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Siedler Verlag München, 304 Seiten, 26,- Euro
Die begrenzte Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ist ein zentrales Projekt der Ampel-Koalition in Berlin – und heftig umstritten. Besitz und Konsum von Cannabis soll nun für Erwachsene ab April 2024 mit Einschränkungen straffrei sein. Die Historikerin Helena Barop beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der internationalen Geschichte der Drogenprohibition. Unter dem Titel „Mohnblumenkriege“ analysierte sie 2021 zunächst für ihre Promotion die außenpolitischen Implikationen der Drogenpolitik im 20. Jahrhundert. Nun hat sie den ersten Teil ihrer Doktorarbeit literarisch aufbereitet. In „Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden“ analysiert Helena Barop historisch: Wie sind Drogenprobleme entstanden sind und weshalb gerieten Drogen moralisch in Verruf?
Wer vor 130 Jahren Drogen kaufen wollte, ging in die Apotheke. Drogen waren ursprünglich getrocknete Heilpflanzen, die auf unterschiedliche Weise in Verruf geraten sind, so Helena Barop. Wer heutzutage Kokain, Heroin oder Cannabis kaufen will, muss zum Dealer – und macht sich strafbar. Seit einigen Jahren jedoch bröckeln die Drogenverbote: Portugal hat den Drogenkonsum vollständig entkriminalisiert. In den USA ist der Konsum von Cannabis in vielen Staaten legal. Auch in der Schweiz laufen Pilotprojekte zur legalen Abgabe von Hanfprodukten. In Österreich lehnte das Verfassungsgericht die Aufhebung des Cannabisverbots 2022 ab. In Deutschland dagegen soll die Legalisierung von Cannabis nun ab April 2024 Kraft treten.
Für Helena Barop belegt dieser rechtliche Flickenteppich, dass es gar nicht darum geht, das verbotene Cannabis zu legalisieren. „Was Portugal macht, was die USA da machen, was in Teilen auch die Niederlande schon lange ja tun, sind im Prinzip Schlupflochnutzungen“, so die Historikerin im Interview mit unserer Autorin. „Legalisiert wird ja nicht die komplette Lieferkette. Sie machen kein Gesetz, wo sie sagen, ab jetzt ist Cannabis bei uns ein ganz normales Konsumprodukt.“ Cannabis bleibt auf der legalen Ebene verboten, aber immer mehr Länder hören eben auf zu verfolgen. „Das nennt man Dekriminalisierung im Gegensatz zur Legalisierung.“
Für die Autorin ist es nicht selbstverständlich, dass sich darauf eine Regierung und auch nur ein Justizsystem einigen kann. Eindrücklich beschreibt Helena Barop in „Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden“, dass das Verständnis von den sogenannten bösen, gefährlichen Drogen eine historisch gewachsene Konstruktion ist. Und die beruht nicht auf rationalen Argumenten oder wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern es geht vielmehr um irrationale Ängste und diffuse Ressentiments.
Fünf Jahre vor dem Ersten Weltkrieg beriefen die USA 1909 die erste Internationale Opiumkommission ein – und legten fest: Der Zweck ist entscheidend, ob eine Substanz legal oder illegal konsumiert wird. Die Folge: Zu medizinischen Zwecken ist der Konsum von Opium, Kokain und Heroin in Ordnung. Zu Rauschzwecken und in der Freizeit dagegen wird der Konsum kriminalisiert. Und die puritanische Überzeugung, dass Sucht persönliches Versagen ist und keine behandelbare Krankheit, die gilt für die gebürtige Bonnerin Helena Barop im Grunde genommen bis heute.
Als die Autorin anfing, sich mit der Geschichte der Drogenpolitik und der Drogen zu beschäftigen, hatte sie die Vorstellung: „Drogenverbote helfen dabei, uns vor den Gefahren der Drogen irgendwie zu schützen. Da war mein Vertrauen in den Staat und seine Fürsorge so groß, dass ich dachte, ja, so wird es schon sein.“
Es hat eine Weile gedauert, bis Barop merkte, dass diese Fürsorge-Geschichte viele Widersprüche hervorbringt, wie sie es nennt. Im 19. Jahrhundert gab es ihrer Meinung nach die Vorstellung, es gibt eine einzige Wahrheit und alles, was davon abweicht, ist falsch „und irgendwie auch böse“. Der Rausch ist „eine selbstgewählte Abweichung von dieser einen Wahrheit“, die ihrer Einschätzung nach wenige weiße Männer vorschrieben – und genau diese Abweichung sollte im Rahmen von einer Sittlichkeitsgesetzgebung verboten werden. „Rausch galt als nicht anständig.“
Dass es eine enge Verbindung zwischen Drogenverboten und Rassismus gibt, das hat die Historikerin überrascht – und erschreckt. Konkret geht es um den anti-chinesischen Rassismus im Fall des Opiumrauchens. Erstmals wurde 1875 in San Francisco das Verbot, Opium zu rauchen, ausschließlich gegen chinesische Einwanderer ausgesprochen. Laut Helena Barop entstand so der Mythos von lasterhaften Opiumhöhlen, eine Gruselgeschichte, die nicht viel mit der Realität zu tun hatte. Zumal zur gleichen Zeit Morphium und Opium-Tinkturen erlaubt waren, wie sie die reichen Damen in ihren Salons konsumierten, so die Historikerin.
