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Kinn-Straffungen, Faltenunterspritzung mit Botox, Mainstream-Nasen vom Schönheitschirurgen: Die Schauspielerin und Kunsthistorikerin Saralisa Volm ist wütend, weil ihrer Meinung nach der Schönheitsdruck und der Körperterror auf Frauen rasant zunehmen. Und was die Regisseurin völlig nervt: Dass Botox und Hyaluronfiller als harmlos angepriesen werden, nur damit der Profit der Schönheitsindustrie stimmt. Die vierfache Mutter erzählt in ihrem Buch „Das ewige Ungenügend“ sehr persönlich, wie sie bereits mit 18 Jahren unter der Essstörung Bulimie litt: „Ich war eine typische Außenseiterin, mit vielen Gründen, mich selbst hässlich zu finden und meinen Körper zu verachten und es fühlte sich gut an, einen Schuldigen zu identifizieren“, schreibt Saralisa Volm. Es überrascht die Autorin, mit welchen vermeintlichen Defiziten sie schon als junge Frau gekämpft hat, weil sie sich weder schön noch begehrenswert fand.
Saralisa Volm gilt als Multitalent. Mitte der Nuller-Jahre wurde sie von Regisseur Klaus Lemke entdeckt, trat als erfolgreiche Schauspielerin auch in dem Erotikkurzfilm „Desire“ auf. Inzwischen ist die Wahlberlinerin längst eine etablierte Filmproduzentin, kuratierte als Kunsthistorikerin 2018 die Ausstellungsreihe „bitch MATERrial“ und schrieb das Elternbuch „Mamabeat“. 2022 gab sie mit „Schweigend steht im Walde“ auf der Berlinale ihr Debüt als Regisseurin. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Saralisa Volm über Schönheitsideale, Feminismus und das ewige Herumzerren am weiblichen Körper gesprochen.
„Es gab persönliche Sachen, wie ich habe keinen Orgasmus, und dachte, dass schreibe ich mal mit auf und gucke, ob es anderen auch so geht“, erzählt Saralisa Volm im Skype-Interview. Sie habe erst während der Buchrecherche gemerkt, „wie krass die Zahlen sind“, egal ob es sexualisierte Gewalt, Orgasmen-Gap oder Essstörungen sind: „Weil wir geliebt und angenommen werden wollen, weil wir gesehen werden wollen.“ Ihrer Meinung nach setzt die Werbeindustrie genau da an und sagt: ‚Hey, du musst nur das oder das machen, dann siehst du genauso gut aus, wie die Frau in der Werbung`. „Das ist das Perfide, dass uns wirklich verkauft wird, dass angeblich dahinter unser Glück liegt. Dabei liegt das Glück genau dort, wo wir gesehen werden und wo wir sprechen dürfen, so wie wir sind", sagt die Autorin.
„Das ewige Ungenügend“ ist eine zornige und knallharte Anklage gegen das Beautyregime und weibliche Fremdbestimmung im Kapitalismus. Die Wut der Filmproduzentin richtet sich gegen ein System, das Frauen benachteiligt, vor allem, wenn sie älter werden. Aber auch gegen privilegierte weiße Frauen, die ihre Stimme nicht erheben oder nicht arbeiten gehen. Ihr Zorn richtet sich zudem gegen die Politik, die Großkonzerne gewähren lässt, erst fett machende Lebensmittel zu verkaufen und dann verunsicherten Frauen Diät-Kuren anzubieten. Saralisa Volm fordert einen kritischen Blick auf den Konsum. Gerade mangelnde Selbstachtung und Selbsthass machen Frauen dafür empfänglich, sich im Kampf um Aufmerksamkeit dem Beauty-Regime völlig unkritisch zu unterwerfen.
Für die Filmemacherin wird Selbsthass in gewisser Hinsicht auch belohnt: Saralisa Volm ist überzeugt, dass eine sehr unzufriedene Frau öfter bereit ist, etwas zu tun, um vielleicht doch gemocht zu werden, obwohl sie sich ja selber so fürchterlich, so ungenügend findet. „Es ist eine große Gemengelage aus gesellschaftlichen Druckmomenten, persönlichen psychologischen Faktoren und Sachen, die wir vorgelebt bekommen.“
Die Kunsthistorikerin geht der Frage nach, welche Körperbilder, welches Selbstempfinden und welches Selbstbewusstsein Eltern und Großeltern vorgelebt haben. „Wie oft wird darüber gesprochen: Ja, meine Mutter hat oft zu mir gesagt, ich hätte Stummelbeine. Oder ich soll auf meine Linie aufpassen, wenn du dick wirst, heiratet dich keiner“. Mütter haben ihrer Meinung nach Angst, „hässliche Töchter zu haben, die sie nicht loswerden und womöglich durchfüttern müssen, bis sie 50 sind“. Das sei schon ganz vielen mitgegeben worden, lange bevor es soziale Medien wie Instagram gab.
