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In der Bahn, im Büro, in Gleitzeit oder Home-Office – arbeiten, wo und wann es gerade passt. Die Digitalisierung macht die Arbeit mobil und befreit sie von ihrer starren Bindung an Ort und Zeit. Dabei liegen Verheißung und Fluch dicht beieinander. Neue Arbeitsformen eröffnen Gestaltungsspielräume, entgrenzen aber auch Job und Privatsphäre. Alles vollzieht sich im Zeichen einer Arbeitsorganisation, in der klassische Hierarchien durch Zielvereinbarung, Projektarbeit und Selbstverantwortung aufgeweicht werden. Wie gehen Beschäftigte damit um, wie ergeht es ihnen damit?
Individuelle Erholungszeiten und ein ausgewogenes Verhältnis von Privatleben und Beruf fördern das Wohlbefinden; Selbstausbeutung und ständige Erreichbarkeit können hingegen krank machen. Ein Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gibt jetzt einen Überblick zum Erkenntnisstand über die gesundheitlichen Gefahren der flexiblen Arbeit.
Dabei unterscheiden die Autoren berufsassoziierte und berufsbedingte Flexibilität. Die erste Form meint vor allem das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Sie ist nicht betrieblich vorgeschrieben oder veränderbar. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes pendelt jeder vierte Erwerbstätige zwischen 30 und 60 Minuten für den einfachen Weg. Zur berufsassoziierten Mobilität zählen auch sechs Millionen Umzüge pro Jahr.
Die berufsbedingte Mobilität gehört hingegen fest zur Arbeitsaufgabe. Gemäß einer DGB-Befragung (2008) sind 18 Prozent aller Erwerbstätigen gelegentlich an wechselnden Arbeitsorten aktiv, 19 Prozent häufig. Globalisierung, Dezentralisierung und Kundennähe verlangen das immer häufiger. Auch die starke Zunahme von Businesstrips gehört dazu – 11,3 Millionen Geschäftsreisende machten sich 2016 auf den Weg.
Nach aktuellem Forschungsstand klagen Tagespendler häufiger als Nichtpendler über Allgemeinbeschwerden, insbesondere über psychosomatische Beschwerden. Pendelnde Schichtarbeiter stehen unter besonderem Druck – was sich bei ihnen durch stärkere Herzprobleme, Schlafstörungen sowie Kopf- und Rückenschmerzen bemerkbar macht als bei Pendlern ohne Schichtdienst. Wochenpendler haben zusätzlich mit psychosozialen Belastungen der gesamten Familie zu tun. Studien belegen insbesondere für Fernpendler (60 Minuten und mehr, einfacher Weg) gehäuft psychosomatische Beschwerden, krankheitsbedingte Fehltage sowie ein erhöhtes Unfallrisiko. Bei Geschäftsreisenden fällt neben Jetlag und Stress das Risiko übermäßigen Alkoholkonsums auf.
Eine eigene Kategorie bilden Beschäftigte in ständiger Vor-Ort- und mobiler Arbeit, etwa im Außendienst und in der Transport- und Lieferbranche. Bei ihnen schlagen starke Erschöpfungszustände, Burnout und Herz-Kreislauferkrankungen auf die Gesundheit. 41 Prozent der Beschäftigten in dieser Kategorie können sich nicht vorstellen, in ihrem Beruf das Rentenalter zu erreichen.
Häufig ist bei Zeitflexibilität eine erweiterte Erreichbarkeit gefragt, zum Beispiel durch Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft oder kurzfristige Arbeitszeitänderungen. Diese Form des Arbeitens wirkt sich direkt auf das soziale Leben aus. Von 22 Prozent der Beschäftigten hierzulande wird erwartet, auch privat erreichbar zu sein, 25 Prozent werden sporadisch im Privatleben kontaktiert. Auch bei der Arbeitsdauer wird von vielen Beschäftigten Flexibilität erwartet. Fast ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet dem DGB-Index „Gute Arbeit“ zufolge mehr als 45 Stunden pro Woche, jeder Dritte Vollzeitbeschäftigte leistet überlange Arbeitszeiten ab.
Schlafdefizit, Stress und psychische Beeinträchtigungen gelten als typische Begleiterscheinungen des zeitflexiblen Arbeitens. Auch das Nicht-Abschalten-Können beeinträchtigt die Gesundheit. Damit gehen nachlassendes Leistungsvermögen und ein erhöhtes Unfall- und Fehlerrisiko einher.
Auch mit zunehmender Arbeitsdauer steigen die gesundheitlichen Beschwerden nachweislich an. Besonders nachteilig wirkt sich ungeregelte Erreichbarkeit aus: Sie führt zur Beeinträchtigung des Privatlebens, zur Unfähigkeit, von der Arbeit abzuschalten und zu einem höheren Burnout-Risiko.
Die Frage „Wie flexibel dürfen Arbeitszeiten sein, ohne die Gesundheit der Beschäftigten zu schädigen?“ identifizieren die Autoren als zentrales Thema der Forschung. Einigkeit herrscht weitgehend in der Erkenntnis, dass orts- und zeitflexibles Arbeiten gleichermaßen als Belastungsfaktoren wirken können. Das gilt umso mehr angesichts zunehmender Leistungsverdichtung infolge der Digitalisierung der Arbeitswelt. Dabei dürfen die gesundheitsfördernden und bereichernden Effekte erhöhter Flexibilität nicht übersehen werden: Örtliche Flexibilität ist oft überhaupt erst die Voraussetzung für attraktive Arbeit, zeitliche Flexibilität ermöglicht Freiräume und Zufriedenheit. Dieser positive Aspekt aber war nicht Gegenstand der Untersuchung.
Belastungen im hochflexiblen Arbeitsleben sollten durch gesundheits- und befindlichkeitsfördernde Ressourcen kompensiert werden können, stellt die Studie heraus: durch individuelle Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit, hohe Motivation und bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. An diesem Punkt sind vor allem die Betriebe gefragt, positive Rahmenbedingungen zu schaffen: durch „größtmögliche Vorhersehbarkeit, Beeinflussbarkeit und Kontrollierbarkeit, durch Partizipation und die Gewährung von Entscheidungs- und Zeitspielräumen.“
Beate Beermann / Monischa Amlinger-Chatterjee / Frank Brenscheidt / Susanne Gerstenberg / Michael Niehaus / Anne M. Wöhrmann, Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Gesundheitliche Chancen und Risiken,
Dortmund/Berlin/Dresden; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2017; 46 Seiten
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Susanne Bauer
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