Und aus Angst vor der sogenannten „gelben Gefahr“ entstanden 1882 in den USA Gesetze gegen Opium, gleichzeitig wurden Chinesen komplett von der Einwanderung ausgeschlossen. Dieser Kreislauf, eine Droge zu verbieten, „um an missliebige Leute ranzukommen“, wiederholt sich für Helena Barop 20 Jahre später mit den Afroamerikanern, die angeblich durch Kokain zu Gesellschaftsschädlingen wurden.
„Dann wird eine Geschichte um diesen Drogenkonsum drumherum erzählt, zum Beispiel die Geschichte der Opiumhöhlen. Oder die des Afroamerikaners, der angeblich als Gewaltmonster durch die Straßen lief und nicht erschossen werden konnte, weil er irgendwelche Superkräfte entwickelt hat, also ein Märchen“, so Helena Barop.
„Erst wurden solche Märchen über den Drogenkonsum dieser Menschen erfunden und dann wurden diese Drogen verboten, um genau diese Menschen in den Griff zu bekommen.“ Denn die Ablehnung der Drogen werde wiederverwendet, um genau diese Menschen weiter zu diskreditieren. So vermischten sich für die Autorin die rassistischen und die Anti Drogen-Diskurse zu einer großen Stigmatisierung, „die bis heute, ehrlich gesagt, in vielen Zusammenhängen zu finden ist“.
Helena Barop besuchte Archive in Washington, New York, Berlin, Wien und Mexico City – und stellte fest: Als 1929 das erste Drogengesetz verabschiedet wurde, hatte Deutschland gar keine nennenswerten Drogenprobleme. Nach dem Zweiten Weltkrieg übten die USA über die Vereinten Nationen dann so viel Druck aus, dass die allermeisten Staaten weltweit die Drogenverbote einfach übernahmen. Dabei spielte die in weiten Kreisen verachtete Flower-Power-Bewegung der Sechziger und Siebziger Jahre den Verboten massiv in die Hände. Anschaulich beschreibt die Autorin das große Leid, dass die von Amerika inspirierte harte Drogenpolitik nach Europa und über die Welt bringt.
Für den „Großen Rausch“ habe sie sich die Geschichte der deutschen Drogenverbote ganz genau angeschaut“, erzählt Helena Barop. Sie recherchierte, was das mit den Nazis zu tun hatte und welche Rolle das Buch „Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ spielte. „All diese Dinge sind neu und haben mir noch mal ein ganz anderes Verständnis dafür gegeben, wie die deutsche Ausgangsposition ist, wenn wir aktuell in diese Cannabis-Legalisierung gehen.“ Was die Autorin überraschte, „wie tief dieses Christiane-F.-Narrativ seit den 80er Jahren in dem Diskurs drinsteckt. Und wie viele von den Mythen, die immer noch durch diese Drogenverbotsdebatte geistern, genau daherkommen – und wie viel Einfluss so ein Buch haben kann“.
Helena Barop gesteht, dass sie zu Beginn der Recherche große Berührungsängste hatte und komplett davon überzeugt war, „Drogen sind total gefährlich, ich lass meine Finger davon“. Je mehr die Historikerin die Zusammenhänge verstand, desto wütender wurde sie, „wie arbiträr, also wie willkürlich die Grenzziehung zwischen guten und bösen Drogen, zwischen verbotenen Drogen und erlaubten Rauschmitteln ist.“ Dass das politische System trotzdem an den Verbotsstrukturen festhält, sei kaum nachvollziehbar: „Niemand wird durch Drogenverbote vor dem Abstieg in die Sucht beschützt.“
Umfassend und spannend, unterlegt mit vielen Anekdoten beschreibt Helena Barop in „Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden“ das starre Konstrukt aus Vorurteilen und Klischees, Rassismus und heuchlerischer Tugendhaftigkeit, die den Ruf von gefährlichen Drogen bis in die Gegenwart prägen. Die Geschichte der Prohibition zeigt für die Historikerin: Drogenverbote sind fast immer das Ergebnis politischer Entscheidungen, die irrational, krude, oft aus finanziellen Gründen getroffen werden. Nicht zuletzt, weil der Schwarzmarkt ein Milliardengeschäft ist.
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abgerufen am 9.1.2024
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