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Rund 30 Millionen Menschen in Deutschland sind nach Informationen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) derzeit gesellschaftlich engagiert. Der repräsentative ZiviZ-Survey 2023, an dem 12.792 Organisationen teilgenommen haben, macht die Strukturmerkmale dieses Engagements sichtbar und legt offen, wie sich die organisierte Zivilgesellschaft entwickelt hat. Dem Ergebnisbericht, den der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. in Essen herausgegeben hat, ist unter anderem zu entnehmen, dass der Wunsch nach Außenwirkung und politischer Mitgestaltung größer geworden ist.
Aufschlussreich ist zunächst der Blick auf die Wahl der Rechtsformen. Von den 656.888 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland (Stand 2022) sind – laut Vereinsregister - 615.759 Vereine. Das entspricht einem Anteil von 93,7 Prozent. Gegenüber der letzten Bestandserhebung des ZiviZ, die 2016 stattfand, ist die Zahl der Vereine um 2 Prozent gestiegen.
Ein anderes Bild zeigt sich bei den gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, denn hier stellten die Autor*innen eine „ausgeprägte Gründungsdynamik“ fest. Sie beziehen sich dabei auf das Handelsregister vom April 2022: Zu diesem Zeitpunkt gab es 14.540 gemeinnützige Kapitalgesellschaften, davon 12.611 gGmbHs, 1.878 gUGs und 51 gAGs. 2016 waren es nur 11.440. Somit handelt es sich um ein Wachstum von 27 Prozent.
Bei den gemeinwohlorientierten Genossenschaften lässt sich ebenfalls ein Aufwärtstrend ausmachen. Laut Genossenschaftsregister stieg deren Zahl von 1.322 im Jahre 2016 auf 1.939 im Jahr 2022. Dazu zählen 284 Genossenschaften mit anerkanntem Gemeinnützigkeitsstatus sowie 966 Energiegenossenschaften. Hinzu kommen weitere 647 gemeinwesenorientierte Genossenschaften, wie etwa Dorfläden, Kinos, Brauereien oder Mehrgenerationenhäuser. Auffallend sei, so die Autor*innen, dass der Anteil der gemeinwohlorientierten Genossenschaften, die häufiger als zuvor Aufgaben der lokalen Daseinsvorsorge übernehmen, gegenüber den primär wirtschaftlich ausgerichteten Genossenschaften größer werde.
Einer wachsenden Beliebtheit erfreuen sich offenbar auch Stiftungen bürgerlichen Rechts, denn deren Zahl stieg von 21.806 in 2016 auf insgesamt 24.650 in 2022 und somit um 13 Prozent. Jedoch sind sie verstärkt auf privatnützliche oder „gemischte Ziele“ hin orientiert, merken die Autor*innen an.
Wie diese Zahlen verdeutlichen, wird die Organisationslandschaft somit erkennbar vielfältiger. Als zentraler Indikator dient dem ZiviZ-Bericht die Tatsache, dass jedes Jahr weniger neue Vereine in das Vereinsregister eingetragen werden. „Im Jahr 2021 waren es 9.352, zehn Jahre zuvor noch über 15.000.“ Es sei damit zu rechnen, dass die Gesamtzahl der eingetragenen Vereine in den nächsten Jahren insgesamt sinken werde, prognostizieren die Autor*innen.
Dem Bericht zufolge entspricht informelles Engagement zunehmend dem Zeitgeist, während auf formale Organisationsstrukturen vermehrt verzichtet werde.
Zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangte der „Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement“ des Deutschen Bundestages. Im Rahmen eines Fachgesprächs vom Dezember 2022 kamen die Sachverständigen darin überein, dass bürgerschaftliches Engagement inzwischen „flexibler, pluralistischer und projektförmiger ablaufe.“
Außerdem, so der ZiviZ-Bericht, bevorzugten die Engagierten immer häufiger andere formale Organisationsstrukturen wie die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften.
Bei den Engagementfeldern zeichnet sich ebenfalls eine neue Entwicklung ab. Zwar sind nach wie vor die meisten der befragten Organisationen im Bereich des Sports aktiv (22 Prozent). Dennoch wurden sowohl im Sport als auch im Bereich der sozialen Dienste statistisch relevante Rückgänge von 3,7 bzw. 1,3 Prozentpunkten registriert. Im Gegensatz dazu konnten Bildung (z.B. Schulfördervereine und Einrichtungen der Kinderbetreuung) und Umwelt in der Zeit von 2012 bis 2022 um 3,9 Prozentpunkte bzw. 1,3 Prozentpunkte zulegen.
Darüber hinaus wurde durch die Befragung klar, dass sich die beteiligten Organisationen am häufigsten als eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten betrachten. Das Rollenverständnis als Mitgliederorganisation erhielt zwar den zweithöchsten Zustimmungswert. Dennoch fällt ein statistisch signifikanter Rückgang auf, wie der Bericht betont. „Dies legt den Schluss nahe, dass inzwischen weniger Organisationen als früher binnenorientiert sind oder zumindest die Bedeutung formaler Mitgliedschaften abnimmt“, schlussfolgern die Autor*innen. Sie fanden zugleich Anhaltspunkte für einen Anstieg des Selbstverständnisses als Förderorganisation, was sie unter anderem auf die wachsende Zahl an Fördervereinen zurückführen.
Hinzu kommt, dass andere Aktivitäten in den Vordergrund treten: "Immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen wollen Impulse für gesellschaftlichen Wandel geben und politisch mitgestalten", erklärte Dr. Birthe Tahmaz, Programmleiterin bei ZiviZ im Stifterverband.
Als wichtig erachten die Autor*innen den Befund, dass es nicht nur gemeinnützige Kapitalgesellschaften sind, die sich als Sozialunternehmen sehen und sich entsprechend für innovativ halten. „Der Diskurs um Sozialunternehmen und soziale Innovationen fokussiert häufig auf eine vergleichsweise kleine ‚Social Entrepreneurship Community‘ und entsprechende Akteure der verbandlichen Selbstorganisation, vernachlässigt dabei aber die breite Vielfalt an gesellschaftlichen Impulsen aus der Zivilgesellschaft.“
Der Survey hat zudem die finanziellen Ressourcen der Organisationen beleuchtet. Wie die Befragung ergab, erhielten sie im Vergleich zur letzten Befragung 2012 mehr Einnahmen aus öffentlichen Mitteln sowie durch Spenden. Von Zuwächsen bei den Mitgliedsbeiträgen und bei selbsterwirtschafteten Einnahmen wurde seltener berichtet. 23 Prozent der befragten Organisationen gaben sogar an, dass ihre Einnahmen aus selbsterwirtschafteten Mitteln gesunken sind, was dem Bericht zufolge zumindest zum Teil als Folge der Corona-Pandemie gewertet werden kann.
Schubert, Peter/Tahmaz, Birthe/ Krimmer, Holger: Erste Befunde des ZiviZ-Survey 2023 - Zivilgesellschaft in Krisenzeiten: Politisch aktiv mit geschwächten Fundamenten, Berlin: ZiviZ im Stifterverband.
www.ziviz.de/sites/ziv/files/ziviz-survey_2023_trendbericht.pdf
www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-pa-engagement-ehrenamt-921796
alle abgerufen am 14.11.2023
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