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Quadriga Verlag, 2023, 192 Seiten, 18 Euro
Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga ist Seniorprofessor für Weltraummedizin und extreme Umwelten an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin. Er erforscht seit Jahrzehnten die Wirkung von Extrembedingungen auf den menschlichen Körper, wie er auf Hitze oder Kälte, auf große Höhe oder im Weltall reagiert. In Tödliche Hitze erklärt er, wie er dafür die Arbeitsbedingungen in Burkina Faso untersucht hat, in die Wüste zog oder im texanischen Houston in die NASA-Mondmission Artemis 2 involviert ist. Der Experte berät die NATO vor Auslandseinsätzen in heißen Ländern, weil er weiß: Außentemperaturen über 40 Grad gehen weit über das hinaus, wofür Menschen evolutionär ausgestattet wurden. Im Gespräch mit unserer Autorin Maicke Mackerodt erklärt Hanns-Christian Gunga, was hohe Temperaturen im Körper bewirken und wie wir uns schützen können.
Der Hitzeforscher Hanns-Christian Gunga ist ein Mann für Extreme. Der Weltraummediziner von der Berliner Charité weiß, dass Menschen für die Hitze-Rekordsommer der letzten Jahre nicht gemacht sind. Am besten funktioniert der Temperaturhaushalt des menschlichen Körpers zwischen 21 und 24 Grad, notwendig ist dafür eine konstante Körpertemperatur von 36 bis 37,5 Grad. Den meisten sei gar nicht bewusst, dass Abweichungen von nur ein, zwei Grad nach oben oder unten tödliche Folgen haben können, so der renommierte Autor. Für den Physiologen verringert extreme, anhaltende Hitze vor allem die physische Leistungsfähigkeit, weil die hohen Temperaturen den Körper überfordern, trotz der Millionen Rezeptoren auf der Haut, die bei Hitze anfangen zu schwitzen.
In Tödliche Hitzeerläutert der Autor eindrucksvoll ein großes Forschungsprojekt, in dem er gemeinsam mit zehn Institutionen untersucht, wie Menschen, exemplarisch in Burkina Faso und Kenia, auf steigende Temperaturen reagieren. Anstatt nur meteorologische Grad-Celsius-Angaben zu berücksichtigen, werden Windgeschwindigkeit, Luftfeuchtigkeit, Strahlungs- und Lufttemperatur zur Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) zusammengesetzt. Diese gefühlte Temperatur ist für den Extremmediziner entscheidend, zumal die durchschnittliche Erwärmung von zwei Grad für Menschen in Afrika längst nicht mehr zu bewältigen ist. Es sei falsch, zu glauben, dass sich Menschen in der Subsahara oder in den Tropen an hohe Temperaturen besser anpassen können. Sie werden spätestens in zehn bis zwanzig Jahren am Limit sein, so seine Prognose. „Wer arbeitet, stirbt an der Hitze. Wer nicht arbeiten kann, verhungert. Die Klimaerwärmung wird die Bewohnbarkeit der Erde grundlegend verändern“, sagt Hanns-Christian Gunga.
„Die Migrationsbewegungen, die wir jetzt sehen, würde ich als Vorbeben bezeichnen, vor allem aus den Regionen, die jetzt schon, wie im Sub-Sahara-Bereich, klimatisch nur noch schwer zu händeln sind“. Für den Wissenschaftler wird die Migration in den nächsten Jahren zunehmen und damit müsse sich die Welt auseinandersetzen. „Die Menschen werden dorthin wandern, wo es kühl ist.“ Wer im betroffenen Bereich von Afrika lebt, müsse sich aufmachen, weil dort einerseits nicht genügend angebaut werden kann, um zu leben. Andererseits bekommt ein Hitzschlag, wer unter den extremen Bedingungen zu hart arbeiten muss. „Diese Regionen werden sich auflösen und damit müssen wir politisch umgehen“.
Physiologisch sind für Hanns-Christian Gunga alle Menschen weltweit gleich. Ist der Körper nicht mehr in der Lage, sich durch Wärmeabgabe selbst zu kühlen, wird es lebensgefährlich, weil die Stoffwechselprozesse aus dem Ruder laufen können. Wenn hohe Luftfeuchtigkeit dazu kommt, hilft auch kein Schwitzen mehr, denn der Schweiß kann nicht verdampfen, weiß der Mediziner. „Der Schweiß tropft runter und kühlt allenfalls den Boden, aber nicht den Körper“. Hohe Temperaturen über 28 Grad, verbunden mit hoher Luftfeuchtigkeit sind extrem belastend für den Körper und können schnell zu Erschöpfung führen.
In Pakistan, im Süden der USA oder in der Subsahara herrschen heute schon zeitweise Temperaturen von 45 bis 50 Grad. Diese Regionen werden für den Hitzeforscher in zwei Jahrzehnten entvölkert sein. Die Menschen müssen ihre Heimat zwangsläufig verlassen. Allein in Afrika betrifft das über 300 Millionen Menschen.
