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Vor dem Hintergrund gleichzeitig auftretender Krisen hat der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ (SVR) das Thema „Resilienz“ in den Blick genommen. Das Ergebnis des Gutachtens fällt ernüchternd aus. So sprechen die Expert*innen von einem wenig anpassungsfähigen „Schönwettersystem“, das auf Ausnahmesituationen, wie etwa die Flut an Ahr und Erft, nicht ausreichend vorbereitet ist. Ihre Forderung: Nicht nur das Gesundheitssystem, sondern das Land insgesamt müsse „krisenresistenter und strukturell widerstandsfähiger“ werden.
Warum sie sich auf die Resilienz als Leitkonzept beziehen, erläutern die Expert*innen des Rats im ersten Kapitel des Gutachtens. Der Vorteil resilienter Systeme besteht für sie darin, dass diese einen „kontinuierlichen, reflektierenden Vorbereitungs-, Lern- und Anpassungsprozess“ ermöglichen. Somit werden Erkenntnisse aus zurückliegenden Ereignissen genutzt, um sich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten.
Für das Gesundheitssystem folgt daraus: „Prozessverantwortliche und Instanzen zur Qualitätssicherung“ stellen durch „Vorbereitungs- und Überprüfungsmaßnahmen“ sicher, „dass die notwendigen Gesundheitsleistungen in erwartbaren wie unerwartbaren Krisenfällen verfügbar sind.“
Als konkrete Beispiele für sogenannte „disruptive Ereignisse“, die als große Herausforderungen für ein resilientes Gesundheitssystem zu werten sind, nennt das Gutachten zum einen den Klimawandel, dessen Ursachen bekämpft werden müssten. Zugleich hält es der Rat für dringend geboten, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Anpassung an bereits eingetretene oder in naher Zukunft eintretende Risiken ermöglichen.
Zum anderen befasst sich das Gutachten ausführlich mit der SARS-CoV-2-Pandemie, die sich für das Gesundheitssystem bekanntlich als sehr belastend erwiesen hat. Der Rat hält es für wahrscheinlich, dass Pandemien aufgrund des Klimawandels in Zukunft häufiger auftreten könnten.
Die SARS-VoV-2-Pandemie führte sowohl zu direkten als auch indirekten Herausforderungen.
Grundsätzlich empfiehlt es sich für das Gesundheitssystem, so das Gutachten, die Resilienzstrategie systemisch auszurichten und soziale sowie wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. „Eine umfassende Resilienzstrategie deckt dabei folgende Krisenphasen ab: a) Vorbereitungsphase, b) rechtzeitige Erkennung des Schocks, c) Wirkung und Bewältigung des Schocks, d) Erholung und Lernen.“
Den Expert*innen ist es wichtig, „reine Top-down-Ansätze“ zu vermeiden. Als erfolgsversprechend gilt vielmehr eine "Multistakeholder-Perspektive“, die unterschiedliche Verantwortungsebenen und differenzierte Sichtweisen einbezieht.
Neben einer (quantitativen und qualitativen) Weiterentwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) ist eine gestärkte Akutversorgung für den Rat ein unverzichtbares Element der Krisenvorbereitung. Diese sei jedoch in vielen Bereichen „redundant, wenig vernetzt und nicht (mehr) bedarfsgerecht“. Die Strukturen einschließlich der materiellen und personellen Ressourcen müssten daher möglichst effektiv und kurzfristig an veränderte Bedarfe angepasst werden.
Als geeignete Maßnahme, um die strukturelle Resilienz zu optimieren, schlagen die Sachverständigen beispielsweise integrierte regionale Gesundheitszentrenvor, deren Leistungsspektrum an die regionalen Bedarfe angepasst ist.
Ein zentrales Handlungsfeld zur Stärkung der Resilienz – in der Akutversorgung wie auch in anderen Versorgungsbereichen – sieht das Gutachten zudem in einem verbesserten Einsatz vorhandener Personalressourcen. Umsetzbar wäre dies beispielsweise durch den Abbau von Über- und Fehlversorgung, bessere Arbeitsbedingungen sowie durch die Förderung interdisziplinärer Teams. Die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte ist dem Gutachten zufolge dagegen lediglich ein kleiner Baustein.
Einen Neuausrichtungsbedarf erkennen die Expert*innen darüber hinaus in der Langzeitpflege, weil gerade ältere, multimorbide und pflegebedürftige Menschen durch die Pandemie und die Folgen des Klimawandels, insbesondere Hitzewellen, gefährdet sind. Um akute Krisen zu bewältigen und sich längerfristig auf vergleichbare Situationen einstellen zu können, benötige man „systematische Erhebungen, Register und Kohortenstudien“. Auf diese Weise ließen sich Infektionsketten nachvollziehen und Krankheitsverläufe sowie Outcomes von pflegebedürftigen Personen erfassen.
Eine weitere Empfehlung bezieht sich auf eine angemessene Bevorratung, die sich an „plausiblen Bedrohungsszenarien“ orientieren sollte. Dafür seien – über die bestehenden gesetzlichen Regeln hinaus – weitere verbindliche Vorgaben nötig, damit Leistungserbringer zukünftig auch Schutzausrüstung vorhielten.
Doch auch bei bestmöglicher Vorbereitung kann es im akuten Fall erforderlich sein, weitreichende Entscheidungen nicht nur schnell, sondern unter Unsicherheit zu treffen. Verhaltensbedingte Fehlanreize wie ein Herdenverhalten seien in solchen Situationen nicht auszuschließen, mahnen die Expert*innen. Als hilfreich können sich evaluierte Entscheidungsverfahren wie das sogenannte Schadensminimierungsprinzip („Maximin-Regel“) erweisen, bei dem die negativen Auswirkungen von Handlungsoptionen im Mittelpunkt stehen.
Dringend empfohlen wird zudem eine zeitnahe und wissenschaftlich möglichst abgesicherte Form der Informationsgewinnung und Bewertung durch den Einsatz interdisziplinärer Krisenstäbe und Expertengremien.
Eine schnelle Erfassung vulnerabler Gruppen, wie etwa Menschen mit Demenz, hält der Rat darüber hinaus für ebenso wichtig wie eine gute Kommunikation regional unterschiedlicher Maßnahmen.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung zukünftiger Krisen, Bonn, Gutachten 2023, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin.
www.svr-gesundheit.de/publikationen/gutachten-2023/
abgerufen am 09.10.2023
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