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DVA 2018, 260 Seiten, 25,- €, ISBN 978-3-421-04809-7
Reinhard K. Sprenger schreibt seit gut 30 Jahren Management-Bücher, einige wurden Bestseller. Stets konstruktiv und optimistisch, meist gespickt mit Zitaten von Dichtern und Denkern. Seine immer wiederkehrenden Themen: Führung, Motivation, Orientierung. Der promovierte Philosoph setzt sich für Werte wie Freiheit, Würde, Vertrauen, Selbstvertrauen ein und er hat die rare Fähigkeit, griffig, verständlich und locker zu formulieren. Auch in seinem neuen Buch „Radikal Digital“ schreibt er wieder „gegen den Managementzeitgeist“, wie es die ZEIT ausdrückt. Für Sprenger fördert die digitale Technik paradoxerweise das wieder zutage, was die industrielle Technik lange unterdrückt hat: den Menschen. Für den in Essen geborenen Berater von DAX-100-Unternehmen stehen Menschen immer an erster Stelle.
Der Titel „Radikal Digital“ klingt sperrig und macht zunächst ratlos. Bereits vor vier Jahren plädierte Reinhard Sprenger (64) in „Radikal führen“ für ein Umdenken und nannte das Buch im Wirtschaftsmagazin Brand eins „mein Opus magnum“: Gemeint ist konsequent zu handeln, mit Freude zu experimentieren oder zu diskutieren – und möglichst radikal konfliktfähig zu sein. „Was dieses Thema angeht, gibt es für mich nichts mehr zu sagen. Jetzt spiele ich wieder mit dem Wort radikal, gemeint ist Radix, die Wurzel, der Ursprung. Die Wurzel der Digitalisierung ist der Mensch“, erläutert Reinhard Sprenger im Gespräch mit unserer Autorin.
„Befreit von hochautomatisierten Arbeiten, könnten sich die Menschen wieder auf das Wesentliche konzentrieren.“ Sprenger ist zutiefst davon überzeugt: Wenn die geburtenstarken 1950er- und 1960er-Jahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen, werden mehrere Millionen Arbeitskräfte fehlen. „Die Digitalisierung wird den zu erwartenden Fachkräftemangel lindern. Insgesamt können wir uns freuen“, sagte er dem Wirtschaftsforum (2018). Man wird Arbeitsplätze aus Schwellenländern in Industriestaaten zurückverlagern, weil intelligenter Einsatz der Mensch-Roboter-Kooperation die Billiglohnländer unattraktiv macht.“ Die vielbeschworene technologische Revolution ist für den Philosophen somit in Wirklichkeit verbunden mit einem sozialen Umbruch.
Bereits in der lesenswerten Einleitung stellt der Autor einiges klar: Das Buch ist kein Ratgeber nach dem Motto „Wie digitalisiere ich mein Unternehmen in vier Wochen?“ Es geht dem Berater vielmehr darum aufzuzeigen: Was muss Führung tun, um Digitalisierung zu ermöglichen? Dazu hat Sprenger immer wieder etwas publiziert, jetzt bündelt er in seinem Buch ganz pragmatisch „verstreute Fundstücke“, wie er es nennt. „Viele Vorschläge sind nicht neu, aber trotzdem kein bisschen veraltet.“ Im Grunde variiert und präzisiert Sprenger in all seinen Büchern mit analytischer Schärfe einen seiner Grundgedanken: Unternehmen werden künftig nur erfolgreich sein, wenn sie motivierte und eigenständige Mitarbeiter als Individuen und Vertrauenspersonen schätzen.
„Keiner kann sich über Algorithmen differenzieren. Technik ist ein großer Gleichmacher“, erläutert Sprenger. Während die Digitalisierung in der Wirtschaft oft mit der Installation technischer Prozesse gleichgesetzt wird, sieht Sprenger – wie könnte es anders sein – vor allem die Chancen. Das Allgemeine und Effiziente tritt für ihn in den Hintergrund. Stattdessen kommt das Besondere und Effektive hervor. Die digitale Technik bringt zur Geltung, was die industrielle Technik beim Menschen vernachlässigt hat: Sein Fingerspitzengefühl, seine Urteilskraft, seine Intuition werden stärker denn je gebraucht. Das radikal Neue ist für Sprenger die Wiedereinführung des Menschen in die Unternehmen. „Menschen mit ihren spezifischen Fähigkeiten sind ein ganz wesentlicher Teil des Erfolgs.“
Für Sprenger ist es kein Zufall, dass „Einhörner“ wie Amazon oder Google aus dem Silicon Valley am entschiedensten gegen Donald Trumps Pläne protestiert haben, auch qualifizierte Einwanderung zu beschränken. Diese Firmen wissen, ihr wichtigster Treibstoff ist nicht die Technik. „Weil der Mensch den Unterschied macht“, heißt es folgerichtig im Untertitel von Sprengers aktuellem Buch. Viele deutsche Unternehmen haben die Digitalisierung verschlafen, einige werden wohl demnächst amazoned werden, wie in den USA gekalauert wird. Die von amerikanischen Unternehmen dominierte IT-Branche dringt in alle Industrien vor und trennt durch ihre Onlineplattformen etablierte Hersteller von den Kunden, schreibt Sprenger.