Voraussetzung für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen ist für die Autorin ökonomische Gleichberechtigung in allen Bereichen. Frauen bekommen meist deutlich weniger Rente, alleinerziehenden Müttern droht Altersarmut und bei der Scheidung zögen sie in der Regel den Kürzeren. Für Saralisa Volm sorgt erst Wahlfreiheit, die von der Politik gewollt ist, für ökonomische Unabhängigkeit. „Es ist ein langwieriger und komplexer Prozess, sich aus dem antrainierten Körperverhalten zu lösen“, schreibt die vierfache Mutter. „In meiner Generation sind zum Beispiel Haare unter den Armen oder an den Beinen undenkbar“. Frauen versetzen sich durch Haarlosigkeit lieber in den präpubertären Zustand zurück. Für die Schauspielerin ist aber das natürlich wachsende Schamhaar „ein Akt des Aufstandes“. Humorvoll beschreibt Saralisa Volm den „Schamhaar-Ehekrieg“ mit ihrem Mann.
Saralisa Volm ist überzeugt davon, dass Menschen, die in einer gewissen Abhängigkeit von anderen sind, natürlich das Bedürfnis haben, genau denen zu gefallen, die für sie sorgen. Sie schaut auf das große Geschlechterverhältnis, das es in vielen Ländern gibt und resümiert: „Wenn Frauen Kinder haben, sind sie abhängig von ihren Männern, weil sie sich nicht für ihre ökonomische Unabhängigkeit einsetzen. Dann wollen sie nur noch gefallen, damit die andere Person sie annimmt.“
Frauen müssten in der Lage sein zu sagen: „Du, wenn dir meine Haare nicht passen, da ist die Tür. Ich kann meine Miete selbst zahlen, bin auch nicht in der Altersarmut bedroht, wenn du jetzt gehst“. Ökonomische Unabhängigkeit gibt Frauen mehr Selbstbewusstsein. „Ich weiß, dass das viele nervt“, betont die Regisseurin, „aber es bedeutet für Frauen auch, sich ganz ernsthaft mit Macht und mit Geld zu beschäftigen und auch damit, wo es herkommt und wie wir es erlangen und vielleicht auch, wie wir es gerechter verteilen können.“
„Frauen müssen aufhören, ihren Körper zu beurteilen“, fordert Saralisa Volm. Die Bilderflut, die uns umgibt, prägt und manifestiert unsere Vorstellung von normal, hässlich und schön – und genau das ist für die Autorin problematisch. Es sei vor allem die heterosexuell männliche Perspektive, die unser weibliches Körperbild prägt und festlegt, wann eine Frau attraktiv ist. Männer haben die Macht zu entscheiden, dass es vor allem junge, erotische Frauen sind, die sie sehen wollen und diese Macht muss für die Filmproduzentin neu aufgeteilt werden.
Für Saralisa Volm werden wir überrollt von dem gesellschaftlichen Dilemma, dass zwar alle alt werden wollen, aber Frauen sollen sich dabei als möglichst faltenfreie, dauerjunge Normalschönheit positionieren. Es geht um weiße westeuropäische Frauen, die dem Schönheitsdruck der Gesellschaft nachgeben, vermeintliche Makel korrigieren lassen, um ewig jugendlich und bis in hohe Alter begehrenswert zu sein.
Gleichberechtigung ist erst dann da, wenn dieser Zwang vollständig wegfällt.
„Ich gehöre zu den Menschen, die schon immer zutiefst überzeugt davon sind, dass das Private auch politisch ist, dass alles Handeln politisch ist“, sagt Saralisa Volm. Man könne nicht sagen: Ach, geht doch mal zum Psychologen oder mach einen Wellnessurlaub, dann geht es dir schon besser. „Damit werde ich den Pay Gap nicht los“. Es müsse auf einer größeren Ebene gelingen, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. „Da können wir nicht gegen anmeditieren, da muss politisch agiert werden.“
Die Schauspielerin ist sich absolut sicher: „Ich werde nicht ohne Haarefärben, Botox und Kinnstraffung 70 Jahre“. Damit rechne sie durchaus. Lange gab es nur in Berlin-Charlottenburg Schönheitspraxen, beobachtete die Wahl-Berlinerin. Jetzt gibt es sie an jeder Ecke. „Das heißt, du gehst abends spazieren und läufst schon wieder an drei neueröffneten Läden vorbei, das macht ja auch was mit uns. Schönheit ist was für Privilegierte und genau danach streben wir“, sagt Saralisa Volm. „Es hat ganz viel auch mit Klassenkampf zu tun, wenn wir gegen das Schönheitsdiktat anwettern. Mich jedenfalls hat das Schreiben des Buches total radikalisiert“, so die Autorin.
Saralisa Volm hat sich ihren Frust über den Körper als ewige Baustelle von der Seele geschrieben. Die knapp 40-jährige Mutter mischt ihre persönlichen, höchst ambivalenten und teils traumatischen Erfahrungen mit Analysen zum weiblichen Körper als Objekt von Macht. Es ist vor allem ihre wütende Kritik am Beautyregime, über den Körperkult und über den Optimierungszwang, die „Das ewige Ungenügend“ solesenswert macht. „Wieviel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau?“, fragt Saralisa Volm. Am Ende müsse das jede Frau für sich selbst entscheiden. Sie ermutigt, beim morgendlichen Blick in den Spiegel gnädiger mit sich zu sein und plädiert für ein entspanntes Altern.
Weiterführende Links:
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alle abgerufen am 30.06.2023
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Buchbesprechung
Saralisa Volm: Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
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