Türkisch-Deutscher Frauenverein

Bei der anonymen Zufluchtseinrichtung des Türkisch-Deutschen Frauenvereins in Berlin finden von Gewalt betroffene junge Frauen mit Migrationshintergrund Schutz, Verständnis und unbürokratische Hilfe.

Eine Frau mit lockigem Haar stützt ihren Kopf auf die Hand und schaut nachdenklich aus dem Fenster.
Kurz und kompakt
Über die Organisation

Seit 1986 betreibt der Türkisch-Deutsche Frauenverein die Kriseneinrichtung PAPATYA. Die Wohnung mit einer geheimen Adresse bietet Platz für acht Mädchen und Frauen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren. Minderjährige werden auf Grundlage des § 42, junge Volljährige nach § 41 Kinder- und Jugendhilfegesetz aufgenommen. Im Durchschnitt bleiben sie zwei bis drei Monate. Finanziert wird das Angebot vorwiegend durch den Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie. Hinzu kommen Tageskostensätze für Aufnahmen aus dem Bundesgebiet sowie Drittmittel und Spenden. Seit 2004 betreibt das Team die anonyme Onlineberatung SIBEL, deren Namen durch die Schauspielerin Sibel Kekilli inspiriert ist. Seit 2013 übernimmt PAPATYA zudem die Aufgabe als Koordinierungsstelle gegen Verschleppung und Zwangsheirat.

Gründungsjahr

1986

Zahl der Mitarbeitenden

Ein 11-köpfiges interkulturelles Frauenteam kümmert sich im 24/7-Modus um die Mädchen und Beratungsanfragen Alle Mitarbeitenden arbeiten nicht unter ihrem Klarnamen, sondern verwenden ein Pseudonym.

Türkisch-Deutscher Frauenverein e.V.
„Die Mädchen und jungen Frauen, mit denen wir arbeiten, sind hohen Belastungen und großem psychischem Stress ausgesetzt.“

Familiäre Gewalt: Wie PAPATYA Mädchen in Not hilft

Immer wieder werden in Deutschland lebende Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund zu Opfern von familiärer Gewalt, Zwangsverheiratung und Verschleppung. Bei der anonymen Zufluchtseinrichtung und den Beratungsangeboten von PAPATYA in Berlin finden sie Schutz, Verständnis und unbürokratische Hilfe.

Seit 1986 betreibt der Türkisch-Deutsche Frauenverein die Kriseneinrichtung PAPATYA. Die Wohnung mit einer geheimen Adresse bietet Platz für acht Mädchen und Frauen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren. Minderjährige werden auf Grundlage des § 42, junge Volljährige nach § 41 Kinder- und Jugendhilfegesetz aufgenommen. Im Durchschnitt bleiben sie zwei bis drei Monate. Finanziert wird das Angebot vorwiegend durch den Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie. Hinzu kommen Tageskostensätze für Aufnahmen aus dem Bundesgebiet sowie Drittmittel und Spenden. Seit 2004 betreibt das Team die anonyme Onlineberatung SIBEL, deren Namen durch die Schauspielerin Sibel Kekilli inspiriert ist. Seit 2013 übernimmt PAPATYA zudem die Aufgabe als Koordinierungsstelle gegen Verschleppung und Zwangsheirat. Ein 11-köpfiges interkulturelles Frauenteam kümmert sich im 24/7-Modus um die Mädchen und Beratungsanfragen Alle Mitarbeitenden arbeiten nicht unter ihrem Klarnamen, sondern verwenden ein Pseudonym.

Lange Zeit gab es keine validen Zahlen über das Ausmaß des Problems. Licht ins Dunkle brachte eine bundesweite Studie von 2011, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben hatte. Diese fand heraus, dass sich 2008 mehr als 3400 Personen durch entsprechende Fachstellen zum Thema „Zwangsheirat“ beraten ließen. Fast alle hatten einen Migrationshintergrund. 32 % der Ratsuchenden waren in Deutschland geboren, 44 % besaßen einen deutschen Pass (bzw. eine doppelte Staatsangehörigkeit). Allerdings gehen die Autor*innen von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Betroffener aus. 

