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Die harten Maßnahmen zur Abwehr der Corona-Pandemie zeigten eine eindrucksvolle Handlungsfähigkeit von Politik und Gesellschaft. Ganz anders sieht unser Umgang mit Klimawandel und Umweltzerstörung aus. Schon lange kennen wir diese Gefahren und wissen, dass wir etwas dagegen tun können. Doch Erkenntnis und Handeln sind zweierlei, Wissen macht noch keine Verhaltensänderung. Sind wir einfach nur Ignoranten und Egoisten? Warum schaffen wir es nicht, die Weichen zum rücksichtsvollen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten umzulegen? Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek in Salzburg, untersucht die Bedingungs- und Gelingensfaktoren für nachhaltiges gesellschaftliches Lernen.
Wann und wie erkennen Gesellschaften die Zeichen der Zeit und gehen drängende Herausforderungen an? Zur Antwort auf diese Kardinalfrage nutzt Holzinger Erkenntnisse der Transformationsforschung, der Wachstumskritik und der Psychologie. Dabei legt er eine Reihe systemisch bedingter Handlungsbarrieren frei.
Diese Reaktionsmuster sind nicht die einzigen Hindernisse für ein verantwortungsvolles Umwelthandeln. Hinzu kommen wirkmächtige Tiefenstrukturen der Konsumgesellschaft: Die Wissenschaft spricht vom „Konsumdispositiv“ (Gabriele Sorgo), welches dem modernen Kapitalismus eingeschrieben sei. Dieser produziere nicht nur Dinge, die wir brauchen, sondern versorge uns mit einem nie versiegenden Angebot an Erlebnissen und Glücksversprechen. „Da wir Erlebnisse aber nicht wirklich kaufen können, wollen wir Enttäuschungserfahrungen durch immer neue Angebote entfliehen“, argumentiert Studienautor Holzinger. Mit gravierenden Konsequenzen: Eine Spirale des Begehrens befeuere den Wachstumszwang des Kapitalismus und führe zu Raubbau und Umweltzerstörung. Als soziale Wesen stünden wir in stetem Vergleich mit anderen, verschafften uns Selbstbestätigung, Erfolg und Status durch Konsum. So sei der Einzelne gefangen in den „Tretmühlen des Glücks“ (Mathias Binswanger).
Als allgemeinstes Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung nennt Holzinger die Anleitung insbesondere junger Menschen zu einem ökologisch verantwortungsvollen Verhalten. Somit schließt Bildung eine umweltpolitische Aufklärung ein, die über das bloße Wissen um Treibhausgase, regenerative Energien und weltweite Fertigungsketten hinausgeht. Sie sollte die oben genannten Handlungsbarrieren adressieren, um das eigene Verhalten fundiert reflektieren zu können. Daran schließen sich umfassende politische und ökonomische Erörterungen an: nach der ökosozialen Marktwirtschaft, nach neuen Technologien für die Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende, dem Nutzen von Sharing- und Repair-Modellen und der Machbarkeit neuer Formen sozialer Grundversorgung wie dem bedingungslosen Grundeinkommen.
Ökologisches Verhalten appelliert an den Einzelnen, doch das alleine reicht nicht. Tatsächlich haben Aufforderungen wie „Sei du die Veränderung, die du dir wünscht“ ihre Berechtigung, weil sie den eigenen Argumenten mehr Glaubwürdigkeit verschaffen. In Summe zähle jedoch nur das Verhalten aller, gibt Holzinger zu bedenken. „Wenn sich alle ein Stück weit nachhaltiger verhalten, verbessert das die Nachhaltigkeitsbilanz bedeutend mehr als durch einige 100-Prozent-Ökos.“
Hier kommt erneut die Nachhaltigkeitsbildung ins Spiel – mit einer systemischen Sicht. Das Handeln bedarf allgemeinverbindlicher politischer Rahmenbedingungen. Ansonsten heißt es leichthin: „Wenn nur ich aufs Autofahren verzichte, verringere ich lediglich den Stau für andere.“ Dazu Holzinger: „Gemeingüter wie das Klima können eben nur geschützt werden, wenn sich die Regeln für alle ändern. Das gilt für uns Bürger ebenso wie für Unternehmen und Staaten.“
Holzinger legt der nachhaltigen Bildung sein fünfstufiges Modell für ökologisches Verhalten zugrunde: vom Wissen über das Sollen und Wollen bis zum Können und Müssen. Wissen, Sollen und Wollen hängen stark von Bildung, Kultur und Werte bildenden Instanzen ab. Die vierte und fünfte Stufe zielen auf praktische Ergebnisse. Das Können meint die Kompetenz zu nachhaltigem Verhalten sowie die äußeren Voraussetzungen dazu (physisches Angebot, z. B. Öffentlicher Nahverkehr). Das Müssen wird von politisch beschlossenen gesetzlichen Verpflichtungen bestimmt.
Erst durch ein konsistentes politisches Rahmenwerk lasse sich nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren realisieren, unter anderen durch ein System von Anreizen und Sanktionen, sagt Holzinger. Insgesamt gehe es darum, attraktive Alternativen zu entwerfen und sich über die notwendigen Maßnahmen öffentlich zu verständigen.
Zentraler Antrieb dahin ist Holzinger zufolge die nachhaltige Bildung. Sie reflektiert die psychologischen und gesellschaftlichen Strukturen, die Nachhaltigkeit verhindern und fördern. Bildung bedeute vor allem, „die richtigen Fragen zu stellen. Bildung für nachhaltige Entwicklung wird damit wesentlich zu demokratie- und wirtschaftspolitischer Bildung.“
Hans Holzinger: Wann lernen Gesellschaften?
Gelingensfaktoren und Barrieren für gesellschaftlichen Wandel im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung.
JBZ-Arbeitspapier 49. Salzburg, 2020. 46 Seiten, Download
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