Die hohe Inflation und rasant gestiegene Energiepreise bringen viele Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft an ihre finanziellen Grenzen. Eine Branchenumfrage der BFS Service GmbH offenbart die Auswirkungen und strukturelle Risiken.
Für das „Trendbarometer Sozial- und Gesundheitswirtschaft“ hat die BFS Service GmbH zwischen dem 16. September und dem 6. Oktober ausgewählte Vertreter*innen von mehr als 1.000 Einrichtungen und Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zu den Auswirkungen der massiv steigenden Kosten befragt. Die Ergebnisse verdeutlichen den Bedarf an kurzfristigen Hilfsmaßnahmen, um die flächendeckende Versorgung weiterhin zu gewährleisten. Gegenüber dem Vorjahr berichten die Befragten von Preissteigerungen von 33 Prozent für Energie und 14 Prozent für Lebensmittel (Mittelwerte). Die Kosten für Miete bzw. Pacht sind in dieser Zeit um 9 Prozent gestiegen, für Personal um 8 Prozent. Bis zum Jahresende erwarteten die Befragten in allen Bereichen weitere Steigerungen.
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Die Kostenexplosion bringt viele Einrichtungen in Existenznöte. Fast 40 Prozent der Befragten gehen davon aus, im Jahr 2022 ein Jahresdefizit zu erwirtschaften. Mehr als 70 Prozent berichten von einer Verschlechterung der Liquiditätssituation. Rund die Hälfte der Befragten sagen aus, dass Nachhaltigkeits- oder Immobilienprojekte gestoppt oder gänzlich abgebrochen werden mussten. Damit lägen dringend notwendige energetische Sanierungen auf Eis. Die langfristigen Gefahren sind offenkundig: „Die Folge steigender Kosten bei gleichbleibender Vergütung sind Liquiditätsengpässe und der Stopp dringend notwendiger Investitionsvorhaben. Dies bedroht die flächendeckende Versorgung“, erklärt Susanne Leciejewski, Geschäftsleiterin Beratung bei der BFS Service.
Im Rahmen der Befragung forderten die Branchenvertreter einen gezielten Ausgleich der gestiegenen Energiekosten, zügige und wirksame Entscheidungen der Politik und beschleunigte Verhandlungsprozesse zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern. Doch seitens der Kostenträger besteht nur eingeschränkte Bereitschaft, den Einrichtungen durch höhere Vergütungen zu helfen: In keinem Geschäftsfeld zeigten sie sich laut der Befragung bereit, die gestiegenen Kosten vollumfänglich zu kompensieren. Demnach gab eine Mehrheit der Befragten aus der ambulanten Pflege, der Eingliederungshilfe und der stationären Pflege an, dass die Kostenträger keinerlei Bereitschaft zeigten, diesbezüglich zu verhandeln. Eine teilweise Bereitschaft sei im Bereich Vorsorge und Rehabilitation und im Krankenhauswesen erkennbar.
Finanzielle Hilfen zur Entlastung
„Die Leistungserbringer benötigen schnellstmöglich Lösungen im Umgang mit den massiven Mehrkosten“, betonte Prof. Dr. Harald Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Bank für Sozial- wirtschaft, anlässlich der Veröffentlichung des Trendbarometers. „Wird jetzt nicht zügig reagiert, droht eine kalte Strukturbereinigung infolge der Inflation.“ Das haben offenbar auch Bund und Länder erkannt und sich in einem am 3. November verabschiedeten Eckpunktepapier auf finanzielle Hilfen zur Entlastung sozialer Einrichtungen geeinigt. Im Fokus stehen vor allem Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser. Konkrete Regelungen und Verfahrensweisen befanden sich bis zum Redaktionsschluss dieser Sozialus-Ausgabe noch in Ausarbeitung; auch ein genauer Zeitplan stand noch nicht fest. In dem Eckpunktepapier werden unter anderem Einrichtungen nicht berücksichtigt, deren Finanzierung über kommunale Kostenträger erfolgt. Damit wird nur für einen Teil der Branche ein Schutzschirm vorbereitet. Liquiditätsengpässe und das Zurückstellen dringend notwendiger Investitionsvorhaben sind daher zu befürchten.
Ergänzend zu den bundespolitischen Plänen sehen einzelne Länder eigene Maßnahmen vor: Hamburg hat beispielsweise einen Härtefallfonds (Beihilfe) eingerichtet und will insgesamt 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen, wo die Bundeshilfen nicht ausreichen. Die weiteren Eckpunkte – Zielgruppe, Höhe usw. – sind derweil noch zu definieren. Thüringen hat 120 Millionen Euro für einen Härtefallfonds freigegeben. Die Ausgestaltung ist auch hier noch nicht bekannt, wobei die Beantragung von Hilfsgeldern bereits ab Dezember möglich sein soll. Der vom Land Bayern angekündigte Härtefallfonds soll explizit auch den Einrichtungen der sozialen Infrastruktur zur Verfügung stehen, allerdings erst im Verlauf des Jahres 2023 beantragt werden können. Somit scheinen die Appelle aus der Sozialwirtschaft zwar grundsätzlich politisches Gehör gefunden zu haben. Doch bis weit in den Herbst des Jahres hinein ist dennoch nicht klar geregelt, wer unter welchen Bedingungen womit rechnen kann.
Die großen Unklarheiten hinsichtlich möglicher Hilfsgelder unterstreichen den Bedarf nach grundlegenden Systemanpassungen, sagt Susanne Leciejewski: „Wichtig ist ein Finanzierungs- und Regelsystem, das auf plötzliche Schwankungen umgehend reagieren kann. Die heutigen Regelungen lassen nur sehr träge Reaktionen auf schnelle exogene Veränderungen zu.“ Kurzfristig ist angesichts der Kostenexplosion jedoch zu konstatieren, dass eigentlich als notwendig eingeschätzte Investitionen gestoppt werden. „Dies führt zu umso höheren Kosten in der Zukunft“, stellt Leciejewski fest. „Dabei müssten eigentlich kurzfristige Lösungen gefunden werden, um den erheblichen Sanierungsstau der Einrichtungen insbesondere vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsziele zu bewältigen.“ Kundinnen und Kunden der Bank für Sozialwirtschaft können mit ihrer Beraterin oder ihrem Berater über Möglichkeiten sprechen, um trotz der derzeitigen Rahmenbedingungen vollständig handlungsfähig zu bleiben.