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Nach dem Schichtende im Seniorenheim geht’s nahtlos zu Hause bei der bettlägrigen Mutter weiter – für zahlreiche Pflegekräfte ist das ganz gewöhnlicher Alltag. Die Doppelrolle von beruflicher Pflege und Angehörigenpflege bürdet ihnen besondere Belastungen auf. Die Situation dieser Double Duty Carer (DDC) – wörtlich: Pfleger mit doppelter Verpflichtung – fand bisher kaum Beachtung. Erstmals nimmt ein Dresdner Forschungsprojekt* die Lage dieser Personengruppe empirisch unter die Lupe. Dabei kam auch eine Handlungsempfehlung für Arbeitgeber heraus.
Gemeint sind Pflegefachkräfte aus der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege, die zusätzlich einen Angehörigen versorgen. Dem Forschungsprojekt lag die Befragung von bundesweit 500 Pflegefach- und Hilfskräften ambulanter Pflegedienste und stationärer Pflegeeinrichtungen (nicht von Krankenhäusern) zugrunde. Danach haben 20 Prozent der Pflegekräfte eine zusätzliche private Pflegeverantwortung. Sieben von zehn Pflegenden kümmern sich seit mindestens zwei Jahren um pflegebedürftige Angehörige, jeder fünfte betreut sogar zwei Angehörige. Die Arbeitswoche einer doppelt pflegenden Person beträgt durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich, wovon rund zwei Drittel (37 Std.) auf die Erwerbsarbeit und ein Drittel (17 Std.) auf die Angehörigenpflege entfällt.
In vieler Hinsicht gleichen sich die Belastungen von pflegenden Angehörigen aus der Pflegebranche und von anderen Berufszweigen. Hohe körperliche und nervliche Belastung und ständige Sorge um Wohl und Wehe des Angehörigen erzeugen einen zermürbenden Dauerstress. Betroffene berichten von Gefühlen persönlicher Ohnmacht und Überforderung. Für Pflegekräfte kommt eine außergewöhnlich hohe berufliche Belastung hinzu, wie es der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2019 anhand von Fehltagen, Diagnosen und Arzneimittelgebrauch belegt (s. BFS-Trendinfo 8/19). Die Doppelbelastung wirkt sich hier also besonders gravierend aus.
Wichtig für eine zuträgliche Gestaltung doppelter Pflegearbeit ist die Entscheidung, sich dem Arbeitgeber und einzelnen Kollegen zu offenbaren, raten die Autoren. Es hänge von Führungskultur und Betriebsklima ab, ob dieser Schritt dazu beiträgt, die Alltagsschwierigkeiten der Betroffenen zu entschärfen. Im Mittelpunkt steht die Regelung von Arbeitszeiten und Schichtplanung, heißt es in der Handlungsempfehlung. Einige Aspekte:
Der demografische Wandel schärfe langsam auch das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Wissenschaft für das Problem doppelter Pflegeverantwortung, stellt Prof. Anne-Katrin Haubold, Mitautorin der Untersuchung, fest: „Älter werdende Pflegekräfte versorgen immer häufiger auch hochaltrige Eltern – diese Entwicklung kommt inzwischen bei den Arbeitgebern an.“ Vor allem große Einrichtungen setzten sich damit auseinander, nicht zuletzt aus Sorge, erfahrene ältere Beschäftigte an den vorgezogenen Ruhestand zu verlieren. Nicht wegschauen, sondern positiv aufgreifen und unterstützen müsse die Devise sein: Mitarbeiterinnen mit doppelter Pflegeverantwortung könnten in der Kommunikation mit pflegenden Angehörigen wertvolle Erfahrungen einbringen.
*„DDcareD – Double Duty Carers in Deutschland – Verbesserung der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Pflegeaufgaben“ ist ein Forschungsprojekt der Evangelischen Hochschule Dresden (ehs) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW). Federführend sind die Professoren Anne-Katrin Haubold, Thomas Fischer und Rüdiger von der Weth. Weitere Partner sind die AOK plus, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Förderung kommt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. www.doubledutycare.de
Wilhelm Beckmann / Heidi Clasen / Anne-Katrin Haubold, Wenn Pflegende Angehörige pflegen. Ein Wegweiser für Leitungen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, Dresden 2019, 11 Seiten (Download über Projektseite)
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