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Bevölkerungsprognosen sind relativ: Noch vor wenigen Jahren sagten Forscher voraus, dass die Einwohnerzahl Deutschlands bis Mitte des Jahrhunderts um zwölf Millionen schrumpfen würde. Das Gespenst vom aussterbenden Deutschland ging um. Doch dank Zuwanderung und leicht gestiegener Geburtenziffern liegt die Einwohnerzahl derzeit bei rund 83 Millionen – und soll bis 2035 kaum sinken. Als „demografisches Zwischenhoch“ bezeichnet die aktuelle Studie „Die demografische Lage der Nation" des Berlin-Instituts diese Entwicklung. Dennoch zieht die Studie ein nüchternes Fazit: Regionale Gleichwertigkeit lasse sich nicht künstlich erzeugen. Schrumpfen von Landstrichen müsse akzeptiert und planvoll gestaltet werden. Die Zukunft liege in den Städten.
Für die Forscher bestehen die Unterschiede zwischen prosperierenden Großstädten und strukturschwachen Regionen unverändert fort. Wobei das neue „Armenhaus“ Deutschlands inzwischen das Ruhrgebiet ist, während ostdeutsche Städte wie Berlin, Leipzig oder Dresden durchstarten. Die Studie ist die vierte Fortschreibung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zu diesem Thema – nach 2004, 2006 und 2011. Um die „Zukunftsfähigkeit“ der 401 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte sowie der 16 Bundesländer zu bewerten, wurden 21 Indikatoren aus den Bereichen Demografie, Wirtschaft, Bildung und Familienfreundlichkeit ausgewählt und benotet.
In puncto „beste Lebensbedingungen“ kommt der Süden Deutschlands besonders gut weg: Von den Top 20 der Landkreise und kreisfreien Städte liegen 19 in Bayern und Baden-Württemberg. Als einzige ostdeutsche Stadt schaffte es Dresden auf Platz 15 (zuletzt Platz 71) der Boomregionen. Auffällig ist, dass inzwischen mehr Großstädte als in früheren Untersuchungen in der Topgruppe zu finden sind. „Daran zeigt sich, trotz steigender Mieten und verbreiteter Verkehrsprobleme, die immer noch wachsende Attraktivität erfolgreicher Städte, die neben guten Jobs und Hochschulen auch Kultur- und Freizeitangebote vorhalten, die es anderswo nicht gibt“, so die Autoren.
Bei den 20 Schlusslichtern hat sich eine deutliche Verschiebung von Ost nach West ergeben: Sechs der am schlechtesten bewerteten Landkreise und kreisfreien Städte liegen mittlerweile in Nordrhein-Westfalen (Ruhrgebiet), vier in Niedersachsen, drei im Saarland. Aus Ostdeutschland sind es nur noch fünf. Zum Vergleich: 2006 lagen von den Schlusslichtern noch 19 von 20 zwischen Rügen und dem Erzgebirge, 2011 immer noch 14.
Im Vergleich der Bundesländer liegt bei den Parametern Demografie, Wirtschaft, Bildung und Familienfreundlichkeit Baden-Württemberg ganz vorne, gefolgt von Hamburg und Bayern. Abgestiegen um jeweils fünf Plätze sind Nordrhein-Westfalen (Platz 11) und Schleswig-Holstein (Platz 12). Aufgestiegen sind dagegen Thüringen (Platz 7) und Sachsen (Platz 8). Das Saarland und Sachsen-Anhalt bilden das Schlusslicht. In den alten Bundesländern habe der Strukturwandel seine Spuren hinterlassen – einen Abstieg sehen die Autoren neben dem Ruhrgebiet und dem Saarland auch in ländlichen Regionen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, in der Südpfalz und an den Küsten.
Schrumpfung und Wachstum liegen in Ostdeutschland dicht beieinander: So ist Leipzig die am schnellsten wachsende Stadt der Republik, bis 2035 soll die Einwohnerzahl um rund 16 Prozent zunehmen. Und auch Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock, Halle und Magdeburg wachsen weiter. Dennoch werden die ostdeutschen Flächenländer bis 2035 mehr als jeden fünften Einwohner verlieren, prognostiziert die Studie. Besonders betroffen mit fast 16 Prozent Bevölkerungsschwund sei Sachsen-Anhalt.
Eine Revitalisierung dieser ausgedünnten Landstriche halten die Studienautoren für eine Illusion: „Weder der Begriff der Heimat noch Geld können demografisch angeschlagene Gebiete auf den Wachstumspfad zurückführen.“ Auch mit Blick auf die in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen raten die Studienautoren zu Aufrichtigkeit über die Entwicklungsmöglichkeit von strukturschwachen Regionen: „Wo sich keine Gleichwertigkeit erreichen lässt, können aus Versprechungen nur Enttäuschungen werden.“ Die Politik müsse lernen, den Bevölkerungsrückgang zu verwalten und zu begleiten, sie müsse Rückbau gestalten und kreative Lösungen zur Daseinsvorsorge ermöglichen. Denn, so das ernüchternde Fazit: Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich alle einstmals besiedelten Orte aufrechterhalten lassen.
Im Rahmen sinnvoller Lösungen zum Rückbau strukturschwacher Regionen verweist die Studie auf eine Vielzahl innovativer Versorgungskonzepte wie Mobilitätsketten aus Bussen, E-Bikes und Privat-PKW, mobile ärztliche Angebote, multifunktionale Dorfläden oder kleinräumige Pflegenetzwerke. Hier müsse es jedoch mehr rechtliche Freiräume und eine kreativere Verwaltung geben, damit diese Konzepte auch greifen könnten. Für lokale Initiativen sollte es mehr Unterstützung und mehr Austausch mit Best-Practice-Modellen geben. Die Studienautoren sehen hier das Heimatministerium in Berlin in der Pflicht.Wichtig sei auch, noch mehr in Bildung und Digitalisierung zu investieren, in ländlichen Gebieten mit starkem Mittelstand sollten die Unternehmen stärker in Schulen über ihre Ausbildungsangebote informieren und sich an dualen Studiengängen beteiligen.
Manuel Slupina / Susanne Dähner / Lena Reibstein / Reiner Klingholz u.a.,
Die demografische Lage der Nation – Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind, Herausgeber: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, April 2019, 100 Seiten, Download
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