„Auch wenn wir jetzt alles radikal umstellen würden, dauert es sicherlich noch Jahrhunderte, bis wir die Temperatur wieder zurückbekommen. Manche unserer eigenen Untersuchung weisen darauf hin, dass ganze Landstriche wie Mali, Burkina Faso oder Katar Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr lebbar sein werden, ohne einen riesigen technischen Aufwand zu betreiben wie in Katar. Entsprechende Klimaanlagen haben einen gigantischen Energieverbrauch, und das Leben wird dann in abgezäunten Bereichen stattfinden“. Das betrifft laut Hanns-Christian Gunga Milliarden von Menschen.
Der Seniorprofessor leitete bis Herbst 2022 das Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten der Charité in Berlin, das er mit aufgebaut hat. Der Mediziner erforscht seit Jahrzehnten, wie der menschliche Körper auf außergewöhnliche Belastungen reagiert, und zwar auf Hitze, Kälte - und Schwerelosigkeit. Dafür war er zuletzt auch bei der NASA-Mondmission Artemis 2 im texanischen Houston involviert. Hanns-Christian Gunga hat einen Thermosensor mitentwickelt, der die Körpertemperatur der Astronauten im Weltraum aufzeichnet. Mit einem solchen Sensor kann auch die Kerntemperatur der Menschen in Burkina Faso und Kenia dokumentiert werden, wo er den Einfluss des Klimawandels auf die körperliche Leistungsfähigkeit untersucht.
„Der Mars ist ein sehr interessantes Objekt, denn er hatte offensichtlich selbst mal eine Atmosphäre, die er aber verloren hat. Mit dem Verlust der Atmosphäre ist gleichzeitig das Wasser verloren gegangen“, sagt Hanns-Christian Gunga. Der Mars sei ein gutes Beispiel, was passiert, wenn es große klimatische Veränderungen gibt.
„Sehr futuristischen Menschen träumen davon, Siedlungen auf dem Mars und oder auf Monden einzurichten“, weiß der Weltraummediziner. Das sei ein irrsinniger Aufwand, und sollte das überhaupt gehen, dauere das nach seinem Verständnis Jahrhunderte. „Wir haben nur diese Erde und das Erschütternde ist, dass wir nicht so vernünftig sind, alles daran zu setzen, um diesen Planeten zu schützen.“
Selbst für den Autor ist es erstaunlich, auf wie viele Fragen es noch keine Antwort gibt: Weshalb ist Hitze tödlich? Was passiert im Körper bei Hitzebelastung? Wie temperaturempfindlich sind Medikamente? Insbesondere auf molekularer Ebene habe ihn interessiert: Warum sterben wir einen Hitzetod? Was ist der auslösende Fall? Herz-Kreislauf-Versagen? „Es könnte auch ein thermischer Schaden im Bereich des Nervensystems sein. Woran das genau liegt, ist bisher nicht geklärt.“
Insbesondere bei älteren Menschen, Kindern und Personen mit Vorerkrankungen führt die Sommerhitze zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. Dabei geht es längst nicht nur um den Hitzschlag oder sogenannte Sonnenstiche, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegsprobleme und Dehydration sind bei extremer Hitze massiv erhöht. „Von vielen Vorerkrankungen weiß man gar nicht so genau, wie sie auf Hitze reagieren und wie die Wirkstoffe der Medikamente bei Hitze reagieren. Da ist noch ein völlig offenes Feld.“
Er habe das mit Interesse studiert, aber auch „mit ein bisschen Unwohlsein, weil wir eben an vielen Stellen noch gar nicht über die nötige sachliche, fachliche Kenntnis verfügen, wie Hitze auf den Gesamtorganismus reagiert“, so Hanns-Christian Gunga.
Hanns-Christian Gunga gibt in Tödliche Hitze sein umfangreiches Wissen zum aktuellen wissenschaftlichen Stand der Hitzeforschung wieder – und räumt ein, dass es noch viele offene Fragen in der Hitzeforschung gibt. Das ist mitunter etwas mühsam zu lesen, denn es geht dem Weltraummediziner um ein ganzheitliches Verständnis der physischen und psychischen Auswirkungen von Hitzestress auf den Menschen. Dabei bezieht er interessante evolutionsbiologischer Aspekte ebenso mit ein wie ökonomische und gesellschaftliche Folgen – und die notwendigen politischen Schritte, um den globalen Temperaturanstieg und seine tödlichen Folgen zu begrenzen. Entsprechend umfangreich ist auch der Erkenntnisgewinn für die Leser.
Weiterführende Links:
www.ndr.de/fernsehen/sendungen/das/Weltraummediziner-Prof-Hanns-Christian-Gunga,sendung1361146.html
https://neuesruhrwort.de/2023/07/06/hitze-wird-unterschaetzt-mediziner-raten-zur-siesta/
www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/redezeit-hanns-christian-gunga-100.html
alle abgerufen am 07.08.2023
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Buchbesprechung
Hanns-Christian Gunga: Tödliche Hitze. Was extreme Temperaturen im Körper bewirken und wie wir uns schützen können
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
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