
Nachhaltiges Anlegen ist derzeit in aller Munde. Zeitungen und Zeitschriften überschlagen sich im Lob dieser Anlageform. Die dabei verbreitete Botschaft lautet typischerweise, dass nachhaltiges Anlegen gleichzeitig zwei Ziele erreicht: Es fördert die Umgestaltung der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und liefert gleichzeitig ein besseres Anlageergebnis als traditionelle Finanzanlagen. Dies klingt fast zu schön, um wahr zu sein – und bedarf deshalb einer kritischen Betrachtung unter Rückgriff auf den aktuellen Stand der Wissenschaft.
Nachhaltiges Anlegen erfreut sich zwar erst in den letzten Jahren besonderer Beliebtheit, doch blickt es auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. Seine Wurzeln hat es in der Vorstellung, mit eigenen Geldanlagen anderen Menschen nicht schaden zu wollen. So verboten die Quäker schon im 18. Jahrhundert ihren Mitgliedern, in Sektoren zu investieren, die dieser Grundidee widersprachen. Damit schlossen sie Investitionen in die Alkohol-, Tabak-, Waffen- und Glücksspielindustrie genauso aus wie Investitionen in Unternehmen, die ihr Geld mit Sklavenhandel verdienten. Ein solches Ausschlussverfahren, das sogenannte Negative Screening, ist bis heute unter nachhaltigen Anlegern weit verbreitet, auch wenn sich die als nicht-nachhaltig klassifizierten Industrien teilweise geändert haben und derzeit besonders stark auf den Aspekt der Umweltverschmutzung geachtet wird.
Mehr Kapital für nachhaltig handelnde Unternehmen
War nachhaltiges Anlegen in seiner Anfangszeit auf spezielle Gruppen beschränkt, so ist es heute im Zentrum der Gesellschaft angekommen. Ursache hierfür ist nicht zuletzt das drängende Problem des Klimawandels, das immer mehr im Bewusstsein der Menschen ankommt und dessen Bekämpfung sich die Politik verstärkt auf die Fahnen geschrieben hat. So formuliert der European Green Deal der Europäischen Union das Ziel, Europa bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu machen. Der hierfür nötige Umbau der Wirtschaft wird viele Milliarden Euro verschlingen, die nur teilweise von den öffentlichen Haushalten aufgebracht werden können. Deshalb hat die EU Regelungen auf den Weg gebracht, die privates Kapital hin zu ökologisch nachhaltigen Projekten und Unternehmen lenken sollen. Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass Anleger direkt in nachhaltige Projekte investieren. Viel häufiger werden solche Investitionen allerdings indirekt erfolgen, indem Anleger nachhaltig agierenden Unternehmen mehr Kapital zur Verfügung stellen. Durch dieses größere Kapitalangebot sollten die Kapitalkosten nachhaltig agierender Unternehmen sinken (was auch empirisch gezeigt wurde). Die Höhe der Kapitalkosten legt aber fest, ab wann sich eine Investition für Unternehmen finanziell lohnt. Niedrigere Kapitalkosten bedeuten also, dass sich mehr Investitionen für nachhaltige Unternehmen lohnen, sodass diese stärker wachsen sollten als nicht-nachhaltige Unternehmen, was mit der Zeit zum gewünschten Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit führt.
Zwei Seiten derselben Medaille
Kapitalkosten der Unternehmen und Kapitalerträge der Anleger sind aber zwei Seiten derselben Medaille. Wenn nachhaltige Unternehmen also beispielsweise weniger Zinsen für einen Kredit zahlen müssen als nicht-nachhaltige Unternehmen, so sind gleichzeitig die Zinserträge der Kreditgeber nachhaltiger Unternehmen niedriger. Diese simple Überlegung lässt Zweifel aufkommen, ob man als Anleger tatsächlich beides erreichen kann: das Wachstum nachhaltiger Unternehmen fördern und gleichzeitig mit seinen nachhaltigen Anlagen mehr verdienen als mit nicht-nachhaltigen Anlagen.
Trotzdem werden oft Studien zitiert, die einen positiven Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und finanziellem Erfolg dokumentieren. Allerdings handelt es sich dabei meist um Studien, die den Zusammenhang nicht aus Sicht eines Investors, sondern aus Sicht eines Unternehmens analysieren. Dort wird also nicht gefragt: „Führt nachhaltiges Anlegen zu einer besseren Rendite?“, sondern: „Sind nachhaltig agierende Unternehmen finanziell erfolgreicher“? Hierauf scheint die Antwort der empirischen Studien relativ klar zu sein, nämlich „Ja“. Doch bleibt damit die erste Frage weiterhin offen.
Betrachtet man dagegen empirische Studien, die tatsächlich den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und finanziellem Erfolg aus Sicht von Anlegern analysieren, so fällt das Ergebnis weit weniger klar aus. Es finden sich Studien, die zeigen, dass nachhaltiges Anlegen zu einer besseren risikoadjustierten Rendite führt. Es gibt aber auch Studien, die zum gegenteiligen Schluss kommen, und wieder andere Studien finden gar keinen Unterschied. Das Ergebnis scheint stark vom Design der Studie abzuhängen, besonders vom Untersuchungszeitraum und der Art der betrachteten nachhaltigen Anlagestrategie.
Wenn die empirische Literatur kein klares Ergebnis liefert, stellt sich die Frage, welchen Zusammenhang man aufgrund finanzmarkttheoretischer Überlegungen erwarten sollte. Hierzu gab es in der allerjüngsten Vergangenheit eine Reihe interessanter neuer Einsichten.