Im Juli 2025 informierte das Bezirksamt Neukölln über vorsorgende Maßnahmen, die Jugendliche angesichts einer drohender Zwangsverheiratung und Heiratsverschleppung ergreifen können. Gerade vor den Sommerferien befürchteten viele, dass man sie in den Herkunftsländern der Eltern oder am Urlaubsort gegen ihren Willen verheiratet, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Betroffenen sollten sich etwa an eine Vertrauensperson wenden und eine Kopie des Passes, des Rückflugtickets und Bargeld versteckt bei sich tragen. Außerdem verwies das Amt auf Links zu Hilfs- und Beratungseinrichtungen auf seiner Internetseite. 

Familiäre Kontrolle statt Selbstbestimmung

„PAPATYA wurde 1986 aus der Not heraus als Modellprojekt ins Leben gerufen, weil es im bestehenden Jugendhilfesystem damals kaum geeignete Angebote für Mädchen mit Migrationshintergrund gab“, berichtet Mona Siegert [Name geändert], Geschäftsführerin des Türkisch-Deutschen Frauenvereins e. V. und Projektverantwortliche bei PAPATYA. „Viele der hilfesuchenden Mädchen stammten aus türkischen Familien, in denen ein Aufenthalt in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht akzeptiert wurde. Das führte teilweise zu massiven Bedrohungen bis hin zu Fällen von Waffengewalt – auch gegen Mitarbeitende.“

Angesichts dieser Situation beschloss der Berliner Senat, eine pauschalfinanzierte Einrichtung zu schaffen, die gefährdete Mädchen und junge Frauen schnell und unbürokratisch aufnehmen kann. So entstand PAPATYA als sichere Schutzunterkunft an einem geheimen Ort, betrieben von einem interkulturellen, mehrsprachigen Frauenteam. Die Anonymität war von Anfang an ein zentrales Sicherheitskonzept, da es oft um Gewalt im familiären oder erweiterten sozialen Umfeld ging, in dem die Familien eng miteinander vernetzt waren.

„Die Familien, aus denen die Mädchen kommen, sind bis heute patriarchal und kollektiv geprägt“, erklärt Mona Siegert. „Ein selbstbestimmtes Leben der Töchter ist in diesen Strukturen einfach nicht vorstellbar, und auch innerfamiliäre Gewalt ist oft ein Tabu. Wenn die Mädchen eigene Wege gehen wollen, kommt es schnell zu massiven Konflikten.“

Digitale Verfolgung birgt Risiken

Seit den 1980er Jahren hat sich die Situation verändert. Inzwischen sind es vor allem Mädchen mit einem Fluchthintergrund, die nach Unterstützung suchen. Außerdem muss sich das Team mit neuen Risiken auseinandersetzen. Zu nennen sind insbesondere digitale Tracker, die heimlich von den Eltern installiert werden. Beim Einzug in die Kriseneinrichtung müssen die Mädchen deshalb ihre Smartphones abgeben. Aus Sicherheitsgründen ist dieser Schritt zwar unerlässlich. Trotzdem reagieren manche mit Unverständnis und verzichten darauf, die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hier wünscht sich das PAPATYA-Team mehr Aufklärung seitens der Jugendämter. 

Strenge Geheimhaltung gilt auch für das Beratungsangebot SIBEL, das daher ausschließlich online oder telefonisch stattfindet. Die wichtigsten Zielgruppen sind Mädchen und junge Frauen, die mit ihrer Familie in einen Konflikt geraten. „Darüber hinaus“, sagt Mona Siegert, „beraten wir Fachkräfte und privat Helfende. Auch bedrohte LGBTI*Q sowie Paare, deren Beziehung von ihren Familien aus religiösen oder kulturellen Gründen nicht geduldet wird.“ Ihre Expertise stellen die Mitarbeitenden außerdem externen Fachkräften und privaten Unterstützer*innen zur Verfügung. 

Allein 2024 gab es 1934 Beratungskontakte per E-Mail, Messenger-Diensten, Telefon oder Videoberatung. „150 Ratsuchende waren von einer Zwangsverheiratung betroffen, die in 84 % der Fälle noch nicht vollzogen war“, berichtet Mona Siegert. In 31 % der Fälle drohte die Verheiratung konkret, in 16 % der Fälle war sie bereits erfolgt. Von einer drohenden oder erfolgten Verschleppung ins Ausland waren 107 Ratsuchende betroffen. 43 von ihnen befanden sich bereits im Ausland, in neun Fällen könnte das Team ihnen zu einer Rückkehr verhelfen. 

