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Das Klima in Deutschland ist aufgeheizt. Ein Krieg mitten in Europa, die Zumutungen der Energiewende, eine merkliche Steigerung der Lebenshaltungskosten – das alles bereitet vielen Menschen große Zukunftssorgen. Zu alledem kommen die Auswirkungen des Krieges im Nahen Osten auf die hiesige Gesellschaft: Die Zunahme offen antisemitischer Übergriffe sowie israelfeindliche Demonstrationen auf deutschen Straßen bedrohen den inneren Zusammenhalt, ein speziell muslimischer Antisemitismus und der gleichzeitige Generalverdacht gegen Musliminnen und Muslime belasten das gesellschaftliche Klima. Der aktuell erschienene Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann-Stiftung analysiert die kritische Gemengelage hierzulande im Zeichen des Nahostkriegs und gibt erste Empfehlungen für eine gesellschaftliche Deeskalation.
Die Bedeutung der Studie liegt nicht zuletzt in ihrer internationalen Ausrichtung: Sie basiert auf der Befragung von knapp 11.000 Menschen ab 16 Jahren in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Spanien, Polen und in den USA. Hierzulande nahmen 4.363 Menschen teil, davon 717 Musliminnen und Muslime. Das Fazit der großangelegten Analyse ist ernüchternd: In allen Ländern sind juden- und israelfeindliche Einstellungen weitverbreitet, auch unabhängig von den aktuellen Ereignissen. Die Befragung erfolgte im Juni und Juli 2022, also lange vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.
Juden- und israelfeindliche Einstellungen misst der vorliegende Religionsmonitor an zwei Erscheinungsformen: am klassischen Antisemitismus und an bestimmten Formen der Israelkritik. Erstere argumentiert bevorzugt mit der Verschwörungserzählung, wonach Jüdinnen und Juden überaus mächtig seien und im Verborgenen nach Macht strebten. Letztere projiziert judenfeindliche Behauptungen auf den Staat Israel und bezieht sie verallgemeinernd auf jüdisches Leben in unserer Gesellschaft.
Demnach stimmten der antisemitischen Behauptung, „Juden haben zu viel Einfluss in unserem Land“ 21 Prozent der Befragten in Deutschland zu. Unter allen Teilnehmenden reichte die Zustimmung von 15 (Niederlanden) bis 29 Prozent (Polen). Prüfstein für die zweite Form, den israelbezogenen Antisemitismus, ist die antisemitische Aussage: „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.“ 43 Prozent der deutschen Befragten stimmten zu – mehr als der Durchschnitt aller sieben untersuchten Länder (38%).
Antisemitische Ressentiments reichten über das rechtsradikale Parteienspektrum hinaus bis weit in die politische Mitte, konstatiert die Studie. Diese Einstellungen erleben seit dem Ausbruch des jüngsten Gaza-Kriegs Anfang Oktober zusätzlich Auftrieb: „Wir erleben insgesamt eine Enthemmung von Vorurteilen, die es vorher schon gab“, sagte Studienleiterin Dr. Yasemin El-Menouar.
Neben dem Antisemitismus in der deutsche Mehrheitsgesellschaft steht auch der Islam hierzulande in einem polarisierten Spannungsfeld. Die Forschenden fordern eine ehrliche Auseinandersetzung mit zwei Aspekten: Zum einen mit dem Antisemitismus in muslimischen Communities, wo „antisemitische Vorurteile stärker verbreitet sind als in der deutschen Bevölkerung insgesamt.“ Bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus Südosteuropa sind diese seltener als bei Menschen aus dem Nahen Osten. Aber in den Herkunftsländern können antisemitische und israelfeindliche Äußerungen oft ganz unverhohlen geäußert werden. Entsprechende Interpretationen des Islam liefern dafür die religiöse Basis.
Zum anderen ist die muslimische Bevölkerungsgruppe in erheblichem Maße öffentlichen Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Sie sähe sich „nahezu einem Generalverdacht“ ausgesetzt, so die Studie. Ein Teufelskreis: „Da der Islam hier noch zu wenig akzeptiert ist, greifen viele praktizierende Muslime auf die Sichtweisen und Praktiken ihrer Herkunftsländer zurück und übernehmen auch Einstellungen von dort.“ Der Religionsmonitor verweist auf ein Schulprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2019, das Tendenzen der Opferkonkurrenz zutage gefördert habe: Demnach beklagen viele Musliminnen und Muslime, dass der verbreiteten Muslimfeindlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet werde, während beim Thema Antisemitismus hohe Sensibilität bestehe.
Das Einwanderungsland Deutschland sieht sich schon lange herausgefordert, die besondere Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens sowie die Grundrechtsgarantie für die Religionsfreiheit und den Schutz aller Minderheiten verbindlich auszugestalten. Wo das fehlschlägt, ist das gedeihliche Zusammenleben von Alteingesessenen und Zugewanderten gefährdet. Zusätzlich hat der aktuelle Nahostkrieg eine „gefährliche emotionale Dynamik“ angestoßen. „Die Auswirkungen dieses Konflikts sind in Deutschland in vieler Hinsicht spürbar: in einem erschreckenden Anstieg antisemitischer Vorfälle und in den Sorgen jüdischer Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken, aber auch in verstärkt wahrnehmbaren antimuslimischen Anfeindungen. All das schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, beklagen die Wissenschaftler. Folgende Maßnahmen könnten einen Ausweg weisen:
Religionsmonitor kompakt. Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ein Blick auf Deutschland in Zeiten der Eskalation in Nahost.
Bertelsmann-Stiftung, Dezember 2023, 12 Seiten
abgerufen am 7.12.2023
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