Drei Modelle zur Renditeerwartung
Im traditionellen neoklassischen Kapitalmarktmodell hängt der erwartete Ertrag einer Finanzanlage allein von ihrem Risiko ab. Wenn nachhaltige Finanzanlagen mit weniger Risiken verbunden sind (was eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen zeigt), dann sollte ihr erwarteter Ertrag also geringer sein als derjenige nicht-nachhaltiger Anlagen. Das für einen Anleger allerdings maßgebliche Rendite-Risiko-Profil, also wie viel Ertrag man pro Einheit Risiko erhält, sollte bei nachhaltigen und nicht-nachhaltigen Anlagen identisch sein. Deshalb sind beide Anlageformen für einen Anleger aus finanzieller Sicht letztlich gleichwertig.
Neuere Modelle verlassen den oben skizzierten Denkrahmen, sodass es zu Unterschieden im Rendite-Risiko-Profil zwischen nachhaltigen und nicht-nachhaltigen Anlagen kommen kann. Ich werde zunächst eine Argumentationskette skizzieren, die zu der These führt, dass nachhaltige Anlagen eine höhere risikoadjustierte Rendite liefern als nicht-nachhaltige Anlagen. Ausgangspunkt sind die Annahmen, dass (i) nachhaltig agierende Unternehmen finanziell erfolgreicher sind als nicht-nachhaltige Unternehmen (was empirisch gut untermauert ist) und dass (ii) Anleger sich dieses Sachverhaltes nicht bewusst sind.
Dies führt zu einer Unterbewertung nachhaltiger Unternehmen, d.h., ihr Marktpreis ist niedriger, als es die fundamentalen Daten rechtfertigen. Wenn im Laufe der Zeit immer mehr Anleger den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Finanzerfolg von Unternehmen erkennen, wird sich der Marktpreis dem höheren fairen Wert anpassen und damit die vorhandene Unterbewertung verschwinden. Hiervon profitieren Anleger, die frühzeitig in nachhaltige Unternehmen investiert haben. Sie erzielen so mit ihren nachhaltigen Anlagen eine höhere risikoadjustierte Rendite, als sie mit nicht-nachhaltigen Anlagen erzielen könnten. Allerdings handelt es sich hierbei um einen temporären Effekt, der nur so lange anhält, bis die Unterbewertung verschwunden ist.
Zum gegenteiligen Ergebnis, also zu einer niedrigeren risikoadjustierten Rendite für nachhaltige Anlagen, führt ein zweites Modell. Ausgangspunkt ist hierbei, dass ein Teil der Anleger, nämlich die nachhaltigen Anleger, nicht bereit ist, in nicht-nachhaltige Unternehmen zu investieren. Sie betreiben also ein Negative Screening. Die übrigen (nicht auf Nachhaltigkeit achtenden) Anleger sind grundsätzlich offen, in alle Unternehmen zu investieren, und entscheiden alleine auf der Basis der risikoadjustierten Rendite. Der Markt ist also separiert in den Bereich nachhaltiger Unternehmen, in die grundsätzlich alle Anleger bereit sind zu investieren, und in den Bereich nicht-nachhaltiger Unternehmen, in die nachhaltige Investoren grundsätzlich nicht bereit sind zu investieren. Das Kapitalangebot für nachhaltige Unternehmen ist also größer, weshalb die dort zu erwirtschaftende risikoadjustierte Rendite im Gleichgewicht kleiner sein wird. Oder anders ausgedrückt: Nicht-nachhaltige Unternehmen müssen einen Renditezuschlag zahlen, damit die konventionellen Anleger bereit sind, die fehlende Nachfrage seitens der nachhaltigen Anleger auszugleichen.
Zum selben Ergebnis führt auch ein drittes Modell. Die nachhaltigen Anleger, so die Idee hier, wollen mit ihren Anlagen dazu beitragen, den Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben. Deshalb sind sie bereit, in nachhaltige Unternehmen zu investieren, auch wenn sie dafür eine geringere risikoadjustierte Rendite erhalten – ein Verhalten, das in empirischen Studien tatsächlich dokumentiert werden konnte. Denn dies fördert ja das Wachstum nachhaltiger Unternehmen, wie wir oben gesehen haben. Die konventionellen Anleger orientieren sich dagegen nur an den risikoadjustierten Renditen ihrer Anlagemöglichkeiten. Im Gleichgewicht werden die nachhaltigen Anlagen (wie im vorherigen Modell auch) eine niedrigere risikoadjustierte Rendite liefern – jetzt allerdings nicht wegen Marktseparation, sondern weil nachhaltige Anlagen einen nicht-monetären Nutzen stiften.
Fazit
Fasst man die Einsichten der theoretischen Modelle zusammen, so gibt es tatsächlich wenig Grund anzunehmen, dass nachhaltige Anlagen langfristig eine höhere risikoadjustierte Rendite abwerfen werden als nicht-nachhaltige Anlagen. Denn früher oder später wird auch dem letzten Anleger klar sein, dass Nachhaltigkeit den Wert von Unternehmen beeinflusst. Auf der Basis der aktuellen theoretischen Forschung muss man sogar zu dem Schluss kommen, dass nachhaltige Anlagen eine niedrigere risikoadjustierte Rendite liefern sollten. Und genau dies ist der Mechanismus, der letztlich zu einem stärkeren Wachstum nachhaltiger Unternehmen führt. So leisten nachhaltige Anleger einen Beitrag für die Gesundung der Welt. Das liefert dann zwar nicht so plakative Schlagzeilen wie „Gutes tun und gut verdienen“, aber es entspricht viel besser unserer alltäglichen Einsicht: Man kann nicht gleichzeitig alles haben.