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Immer mehr deutsche Unternehmen klagen über einen Mangel an Personal. Bei der Suche nach einer Lösung des Problems setzt man verstärkt auf den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland. Was in der öffentlichen Debatte bislang wenig beachtet wird, ist die Situation im Niedriglohnsektor. Dort sind überwiegend Arbeitsmigrant*innen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten sowie aus Drittstaaten tätig, nicht selten unter prekären Bedingungen. Den Ursachen und Wirkungen solcher Beschäftigungsverhältnisse ist eine Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) nachgegangen.
„Ob auf dem Bau, beim Spargelstechen, in der Gastronomie oder bei der Betreuung älterer Menschen: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft auf ihre Arbeit angewiesen ist. Dennoch verhindern prekäre Beschäftigungsverhältnisse ihre selbstbestimmte Teilhabe in Deutschland“, sagt Dr. Holger Kolb, Leiter des SVR-Forschungsprojekts, das durch die Stiftung Mercator gefördert wurde. Das Ziel bestand darin, den Zusammenhang zwischen rechtlichen und faktischen Teilhabechancen bzw. den vorhandenen Hürden und der prekären Beschäftigung aufzuzeigen. Dafür wurden zwischen Oktober 2021 und Dezember 2022 38 halbstrukturierte Interviews mit Expert*innen geführt.
Durch die EU-Osterweiterung ab 2004 bzw. 2007 und die daraus resultierende Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2011 stand dem Arbeitsmarkt ein zusätzliches Arbeitskräfteangebot zur Verfügung. Oft wurden diese Menschen für Tätigkeiten eingesetzt, die bei deutschen Arbeitsnehmer*innen als unattraktiv galten. Trotzdem fanden sich genügend Bewerber*innen, denn in Deutschland konnten sie deutlich mehr verdienen als in ihren Herkunftsländern. Deutsche Unternehmen wiederum profitierten, weil sie aufgrund geringerer Lohnkosten in der Lage waren, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
„Die Zeiten, in denen sich direkt nebenan ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an ‚preiswerten‘ Arbeitskräften findet, neigen sich jedoch dem Ende zu“, heißt es in der Studie. Daher, so die Autor*innen, wachse das Interesse an der Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittländern.
Doch was ist unter prekärer Beschäftigung genau zu verstehen? Innerhalb der Forschung existieren bislang unterschiedliche Definitionen. Für die SVR-Studie wurden folgende Faktoren berücksichtigt:
Liegen mindestens zwei Faktoren vor, handelt es sich – nach dem Verständnis der Autor*innen – um eine prekäre Beschäftigung. Die Intention besteht nunmehr darin, die negativen Folgen für die gesellschaftliche Teilhabe sichtbar zu machen. Dies bezieht sich etwa auf die Pflege von sozialen Beziehungen oder den Erwerb von Sprachkenntnissen. All dies werde „durch prekäre Arbeit erschwert, wenn nicht gar verhindert“, lautet der Befund.
Die Studie richtet ihre Aufmerksamkeit auch auf die rechtlichen Rahmenbedingungen. Danach sind Staatsangehörige der EU deutschen Staatsangehörigen „in vielen Teilbereichen nahezu gleichgestellt“, jedoch nicht bei den Sozialleistungen. Ist eine Person beispielsweise nur für eine kurze Zeit in Deutschland beschäftigt, verbleibt die Sozialversicherungspflicht im Herkunftsland, d.h. in Deutschland gibt es keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Zudem haben Fachkräfte aus Drittländern, die mit einer Blue Card einreisen, mehr Rechte als diejenigen, die nur für kurze Zeit im Niedriglohnsektor tätig sind.
Ausschlaggebend für die Frage der Teilhabe ist zudem die Art und Weise, wie rechtliche Rahmenbedingungen praktisch umgesetzt werden. „Zum einen konnten wir feststellen, dass die institutionell-behördliche Praxis Teilhabehürden verstärken kann“, so Dr. Kolb. Die Rechtslage sei häufig so komplex, dass Verfahren verlangsamt oder sogar falsche Entscheidungen getroffen würden. „Zum anderen haben wir aber auch festgestellt, dass Arbeitgebende geltendes Recht und Schutzbestimmungen für Arbeitskräfte zum Teil systematisch umgehen.“
Diese Problematik lässt sich etwa am Beispiel der Beschäftigungsform „Häusliche Betreuung“ (Kapitel 4.3.1) nachweisen. Als „zentrale Akteurinnen auf dem transnationalen Betreuungsmarkt“ werden Personalagenturen genannt. Für die Vermittlung einer Betreuungskraft erhalten sie – so die Studie – einen großen Teil des Geldes, das Privathaushalte für die Betreuung von pflegebedürftigen Menschen ausgeben. Den überwiegend weiblichen und meist mittel- oder osteuropäischen Betreuungskräften bliebe oft weniger als die Hälfte. Die Vertragsverhältnisse bzw. Zuständigkeiten seien sowohl für die Betreuungskräfte als auch für die zu betreuenden Personen und deren Familien oft undurchsichtig.
Hinzu komme die Frage der Abgrenzung zwischen Arbeit, Bereitschaft und Freizeit im Falle einer 24-Stunden-Betreuung einschließlich der Entlohnung. Die negativen Folgen solcher Rahmenbedingungen sind laut der Studie umfassend. Eine geringe Bezahlung gehört ebenso dazu wie unbezahlte Bereitschaftszeiten, Überlastungen, soziale Isolation und eine mangelnde Privatsphäre.
Abschließend kommt die Studie zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich die Erwerbsbeteiligung im Niedriglohnbereich für den genannten Personenkreis oftmals als „Prekaritätsfalle“ erweist.
Loschert, Franziska/Kolb, Holger/Schork, Franziska 2023: Prekäre Beschäftigung – prekäre Teilhabe. Ausländische Arbeitskräfte im deutschen Niedriglohnsektor. SVR-Studie 2023-1, Berlin
Prekäre Beschäftigung – prekäre Teilhabe. Ausländische Arbeitskräfte im deutschen Niedriglohnsektor
In der Prekaritätsfalle: Ausländische Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor
alle abgerufen am 07.08.2023
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