
Mit der Einführung der EU-Taxonomie und der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), ergeben sich auch für die Sozial- und Gesundheitswirtschaft ab 2023 neue Berichtspflichten. Im Folgenden werden der Hintergrund, die Struktur und Inhalte der EU-Taxonomie sowie die neuen Anforderungen an die Berichterstattung über Nachhaltigkeit erläutert.
Die Europäische Union (EU) hat sich 2016 mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens zur Verfolgung der darin vereinbarten Klimaziele sowie einer nachhaltigeren Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft verpflichtet. Zudem ist der europäische Green Deal die neue Wachstumsstrategie der EU. Das große übergeordnete Ziel: Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden.
Öffentliche Investitionen allein werden jedoch nicht ausreichen, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Daher verfolgt die EU das Ziel, privates Kapital über den Finanzmarkt in nachhaltige Investitionen zu lenken.
Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, wurde 2018 der EU-Aktionsplan Sustainable Finance veröffentlicht.
Dieser umfasst zehn Maßnahmen:
- Einrichtung eines EU-Klassifizierungssystems für Nachhaltigkeitsaktivitäten (Taxonomie)
- Standards und Labels für grüne Produkte
- Förderung von Investitionen in nachhaltige Produkte
- Einbezug der Nachhaltigkeit in die Anlageberatung
- Entwicklung von Nachhaltigkeits-Benchmarks
- Bessere Integration von Nachhaltigkeit in Ratings und Finanzanalyse
- Klärung der Pflichten von institutionellen Anlegern und Vermögensverwaltern
- Einbeziehung der Nachhaltigkeit in die aufsichtsrechtlichen Anforderungen
- Stärkung der Offenlegung von Nachhaltigkeit und der Aufstellung von Rechnungslegungsvorschriften
- Förderung nachhaltiger Unternehmensführung und Dämpfung von Kurzfristigkeit auf den Kapitalmärkten
Und verfolgt drei Ziele:
- Neuausrichtung der Kapitalströme auf nachhaltige Investitionen
- Einbeziehung der Nachhaltigkeit in das Risikomanagement
- Förderung der Transparenz und Langfristigkeit in Finanz- und Wirtschaftstätigkeiten
„Herzstück“ des Aktionsplans ist die sogenannte EU-Taxonomie, die nicht nur für die Finanzwirtschaft, sondern für alle Wirtschaftsbereiche von Relevanz sein kann.
EU-Taxonomie
Die Taxonomie verfolgt das Ziel, ein EU-weites Klassifizierungssystem für die Bewertung der Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten zu etablieren. Mithilfe der Taxonomie wird zukünftig eine rechtliche Unterscheidung zwischen „nachhaltigen“ und „nicht-nachhaltigen“ Aktivitäten möglich sein. Der Fokus der Taxonomie liegt bisher auf der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit. In einem nächsten Schritt soll die soziale Taxonomie folgen. Mit der Einführung der Taxonomie wird Nachhaltigkeit zukünftig zu einem Kriterium des Risikomanagements in der Finanzwirtschaft. Nachdem die EU-Kommission zu Beginn des Jahres vorgeschlagen hatte, dass Kern- und Gaskraftwerke unter die Taxonomie fallen sollen und das Europäische Parlament dem in seiner Sitzung am 6. Juli zugestimmt hat, wird umfangreich und intensiv über die Qualität und Glaubhaftigkeit der Taxonomie diskutiert.
Die Prüfung der Taxonomie erfolgt in vier Schritten:
1. Fällt die Aktivität oder die Investition in einen der folgenden Wirtschaftszweige?
Forstwirtschaft
- Umweltschutz und Wiederherstellung
- Verarbeitendes Gewerbe
- Energie
- Wasserversorgung
- Verkehr
- Baugewerbe und Immobilien
- Information und Kommunikation
2. Leistet die Investition einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung von mindestens einem der folgenden sechs Umweltziele?
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme
Die Prüfung erfolgt anhand sogenannter Technischer Regulierungsstandards (RTS). Die RTS wurden bisher für die Umweltziele 1 und 2 veröffentlicht. Die noch fehlenden werden voraussichtlich 2022 veröffentlicht.
3. Wird die Zielerreichung keines der anderen Ziele beeinträchtigt („Do-No-Significant-Harm“)?
4. Werden mit der Ausübung der Wirtschaftstätigkeit bestimmte soziale Mindeststandards eingehalten? Dazu zählen unter anderem die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte oder die internationale Charta der Menschenrechte.
Die Sozial- und Gesundheitswirtschaft wird nach derzeitigem Kenntnisstand durch die Bereiche „Baugewerbe und Immobilien“ (Neubau, Sanierungen), „Energie“ (Bereitstellung von Wärme in Gebäuden) und „Verkehr“ (Beschaffung von Automobilen, Elektrifizierung der Dienstwagenflotte) betroffen sein.
Immobilien spielen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft eine zentrale Rolle, da die meisten Einrichtungen auch Eigentümer ihrer Immobilien sind und sich deshalb immer wieder mit Erhalt, Renovierung, Kauf oder Errichtung von Immobilien auseinandersetzen müssen.
