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„Also ich fand G8 jetzt komplett bescheuert. Also bei G8 und G9 hatten, glaube ich, hauptsächlich nur Erwachsene Mitbestimmungsrecht, obwohl die gar nicht mehr in der Schule sind.“Ein Vierzehnjähriger beschreibt exemplarisch, was eine repräsentative Befragung der Bertelsmann Stiftung zutage förderte: Junge Menschen fühlen sich in der Schule und von der Politik nicht ernst genommen. Sie wollen beteiligt werden, möchten Schule und Gesellschaft mitgestalten. Und, keine Sorge, liebe Eltern, sie wählen kein Wunschkonzert, sondern sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. „Dabei könnte die Politik viel lernen: über den Zusammenhang von Sicherheit, Gewalterfahrung und Armut“, heißt es in einer begleitenden Erklärung der Stiftung.
Junge Leute können sehr klar Auskunft darüber geben, was ihnen wichtig ist oder wie sie die Erwachsenen erleben – man muss sie einfach nur fragen. Genau das tat die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen von der Universität Frankfurt am Main im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.* Die Befragung von bundesweit knapp 3.500 Schülerinnen und Schüler zwischen acht und 14 Jahren im Schuljahr 2017/2018 ergab, welche Themen sie umtreiben: Vertrauen, Zugehörigkeit, Sicherheit und Selbstbestimmung.
Die „Fridays for Future“-Demonstrationen zeigen eine Jugend, die selbstbewusst ihr Recht auf Zukunftsgestaltung einfordert. Die Schule aber wird diesem Anspruch nicht gerecht, macht die Studie deutlich. Je älter die Jugendlichen werden, desto weniger haben sie das Empfinden, in der Schule mitbestimmen zu dürfen: Bei den Achtjährigen ist es noch jeder zweite, bei den 14-Jährigen sind es nur noch 34 Prozent. Interessant ist die Differenzierung nach Schultypen: Während sich in der Grundschule 57 Prozent der Kinder mit ihrer Beteiligung an Schulbelangen zufrieden äußern, sind es im Gymnasium nur 39 Prozent. Demgegenüber bekommen die Eltern weitaus bessere Noten: Die große Mehrheit der befragten jungen Leute erfährt sie als gesprächsbereit und hat das Gefühl, dass ihnen zugehört wird.
Kinder und Jugendliche nehmen ihre Schule in bedenklichem Maße als einen Ort der Unsicherheit und Bedrohung wahr. Mehr als jeder dritte Schüler in Gesamt- und Sekundarschulen (39 %) gab an, im Monat vor der Befragung gehänselt oder geschlagen worden zu sein. Etwa jeder dritte Schüler an Haupt- und Realschulen (35 %) sowie an Gymnasien (29 %) gab ähnliche Erfahrungen preis.
Die meisten Kinder (96 %) sagen, dass es ihnen materiell gut geht. Was sie meinen: Sie haben genug zu essen, Platz zum Spielen, die Wohnung verfügt über mindestens ein Badezimmer, die Familie über mindestens einen Computer. Dennoch machen sich rund 52 Prozent der Heranwachsenden Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie, 16 Prozent fürchten ständige Geldnot. Das gilt insbesondere für Kinder sozial schwacher Familien. 55 Prozent sind eigenen Angaben zufolge im vergangenen Monat Opfer von Übergriffen worden – bei den Kindern aus wohlhabenderen Elternhäusern waren es 30 Prozent.
Wesentliche Aussagen der Studie sehen die Wissenschaftler von einem eigens gegründeten Jugendexpertenteam** bestätigt, das die Studie kritisch begleitete. Die jungen Menschen fassen ihre wichtigsten Forderungen so zusammen:
Die Studie gibt interessante Einblicke, was junge Menschen hierzulande umtreibt. Auf jeden Fall gehören dazu auch Wünsche und Erwartungen zur Mitgestaltung des schulischen Alltags, zum sicheren Leben und Lernen in der Schule, zur Beseitigung von familiärer Armut und zur Herstellung gerechter Bildungschancen.
Dabei zeigen sie recht realistische Einschätzungen ihrer Bedarfe, lässt sich der Studie entnehmen. Nur zwei Beispiele: Von den knapp 60 Prozent der Achtjährigen, die kein Handy besitzen, gibt die Hälfte an, keines haben zu wollen oder zu brauchen. Und diejenigen, die sich die größten Sorgen um die finanzielle Situation ihre Familie machen, sind tatsächlich am schlechtesten situiert.
Die von Erwachsenen oft geäußerte Verallgemeinerung, junge Menschen seien unpolitisch und konsumorientiert, trifft demnach nicht zu. Sie haben allerdings andere Sichtweisen als Eltern, Lehrer und Politiker und lehnen Bevormundung ab. „So wollen sie u. a. besser über ihre eigenen Rechte informiert, ernst genommen und an für sie relevanten Entscheidungen beteiligt werden“, stellt die Untersuchung fest. „Das bedeutet, sie systematisch und regelmäßig zu befragen und ihr Wissen in der Politik zu berücksichtigen.“
* Die vorliegende Studie basiert auf der internationalen Befragung „Children's Worlds“ und wurde in Deutschland um eine repräsentative Erhebung und 24 Gruppendiskussionen mit jungen Menschen zwischen fünf und 20 Jahren zu „Children’s Worlds+“ erweitert.
Sabine Andresen / Renate Möller u. a., Children's Worlds+, Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Hrsg: Bertelsmann Stiftung, Gesamtauswertung, 1. Aufl. 2019, 176 Seiten, Download
Kurzversion (65 Seiten)
** „Fragt uns“. Anmerkungen von jugendlichen Expert*innen zur Studie Children’s Worlds+, Hrsg: Bertelsmann Stiftung, 22 Seiten, Download
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