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Hass im Internet kann tödlich sein. Der Mord an Walter Lübcke belegt das auf grausame Weise. Die Flut von Verleumdungen und Drohungen in den sozialen Netzwerken, die den Kasseler Regierungspräsidenten seit der Bürgerversammlung zur Flüchtlingsaufnahme im Jahr 2015 traf, erscheint rückblickend als skrupellose Ankündigung des Verbrechens. „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit“, fasste es Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zusammen. Dabei offenbart dieser Fall von Hassrede im Netz nur die Spitze des Eisbergs, enthüllt eine Studieim Auftrag des Kampagnenportals Campact e.V.. Auch wen die Hetze nicht direkt trifft, lässt sie nicht unberührt: Viele Nutzer ziehen sich eingeschüchtert aus Onlinediskussionen zurück – eine fatale Einschränkung des demokratischen Diskurses.
Welche Erfahrungen haben die Bürger mit Hassrede im Internet (Hate Speech) und wie reagieren sie darauf? Um das herauszufinden,befragte das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Frühjahr 2019 fast 7.400 Teilnehmende zwischen 18 und 95 Jahren online. Unter Hassrede verstehen die Studienautoren „aggressive oder allgemein abwertende Aussagen gegenüber Personen, die bestimmten Gruppen zugeordnet werden“ (z.B. Politikern, Ausländern, Homosexuellen), vor allem eine „vorurteilsgeleitete, abwertende Sprache“. Hiervon abzugrenzen sind Beleidigungen oder Cybermobbing gegen Individuen.
Acht Prozent der Befragten war schon einmal Ziel von Netz-Attacken. 40 Prozent haben bereits Hasssprache im Netz beobachtet, Jüngere häufiger als Ältere (18-24 Jahre: 73 %; 25-44 Jahre: 51 %; 45-59 Jahre: 33 %). Menschen aus Einwandererfamilien fielen abwertende Kommentare häufiger auf als Befragten ohne Migrationshintergrund (48 vs. 38 %). Drei Viertel haben den Eindruck, dass Hate Speech im Internet zugenommen hat (76 %).
Einschüchterung, Drohung, Rufmord – Hate Speech beeinflusst die Befindlichkeit. Zwei Drittel (66 %) der persönlich angegriffenen Befragten berichten von unterschiedlichen Reaktionen (Mehrfachantworten möglich): von Stress oder Abgeschlagenheit (33 %), Angst und Unruhe (27 %), Depressionen (19 %) und Selbstwertproblemen (24 %). Jüngere Menschen (unter 25) fühlen sich deutlich stärker betroffen als ältere, weibliche Teilnehmende mehr als männliche.
Pöbeleien im Internet wirken sich nicht nur auf das persönliche Gefühlsleben aus. Hasskommentare fördern die Tendenz zum Rückzug aus der Netzkommunikation. Die Hälfte der Befragten hält sich mit der eigenen politischen Meinung im Netz zurück (54 %) und beteiligt sich seltener an Diskussionen (47 %), selbst wenn sie nicht persönlich angegriffen wurden. „Hate Speech schränkt die freie Meinungsäußerung im Netz ein und verschiebt gefühlte Mehrheiten“, schlussfolgern die Studienautoren. „Wenn Hater*innen in Kommentarspalten dominieren, entsteht der Anschein, sie seien auch gesellschaftlich in der Mehrheit.“ Drei Viertel der Befragten (72 %) befürchten als Folge der Verrohung im Internet eine Zunahme von Gewalt im Alltag.
Aus Sicht der Befragten unternehmen deutsche Institutionen nicht genug gegen den Hass im Netz. Nur 19 Prozent sind der Meinung, die Polizei tue genug dagegen, gerade einmal 13 Prozent denken das von den Landesregierungen, nur 12 Prozent von der Bundesregierung. Entsprechend sehen sie mehrheitlich großen Handlungsbedarf.
Dem Satz „Der Staat sollte die bestehenden Gesetze gegen Beleidigungen, Hassrede und Verleumdung auch im Internet konsequent durchsetzen“ stimmen 75 Prozent der Befragten zu. Die Studienautoren werten das als „deutlichen Appell“ der Bevölkerung an den Staat, sich gegen Hate Speech stark zu machen. Dieses Votum aufgreifend, erhob Campact e.V. fünf Forderungen zur Bekämpfung aggressiver Netzbotschaften und erhielt dazu folgende Zustimmungsraten:
Zwar sind Volksverhetzung, Beleidigung und Rufmord strafbar, aber häufig kommen Hetzer ungeschoren davon, kritisieren die Autoren der Campact-Studie. „Die Hürden, den Rechtsweg einzuschlagen, sind hoch, viel zu oft werden Verfahren ohne Verurteilung eingestellt.“
Dass der Kampf gegen Hate Speech nicht erfolglos bleiben muss, dafür nehmen die Autoren den Anfang 2019 präsentierten Koalitionsvertrag der hessischen Landesregierung (CDU/Grüne) als Beleg – genauer, die darin enthaltenen zentralen Maßnahmen gegen Hate Speech, für die das Kampagnenportal zuvor landesweit geworben hatte. „Für Campact ist das etwas ganz Besonderes: eine Premiere. Zum ersten Mal haben wir es gemeinsam als Bürgerbewegung geschafft, ein Thema direkt in einem Koalitionsvertrag zu verankern.“ Erster Schritt ist der Aufbau einer „Task Force“ gegen Hetze im Netz, die mit Polizisten, IT-Fachleuten und Verfassungsschützern besetzt ist und eng mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt zusammenarbeitet. Inzwischen gab auch die Landesregierung in Rheinland-Pfalz den Aufbau der Task Force „Gewaltaufrufe rechts“ bekannt.
An der Untersuchung waren vier weitere Initiativen beteiligt:
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) wertete die Befragung aus.
Daniel Geschke / Anja Klaßen / Matthias Quent / Christoph Richter, #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine bundesweite repräsentative Untersuchung. Hg. vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, Juni 2019, 81 Seiten, Download
Zur Kampagne in Hessen:
https://blog.campact.de/2019/01/hessen-vertrag-gegen-hass/
Interview der Bank für Sozialwirtschaft mit Campact-Vorstand Dr. Felix Kolb:
www.sozialbank.de/ueber-uns/unsere-kunden/ref/detail/campact-ev.html
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