Die Kriterien sind klar umrissen: Es geht um Anforderungen an den Primärenergiebedarf oder die Ermittlung physischer Klimarisiken, die für die Tätigkeit wesentlich sind. Dazu zählen unter anderem Hitze- oder Kältewellen, Brände oder starke Niederschläge bis hin zu Überflutungen. Bei Neubauten beispielsweise muss zur Erreichung des Klimaschutzziels der primäre Energiebedarf mindestens zehn Prozent unterhalb der entsprechenden Anforderungen an ein Niedrigstenergiegebäude der jeweiligen nationalen gesetzlichen Vorgaben liegen. Nur wenn alle Kriterien aus den technischen Bewertungskriterien (Regulatory Technical Screening Criteria, RTS) erfüllt sind, gilt die Wirtschaftstätigkeit gemäß Taxonomie als nachhaltig.
Die Wirkung der Taxonomie muss im Kontext der gesamten Maßnahmen der EU gesehen werden. Die EU-Taxonomie bildet die Grundlage für weitere Bereiche, die beispielsweise nachhaltige Finanzprodukte, Berichts- und Offenlegungspflichten oder neue Aufsichtsvorschriften für die Finanzwirtschaft betreffen.
Wer ist von der Taxonomie betroffen?
In den Geltungsbereich der Taxonomie-Verordnung fallen bisher große Unternehmen, für die die Verpflichtung gilt, eine nichtfinanzielle Erklärung oder eine konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung nach Art. 19a bzw. Art. 29a des CSR-Richtlinienumsetzungsgesetzes (CSR RUG) zu veröffentlichen. Für die Erfüllung der Pflicht kann bspw. der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) genutzt werden. Aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft sind bisher nur sehr wenige Träger und Unternehmen berichtspflichtig.
Nach der im April 2021 vorgelegten EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) müssen ab 2024 deutlich mehr Unternehmen entsprechende Informationen und Kennziffern vorlegen.
Die Erstellung einer nichtfinanziellen Erklärung wird zukünftig für alle großen Unternehmen verpflichtend, die über mehr als 250 Mitarbeitende verfügen und entweder mehr als 40 Millionen Euro Umsatz oder 20 Millionen Euro Bilanzsumme aufweisen. Eine weitere Ausweitung der Berichtspflicht auf kleine und mittlere Unternehmen ist ab 2026 vorgesehen.
Die nichtfinanzielle Erklärung muss in Zukunft extern von unabhängigen Gutachter*innen geprüft werden. Die Veröffentlichung muss im Lagebericht des Geschäftsberichtes erfolgen. Hierdurch wird die Berichtspflicht deutlich ausgeweitet und ab 2024 auch Unternehmen und Träger der Sozial- und Gesundheitswirtschaft betreffen, welche die genannten Kriterien erfüllen.
Nicht-Finanzunternehmen, die zukünftig von der CSRD betroffen sind, müssen angeben, inwieweit ökologisch nachhaltige Umsatzerlöse, Betriebsausgaben und Investitionsausgaben angefallen sind. Bei Unternehmen und Trägern der Sozial- und Gesundheitswirtschaft sind gerade die taxonomiekonformen Betriebsausgaben wie Aufwendungen für Gebäudesanierung, Wartung oder Reparaturen sowie Investitionen für Neubau und Sanierungsmaßnahmen hervorzuheben. Aktuell wird in der EU jedoch über eine Verschiebung der Einführung der CSRD auf das Geschäftsjahr 2025 diskutiert. Für kleine und mittlere Unternehmen, die wegen fehlender Angaben von Firmen in ihren Lieferketten nicht in der Lage sind, bestimmte Informationen bereitzustellen, soll ein dreijähriger Übergangszeitraum gelten, d.h., sie werden voraussichtlich bis 2028 von der Berichtspflicht ausgenommen sein.
Für Kreditinstitute gelten hingegen andere Vorgaben. Ab 2022 müssen Kreditinstitute für das Geschäftsjahr 2021 nach einem vereinfachten Prozess zur Taxonomie berichten. Ab 2024 müssen sie die Green Asset Ratio (GAR) als neue Taxonomie-Kennzahl offenlegen. Dies hat unmittelbar zur Folge, dass Kreditinstitute zahlreiche zusätzliche Daten im Rahmen von Kreditanfragen erheben müssen.
Die Ausgestaltung der Taxonomie verläuft sehr dynamisch. Die soziale Taxonomie wird derzeit entwickelt und befindet sich noch in einem frühen Stadium. Anfang März wurde der EU-Kommission eine erste Empfehlung vorgelegt. Eine zeitnahe Umsetzung ist wenig wahrscheinlich.
Fazit
Für die Sozial- und Gesundheitswirtschaft ergeben sich nach derzeitigem Kenntnisstand folgende wesentliche Implikationen:
Unternehmen und Träger, die unter die Regelungen der CSRD fallen, werden ab 2024 zur Erstellung eines nichtfinanziellen Berichts verpflichtet. Hieraus ergeben sich zahlreiche Anforderungen zur Bereitstellung von zusätzlichen Informationen und zur Erhebung von relevanten Daten rund um das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere zur Betriebsökologie.
Für den Zugang zum Kredit- und Kapitalmarkt ist zukünftig die Bereitstellung von Daten notwendig. Finanzinstitute werden verpflichtet, bei Finanzierungen zu prüfen, ob der Kreditnehmer einen nichtfinanziellen Bericht erstellen muss. Wenn ja, muss die Investition hinsichtlich der Taxonomiekonformität überprüft werden. Dadurch entsteht zusätzlicher Informationsbedarf zwischen Finanzinstituten und ihren Kunden. Beispiele sind Energieausweise der Gebäude, technische Details zur Ausstattung, Luftdichtheitsprüfung der Gebäude, Analyse physischer Klimarisiken, CO2-Emissionen der Fahrzeuge.