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Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine sind aufgrund des russischen Angriffskriegs nach Deutschland geflüchtet. Überwiegend handelt es sich um Frauen und Kinder. Das Ziel der Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“ besteht darin, deren Teilhabechancen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu untersuchen. Wie sich der zweiten Befragungswelle entnehmen lässt, hat ein wachsender Anteil von ihnen die Absicht, längerfristig in Deutschland zu bleiben.
Um die Lebensbedingungen der ukrainischen Geflüchteten eingehend zu analysieren, haben sich verschiedene Akteur*innen im Rahmen eines gemeinsamen Projekts zusammengeschlossen: das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und das Soziooekonomische Panel (SOEP) im DIW Berlin. Das Vorhaben ist als Längsschnittstudie angelegt und beinhaltet somit mehrere Befragungen. Die erste wurde im Spätsommer 2022 auf Basis einer repräsentativen Zufallsstichprobe von mehr als 11.000 Ukrainer*innen vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt. An der nachfolgend vorgestellten zweiten Befragung durch infas nahmen in der Zeit von Januar bis März 2023 6.754 Ukrainer*innen teil.
Wie die Ergebnisse belegen, hat sich der Anteil der Geflüchteten, die längerfristig in Deutschland bleiben wollen, bis Beginn des Jahres 2023 um fünf Prozentpunkte erhöht und liegt nunmehr bei 44 Prozent. Aus nachvollziehbaren Gründen gehört die familiäre Situation zu den entscheidenden Einflussfaktoren. Die Wahrscheinlichkeit, längere Zeit in Deutschland zu bleiben, ist bei Geflüchteten, deren Partner*in im Ausland lebt, um elf Prozentpunkte geringer als bei Singles.
Menschen, die in einer privaten Unterkunft leben, sind häufiger gewillt, dauerhaft in Deutschland zu leben als diejenigen, die in Unterkünften wie Hotels oder Pensionen wohnen. Hierbei ist zu bedenken, dass viele Kommunen inzwischen große Probleme haben, Geflüchtete unterzubringen. Doch seit der ersten Befragung ist der Anteil ukrainischer Geflüchteter, die in privaten Wohnungen oder Häusern leben, gewachsen, und zwar von 74 auf 79 Prozent. In beispielsweise einem Hotel oder einer Pension lebten zum Zeitpunkt der Befragung nur noch 13 Prozent und lediglich acht Prozent in einer Gemeinschaftsunterkunft.
Ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt: Gute Deutschkenntnisse wirken sich positiv auf die Bereitschaft aus, Deutschland zum Lebensmittelpunkt zu machen. Zugleich halten es die Forschenden zu denkbar, dass eine längerfristige Bleibeabsicht die Lernbereitschaft begünstigt. In jedem Fall war festzustellen, dass die Zahl der ukrainischen Geflüchteten, die einen Deutschkurs besucht haben, beträchtlich gestiegen ist. Galt dies im Herbst 2022 noch für die Hälfte der Befragten, so waren es Anfang 2023 bereits drei Viertel.
Zwar sei der Anteil derjenigen, die über „gute“ bis „sehr gute“ Sprachkenntnisse verfügen, mit acht Prozent noch immer gering, konstatieren die Autor*innen. Dennoch könne man zukünftig von einer erhöhten Teilnahme an weiterführenden Berufssprachkursen ausgehen, was unter anderem an der hohen Erwerbsorientierung dieses Personenkreises liege.
Zu berücksichtigen sei auch, dass viele der Befragten ihren Integrationskurs zu Beginn des Jahres 2023 noch nicht abgeschlossen hatten. Laut der Studie wurden diese Kurse mit einer Teilnahmequote von 87 Prozent offenbar besonders häufig nachgefragt. Doch wie ist diese hohe Besuchsquote zu erklären? Den Grund sehen die Forschenden vor allem darin, dass geflüchtete Menschen aus der Ukraine bereits im März 2022 an Integrationskursen teilnehmen konnten. Zugleich weisen sie auf die Möglichkeit hin, diejenigen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beziehen, zu einer Teilnahme zu verpflichten.
Die Autor*innen machen darauf aufmerksam, dass es für Geflüchtete im Vergleich zu anderen Migrant*innen generell schwerer ist, erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Jedoch seien die rechtlichen Voraussetzungen für Ukrainer*innen günstiger als für andere Geflüchtete. „Sie erhalten eine sofortige Arbeitserlaubnis und eine zunächst bis März 2024 befristete Aufenthaltserlaubnis.“ Durch ihre Integration in das Grundsicherungssystem nach dem Sozialgesetzbuch II (anstatt in das Leistungssystem nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) bezögen sie außerdem höhere Leistungen.
Zum Jahresbeginn 2023 waren 18 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im Alter zwischen 18 und 64 Jahren erwerbstätig. Davon gingen 39 Prozent einer Vollzeitstelle nach, 37 Prozent arbeiteten in Teilzeit und 18 Prozent als geringfügig Beschäftigte. Fünf Prozent absolvierten eine Ausbildung und zwei Prozent ein Praktikum.
Da ein großer Teil der Geflüchteten aus der Ukraine Kinder und Jugendliche sind, ist die Versorgung mit Betreuungsangeboten von besonderer Bedeutung. Seit der letzten Befragung hat sich die Nutzungsquote für Kindertagesbetreuung („KiTa“) bei Familien mit einem Kind bis einschließlich sechs Jahren um sieben Prozentpunkte erhöht. Dennoch besuchen nur rund 60 Prozent der geflüchteten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren eine KiTa, merken die Autor*innen an.
Die gesellschaftliche Teilhabe habe zuletzt deutliche Fortschritte gemacht, erklärt Markus M. Grabka, SOEP-Direktoriumsmitglied im DIW Berlin. Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am IAB in Nürnberg fordert allerdings mehr Planungssicherheit für die Geflüchteten. Entsprechend wird der Bundesregierung empfohlen, in Kooperation mit ihren Partner*innen in der EU zeitnah über die Verlängerung des vorüberregenden Schutzes zu entscheiden oder für andere längerfristige Aufenthaltsperspektiven zu sorgen.
Darüber hinaus treten die Forschenden dafür ein, dass „Bund, Länder und Kommunen weiterhin ausreichende Mittel für Integrationsprogramme, Bildung und Ausbildung sowie Kinderbetreuung zur Verfügung stellen.“
Herbert Brücker et al.: Geflüchtete aus der Ukraine: Knapp die Hälfte beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben. DIW Wochenbericht Nr. 28/2023, Download.
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