Zwischen Freiheitswunsch und Solidarität 

„Die Mädchen und jungen Frauen, mit denen wir arbeiten, sind hohen Belastungen und großem psychischem Stress ausgesetzt“, betont Mona Siegert. „Viele sind komplex traumatisiert und zugleich in einer starken inneren Zerrissenheit. Sie schwanken zwischen dem Wunsch nach Freiheit und der Loyalität zu ihren Familien.“ Manche bräuchten daher mehrere Anläufe, um den Absprung zu schaffen. Bei den Jugendämtern fehle häufig das Verständnis für diese Ambivalenz, erklärt Siegert. „Besonders gefährlich wird es, wenn Mädchen sich beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen oder dem Jugendamt anvertrauen und daraufhin ein gemeinsames Gespräch mit den Familien anberaumt wird.“ 

Auch drohende Verschleppungen stellen einen blinden Fleck dar: „Für manche Familien kann schon der drohende Zugriff des Jugendamts oder ein vorheriger Aufenthalt in der Jugendhilfe der Auslöser für eine Verschleppung sein.“ Hier müsse die Prävention deutlich sensibler und vorausschauender greifen. Allerdings ist die Problematik von „Verschleppung“ bislang nicht flächendeckend bekannt und eindeutig definiert. Die Koordinierungsstelle gegen Verschleppung und Zwangsverheiratung versteht darunter eine Situation, in der jemand von der eigenen Familie oder Verwandten gezwungen wird, im Ausland (zurück) zu bleiben. 

Um solchen Gefährdungslagen frühzeitig entgegenzuwirken, leistet PAPATYA einen unverzichtbaren Beitrag zur Prävention. Die Mitarbeitenden führen regelmäßig Qualifizierungen für die Schulsozialarbeit, Lehrer*innen und Jugendämter durch. Was bislang fehlt, ist eine flächendeckende Finanzierung solcher Angebote. Deshalb spricht sich Mona Siegert dafür aus, das Thema „Zwangsheirat und Verschleppung“ in die Ausbildungscurricula der sozialen Berufe zu integrieren. 

Maßnahmen im Falle einer erfolgten Verschleppung

Kommt es dazu, stoßen die Betroffenen meist über eine Internetrecherche auf PAPATYA und das Angebot der Koordinierungsstelle gegen Verschleppung und Zwangsverheiratung. Mit den Mitarbeitenden kommunizieren sie über ein Kontaktformular, eine sichere Beratungsplattform oder einen geschützten Messengerdienst. Eine wichtige Aufgabe des Teams besteht darin, eine Brücke zwischen den Betroffenen und den Jugendämtern, Konsulaten oder Botschaften zu bauen. „Wir können den Betroffenen vor Ort Türen öffnen und beteiligte Stellen für die Problematik sensibilisieren“, so Siegert. Bezögen die Familien Sozialleistungen, könne es mittels einer Vorladung gelingen, Druck aufzubauen. „Manchmal werden die Mädchen dann zurück nach Deutschland geholt.“ Ein Sorgerechtsentzug in Abwesenheit könne von den Jugendämtern eingeleitet werden und sei in manchen Fällen sinnvoll, um handlungsfähig zu bleiben, erklärt Mona Siegert. „Allerdings muss dieser Schritt wie jeder Eingriff in der Koordinierung solcher Fälle sehr sorgfältig abgewogen werden, um die Gefährdung der Betroffenen nicht zu verstärken.“

Was man über konkrete Fälle wisse, sei nur die Spitze des Eisbergs, glaubt Mona Siegert. Nur die ganz Mutigen brächten die Kraft auf, sich gegen den Willen ihrer Familien zu stemmen. 

Ohne Spenden geht es nicht

Angesichts der komplexen Aufgaben sind die Ressourcen von PAPATYA jedoch viel zu gering, wie Mona Siegert kritisiert. Das Team müsse sehr kreativ sein, um der Verantwortung gerecht werden zu können. Deshalb ist die Arbeit ohne Spenden nicht machbar. „Es gibt Bedarfe, die keine Behörde übernimmt, wie etwa die Reisekosten für die Rückkehr aus dem Ausland.“ Hinzu kommen Kosten für Supervision und Fortbildung. Neben finanziellen Mittel sind auch Sachspenden gefragt, wie beispielsweise neue Kleidung und Drogerieprodukte.