Die Sozialwirtschaft soll ihre ganze Größe einsetzen und die sozial-ökologische Transformation aktiv mitgestalten. Das war die Idee des zweiten Nachhaltigkeitskongresses der Diakonie und der Caritas aus Baden-Württemberg, der am 30. März in Stuttgart stattfand. Die Voraussetzungen dafür seien sehr gut, so die Veranstalter: Expert*innen für soziale Nachhaltigkeit sind die Wohlfahrtsverbände ohnehin, für die christlichen Verbände gehört die Bewahrung der Schöpfung und damit die ökologische Nachhaltigkeit zum Kernauftrag – und wirtschaftlich nachhaltig agieren gemeinnützige Träger seit eh und je.
Die Rahmenbedingungen jedoch sind herausfordernd: Fehlende Refinanzierungssysteme, mangelnde personelle Kapazitäten und nicht vorhandenes Know-how machen es schwierig, Klima- und Umweltschutzziele zu erreichen und neue Berichtspflichten, die sich aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der EU-Taxonomie und dem Lieferkettengesetz ergeben, zu erfüllen. Schnell wurde deutlich, dass es nur gemeinsam gelingen kann, den Wandel aktiv zu gestalten und die Wohlfahrtspflege zukunftsfähig und krisensicher aufzustellen.
Fünf Ansatzpunkte für den Wandel
Wie dies gehen kann, zeigte Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e. V., in ihrer Keynote „Die Sozialwirtschaft als Mitgestalterin der nachhaltigen Transformation“: Mit Blick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele könne die aktuelle Zeit der Multikrisen auch als Zeit der Multichancen begriffen werden. Eine große Kraft der Wohlfahrtsverbände liege in ihrer Rolle als Multiplikatoren einer werteorientierten Wirtschaft, auch wenn die Träger mit knappen Ressourcen kämpfen. Sie könnten die Anwaltschaft für die Menschen in ihren Einrichtungen übernehmen. Es gebe einen weltweiten Konsens zu den globalen Nachhaltigkeitszielen. Dieser sollte als Chance genutzt werden. Fünf Transformationsfelder für die Sozialwirtschaft zeigte Zwick auf:
1. Bauen & Gebäudemanagement
Hier bestehe ein hoher Veränderungsbedarf, da bei nicht
sanierten Gebäuden die größte CO2-Emissionsquelle liege: Die
aktuelle Sanierungsquote liege bei 1 %; schon ab 3 % ist eine Klimawirkung nachweisbar.
2. Mobilität & Fuhrparkmanagement
Hier gelte es, Alternativen für die Mitarbeitenden zu schaffen, z. B. durch das Angebot von Jobrädern, Deutschlandtickets,
E-Ladestationen, Parkraumbewirtschaftung, Duschen für Rad-
fahrer, Dienstreiserichtlinien etc.
3. Nachhaltige Beschaffung & Suffizienz
Vorrangiges Ziel müsse es sein, beim Einkauf und bei der Produktion vom „zu viel“ wegzukommen, z. B. durch bedarfsgerechtes Kochen.
4. Haltung
Dies sei das wichtigste Thema: Es gelte, offen zu sein, Aufgaben für sich zu definieren und von der kognitiven Dissonanz wegzukommen. Die Sozialwirtschaft müsse sich als dauerhaft zuverlässiger Partner auch beim Thema Nachhaltigkeit zeigen, nicht nur im Care-Bereich.
5. Controlling & Finanzen
Die Sozialwirtschaft müsse ihre CO2-Emissionen messen und die Transformation in ihren Finanzkennzahlen berücksichtigen.
Zwick verwies darauf, dass im DNK-Leitfaden für die Wohlfahrtspflege (s. S. 19) zahlreiche Ansatzpunkte zu finden sind, wie sich die genannten Punkte in konkrete Handlungen umsetzen lassen.
Refinanzierung ist der Knackpunkt
Auch Dr. Christopher Bangert, Referatsleiter Sozialwirtschaft beim Deutschen Caritasverband, und Johanna Gary, Zentrum für Recht und Wirtschaft der Diakonie Deutschland, sehen im DNK-Branchenleitfaden die Chance, dass sich die Wohlfahrtspflege durch ihre Berichterstattung gut aufstellen kann, u. a., um weiterhin bezahlbare Kredite zu bekommen. Denn da die Banken durch die EU-Taxonomie bei der Kreditvergabe nachhaltige Kriterien berücksichtigen müssen, wird eine nachvollziehbare Nachhaltigkeitsberichterstattung unabdingbar.
Allerdings müsse auch die Refinanzierung im Auge behalten werden. So könne eine punktuelle Förderung eine Starthilfe sein. Aber insgesamt gehe es um so große Investitionsvolumina, dass dies Eingang in die Leistungsfinanzierung und die Zuwendungen, d. h. in die Regelfinanzierung und die Sozialgesetzbücher, finden müsse. Aktuell sei eine kleine SGB XI-Reform in Arbeit. Hier versuchten die veranstaltenden christlichen Verbände, dieses Anliegen einzubringen. Auf Bundesebene gebe es Initiativen, Pilotprojekte der Diakonie und des Caritasverbandes als Hebel zu nutzen, über die auch die Bundesregierung ihr Ziel der Klimaneutralität bis 2035 erreichen kann. Die konkrete Umsetzung gestalte sich jedoch recht schwierig.
Aufbruchstimmung
Eine lebhafte Debatte entspann sich bei einer Fishbowl-Diskussion zum Thema „Klimawandel und Sozialwirtschaft: Gesetzliche Anforderungen vs. Situation in der Praxis“. Neben vier festen Diskutanten – ein Banker, ein Praktiker, ein Vertreter eines kommunalen Verbandes und ein Wirtschaftsprüfer – kamen zahlreiche Teilnehmende zu Wort. Sehr deutlich wurde dabei, dass die Transformation tatsächlich nur gemeinsam bewältigt werden kann – und dass dafür eine große Bereitschaft vorhanden ist. Erste Verabredungen wurden gleich vor Ort getroffen.
So konnte man das Fazit ziehen, dass bei den rund 80 Anwesenden eine große Aufbruchstimmung herrscht. Wenn sie gemeinsam als Vorreiter agieren, werden sie gute Chancen haben, viele andere mitzuziehen. Damit es gelingt, unsere Erde enkelfähig zu machen, müssen alle mitmachen, meinte André Peters, Vorstand Diakonie Baden, bei der Verabschiedung. Der 3. Nachhaltigkeitskongress der vier Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg findet am 20. März 2024 statt.