Der Deutsche Caritasverband feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Jubiläum. 1897 in Köln gegründet, um die Schlagkraft der katholischen Sozialbewegung zu stärken, ist er heute der größte Wohlfahrtsverband Deutschlands mit rund 700.000 hauptamtlich und rund 500.000 freiwillig-ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden.
»Frau Welskop-Deffaa, kann man Nächstenliebe eigentlich organisieren?«
Welskop-Deffaa: Nächstenliebe kann man nicht verordnen. Die verbandlich organisierte Caritas allerdings geht über Nächstenliebe als persönliche Tugend hinaus. Caritas steht für gemeinsames Engagement. Die „Liebestätigkeit“ der katholischen Sozialbewegung hat eine neue gesellschaftliche Wirksamkeit erfahren, als die „in kleine Vereine zersplitterte und in Harmlosigkeit nach alten Rezepten arbeitende katholische Armen-, Kinder- und Jugendpflege“ unter einem Dach zusammengeführt wurde. So erläuterte eine Denkschrift für die Bischöfe im Ersten Weltkrieg den Vorteil der Verbandsgründung und bewegte sie damit, den Verband zwanzig Jahre nach seiner Gründung offiziell anzuerkennen. Unter den Vorzeichen der Digitalisierung und angesichts einer dichten Abfolge sich gegenseitig verstärkender Krisen scheint mir heute offensichtlich: „Not sehen und handeln“ ist ohne verbandliche Vernetzung und Zusammenarbeit wirksam nicht zu leisten.
»Vieles an der heutigen Zeit, gerade im Kontext von Krieg, Inflation und Arbeitslosigkeit, erinnert frappierend an frühere Krisen und historische Scheidewege. Was antworten Sie angesichts des 125-jährigen Jubiläums der Vielzahl der Menschen, die Angst vor der Zukunft haben?«
Die Nöte und Schrecken unserer Zeit – Kriege, Flucht und Vertreibung, Geldentwertung, Arbeitslosigkeit – sind uns aus der Caritasgeschichte leider nur zu gut bekannt. Aktuell erleben wir aber eine so dichte Taktung sich gegenseitig verstärkender Krisen, dass einem gelegentlich schwindelig wird. Den Menschen, auch unseren Mitarbeitenden, stecken die Corona-Jahre noch in den Knochen, da gilt es, den Vielen wirksam zu helfen, die aus der Ukraine und von überallher nach Deutschland fliehen, weil ihre Heimat zerstört und ihre Familien verfolgt sind. Es ist nicht leicht, genug Mitarbeitende zu finden, die in den Psychosozialen Zentren, in der Migrationsberatung, in den Kindergärten die Unterstützung leisten, die dringend notwendig ist. Ich bin immer wieder neu dankbar, dass sich Menschen für soziale Arbeit als Beruf entscheiden – in Pflegeeinrichtungen, in der Eingliederungshilfe, als Erzieherin, als Beratungsfachkraft. Und ich weiß, dass wir nur mit unseren freiwillig Engagierten die schnelle Krisenhilfe leisten können, die bei der Ahrflut, in den Bahnhofsmissionen, für Lesepatenschaften und in der Energiesparbegleitung gebraucht wird. Wir müssen in unserer Gesellschaft mit großer Aufmerksamkeit aufeinander aufpassen und als Caritas mit Zukunftsmut vorangehen. Nur so kann es uns gelingen, die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, nur so können wir verhindern, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet.
»Das Flammenkreuz ist seit vielen Jahrzehnten das Markenzeichen der Caritas – die meisten von uns werden es kennen. Wie sieht es denn insgesamt mit der Marke Caritas aus?«
Unser Markenzeichen – das Flammenkreuz – ist tatsächlich sehr bekannt. In seiner jetzigen Form ist es 60 Jahre alt und übersetzt aussagekräftig unser Selbstverständnis. Das Kreuz markiert den Ort, wo Hilfe dringend gefordert ist, und die Pfingstflammen symbolisieren die Leidenschaft und Tatkraft, mit der Caritas sich den verschiedenen Notlagen entgegenstellt. National und international. Ich habe mich gefreut, dass die Sonderbriefmarke, die uns am Tag unseres 125. Geburtstags am Gründungsort Köln vom Finanzministerium überreicht wurde, das Flammenkreuz in den Mittelpunkt rückt. Mit allen Briefen, die mit der Marke frankiert werden, entstehen neue Begegnungen der Caritas mit Menschen, die unsere Hilfe brauchen, und Menschen, die sich eingeladen fühlen, uns zu unterstützen. Jede neue Katastrophe, jede Krise legt einen neuen Ring um den Markenkern der Caritas. Die Interpretationshoheit zu halten ist da nicht leicht. Vielleicht sieht manch einer im Kreuz unseres Logos schlicht das Pluszeichen. Auch das ist nicht falsch. Denn die Marke Caritas steht für das große UND. Alt und Jung, Menschen mit Migrationsgeschichte und mit Beeinträchtigung, Menschen mit Suizidgedanken und Menschen ohne Wohnung – für sie alle wollen wir die passenden Angebote vorhalten. Heute und morgen.
Bildnachweise: Deutscher Caritasverband