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Eindringlich hat der Weltklimarat in seinem Abschlussbericht vor den Auswirkungen des Klimawandels gewarnt und ebenso rasche wie drastische Maßnahmen gefordert. Diese betreffen auch den Gesundheitssektor, dessen Anteil an den deutschen Treibhausemissionen rund 5 Prozent beträgt. Doch wie schätzt die Branche ihr eigenes Handeln ein, und was unternimmt sie konkret, um die Klimaneutralität voranzubringen? Diesen Fragen geht eine aktuelle Studie der BARMER und des F.A.Z.-Instituts nach.
Die Verfasser*innen der Studie sehen das Gesundheitswesen nicht nur aufgrund des hohen Treibgasausstoßes und Ressourcenverbrauchs in der Verantwortung. Hinzu kommen die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, wie etwa zunehmende und intensivere Hitzewellen. Diese könnten „die Zahl der jährlichen Hitzetoten drastisch erhöhen und das Gesundheitssystem zusätzlich belasten“, lautet die Sorge.
Zu einer vergleichbaren Bewertung kam der 125. Deutsche Ärztetag im November 2021. Im Rahmen ihrer Beratungen zum Thema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ verwiesen die Delegierten auf die ärztliche Pflicht, sich für eine intakte Umwelt als Basis für gesunde Lebensbedingungen einzusetzen und verlangten eine „nationale Strategie für eine klimafreundliche Gesundheitsversorgung“. In diesem Zuge wurden die Bundesländer dazu aufgefordert, Sonderfonds für den Bau einer klimaneutralen Infrastruktur zu schaffen. Alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen sollten die notwendigen Maßnahmen bis zum Jahr 2030 „zielstrebig, konsequent und zeitnah“ umsetzen – so der Appell.
In diesem Zusammenhang ist auf auch auf den „Klimapakt Gesundheit“ hinzuweisen. Diesen hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände im Dezember 2022 mit dem Ziel unterzeichnet, den Klimaschutz weiter zu verbessern.
Nachdem der Klimawandel innerhalb des Gesundheitssektors lange Zeit unter dem Radar blieb, erhält das Thema inzwischen mehr Aufmerksamkeit, konstatieren die BARMER und das F.A.Z.-Institut. Zugleich wird eine eher geringe Eigeninitiative der Gesundheitsbranche moniert.
Wie die Befragung von 551 Akteur*innen ergab, haben sich inzwischen 46 Prozent der Organisationen mit strategischen Überlegungen zu einem verbesserten Klimaschutz beschäftigt.
Zu den Befragten gehören Praxen, Krankenkassen, Kliniken, Apotheken/Sanitätshäusern sowie der medizinischen und pharmazeutischen Industrie. Deren Engagement fällt allerdings sehr unterschiedlich aus.
Fast drei Viertel der Vertreter*innen aus der medizintechnischen und pharmazeutischen Industrie haben sich bereits mit dem Thema befasst. Dies gilt jedoch nur für 38 Prozent der Praxen und für rund die Hälfte der befragten Krankenkassen und Apotheken. Lediglich 47 Prozent der Kliniken haben sich schon mit der Thematik beschäftigt, obgleich der Ressourcenverbrauch in diesem Bereich besonders hoch ausfällt. „Umso erstaunlicher ist, dass sich knapp ein Drittel der Krankenhäuser, Rehakliniken und Pflegeeinrichtungen noch gar nicht damit auseinandersetzt“, urteilen die Autor*innen.
Dass der Weg hin zur Klimaneutralität offenbar noch weit ist, zeigt sich laut der Studie insbesondere durch eine bislang unzureichende strategische Implementierung von Maßnahmen (u.a. durch eine Sensibilisierung/Fortbildung der Mitarbeitenden, Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts, Berechnung des CO²-Fußabdrucks). Lediglich 11 Prozent der Befragten rechnen damit, das Ziel eines klimaneutralen Gesundheitswesens bis zum Jahre 2030 – analog zur Forderung des 125. Ärztetages – zu erreichen.
Dennoch bewertet ein Viertel der Befragten den aktuellen Beitrag der eigenen Organisation zur Reduktion von Treibhausgasen als sehr groß oder groß, wie die Forschenden verwundert registrieren. Fast ein Drittel ist der Ansicht, der aktuelle Beitrag des gesamten Gesundheitssektors sei sehr groß oder groß.
Allerdings seien nicht allein die Treibhausgase das Problem, sondern auch der Verbrauch an Rohstoffen. Die Studie stützt sich bei diesem Befund auf Erkenntnisse des Fraunhofer-Instituts für System und Innovationsforschung (ISI). Danach kommt der Gesundheitssektor auf einen jährlichen Rohstoffkonsum von 107 Millionen Tonnen, was einem Anteil von 5 Prozent des Gesamtverbrauchs in Deutschland entspricht.
Angesichts der komplexen Materie und der zahlreichen Herausforderungen ist für die Verfasser*innen klar: dieser Aufgabenbereich gehört in die Hände spezialisierter Fachkräfte. 27 Prozent der befragten Organisationen haben bereits Klimaschutzbeauftragte eingestellt oder sogar eine Fachabteilung installiert. Ein Drittel plant entsprechende Schritte, während sich 30 Prozent noch nicht mit einer solchen Option befasst haben.
Der Handlungsbedarf dürfe sich allerdings nicht nur auf die eigene Organisation beschränken. Die Wertschöpfungs- und Lieferketten sowie Therapien und Angebote müssten ebenfalls klimafreundlicher gestaltet werden. „Diese Erkenntnis ist in den Einrichtungen des Gesundheitssektors bislang nur stellenweise angekommen“, so der Befund der Forschenden.
Als weiteres Aktionsfeld wird die energetische Sanierung der Gebäude identifiziert, in die – der Studie zufolge – schon 39 Prozent der Organisationen investiert haben. „Aufgrund komplexer Finanzierungsfragen und stellenweise auch Eigentumsverhältnisse ist die Umsetzung jedoch oftmals problematisch.“
Was die ökonomischen Anreize betrifft, erkennen die Verfasser*innen ein grundsätzliches Problem: Etwas mehr als die Hälfte der Organisationen nennt „mangelnde finanzielle Mittel beziehungsweise den Zweifel an der Rentabilität als Hindernis für den klimaneutralen Betrieb.“
Hier ist nicht zuletzt die Politik gefragt. „Nachhaltigkeit sollte Grundbedingung des Verwaltungshandelns sein und im Sozialgesetzbuch verankert werden“, sagt Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER.
Die Studie rät den Akteur*innen außerdem, verstärkt zu kooperieren und Erfahrungen auszutauschen. Mit Hilfe von „Sektorinitiativen“ und einer abgestimmten Agenda könne es gelingen, die nachhaltige Transformation zu beschleunigen.
F.A.Z.-Institut/BARMER: Klimaneutraler Gesundheitssektor. Meilensteine auf einem langen Weg, November 2022.
Download
Weiterführende Links:
www.tagesschau.de/wissen/klima/ipcc-bericht-103.html
www.isi.fraunhofer.de/de/presse/2021/presseinfo-02-ressourcenschonung-im-gesundheitssektor.html
alle abgerufen am 25.04.2023
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