. Dies sei weder von Betroffenen und ihren Angehörigen noch von den zur Beratung verpflichteten Institutionen zu überblicken.
Zudem wird die Etablierung eines neuen Niedriglohnsektors in der ambulanten Pflege zu Lasten der bestehenden Leistungserbringer befürchtet. So unterliegen die Betreuungsdienste nicht den gesetzlichen Normen zur Anerkennung von tariflichen Löhnen. Damit würde vom Gesetzgeber die Forderung nach angemessenen Löhnen in der ambulanten Pflege umgangen, obwohl gerade diese von der Politik an anderer Stelle gefordert wird.
Insbesondere für Anbieter des Betreuten Wohnens erscheint es sehr attraktiv, ambulanten Betreuungsdiensten zu gründen, um entsprechende Versorgungsleistungen über das ambulante Sachleistungsbudget ab- rechnen zu können. Dies senkt unmittelbar die Kosten für die pflegebedürftigen Bewohner. Ambulante Pflegedienste können sich auf die für sie interessante Körper- und Behandlungspflege der Bewohner konzentrieren.
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Prof. Dr. Harald Schmitz (Vorsitzender), Thomas Kahleis, Oliver Luckner
Dr. Matthias Berger
Markus Sobottke (v.i.S.d.P.)
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