Viele deutsche Unternehmen agieren nach dem Motto: Unsere Auftragsbücher sind voll, weshalb sollten wir etwas ändern? Allein VW hat im vorigen Jahr so viel Autos wie noch nie verkauft, selbst die als kriminell eingestufte „Schummelsoftware“ änderte nichts daran. Also wird Althergebrachtes konserviert und als IT-Feigenblatt eine nette Service-App entwickelt. Oder es gibt die Büro-Akte in digitaler Form plus ein bisschen crossmediale Arbeit. Für Sprenger ist das ein falsches Verständnis des Entwicklungsweges. „Zu langsam, zu unentschieden, zu zögerlich.“
Laut Sprenger befindet Deutschland sich in der zweiten Phase der Digitalisierung, die vor gut zehn Jahren begonnen hat. Der Exportweltmeister zehrt von altem Ruhm. Aber das ganz Wesentliche ist die Verbindung zwischen den Kunden und den Unternehmen über die Plattformen. Genau das fehlt den „präzisen, detailverliebten Deutschen“, analysiert Sprenger und bringt es auf den Punkt: „Nur wer das Alte retten will, kommt auf die Idee, Abgaswerte zu manipulieren.“ Um die Digitalisierung sinnvoll voranzutreiben, fordert Sprenger die Wiedereinführung der drei Ks: Kunden, Kooperation und Kreativität. Sprenger nennt es „strategische Dreifaltigkeit“. Jedes einzelne dieser drei Ks hat für den Berater die Kraft, Unternehmen radikal zu transformieren.
Reinhard Sprengers zutiefst humanes Menschenbild ist im Wesentlichen geprägt von seiner Lebenserfahrung und von Kontrasten, erzählt er mit leichtem Ruhrgebietsakzent. Besonders geformt habe ihn das erzkatholische Elternhaus in Essen und das Ruhrgebiet, wo er bis vor zwölf Jahren gelebt hat. Von den Menschen mit ihren vielen Umbrüchen lernte er: „Klares Denken erzeugt klares Sprechen erzeugt klares Handeln.“
Beeinflusst habe ihn der Zivildienst in einer chirurgischen Intensivstation, wo er Sterbende begleitet hat, und seine Wut während der neunmonatigen Arbeitslosigkeit in den 90er Jahren. „Viel gelernt zu haben, engagiert, leistungsbereit zu sein und keiner will einen haben.“ Das habe lange nachgewirkt. Heute nennt die Financial Times Sprenger zu Recht „den einzigen deutschen Management-Guru, der diesen Titel auch verdient“.
Sprenger hat in Bochum und Berlin Geschichte, Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft und Sport studiert – und wollte doch Berufsmusiker werden, am liebsten Gitarrist bei der US-Legende Jackson Browne. Seine Essener Band „Okay“ wurde 1982 von Tina Turner als Vorband gebucht, Sprenger machte mit Herbert Grönemeyer in Bochum Musik am Schauspielhaus. Die Neue Deutsche Welle beendet jedoch 1982 die Karrierepläne. Mittlerweile lebt der vierfache Familienvater im schweizerischen Winterthur, probt weiter mit seiner Bluesrockband „Sprenger“ in Essen. 2004 hat er die wichtigsten Gedanken aus seinem Longseller „Die Entscheidung liegt bei Dir“ in Lieder verwandelt und als CD „EigenSinn“ herausgebracht. Hörenswert sind die von ihm selbst gesungenen Songs „Samariter-Blues“ oder „Ich bin so frei.“
Diese Vielseitigkeit spiegelt sich auch in Sprengers radikalen Texten wieder. „Zentrale Gedanken meiner Werke habe ich später bei Friedrich Nietzsche gefunden. „Alle Befriedigung liegt im Kontrast“– bei dem Satz war ich ganz sicher, der ist von Goethe. „Ich kann es kaum glauben, der Satz ist von mir“, sagt Sprenger und lacht vergnügt. Für ihn sind kleine und mittlere Unternehmen aus der Provinz die Stars von morgen. Er empfiehlt keine Niederlassungen in Tel Aviv, London oder Berlin aufzumachen, sondern in Bristol, Bordeaux oder Essen. Einer der Gründe: Große Städte lenken zu sehr ab, Kreativität entsteht am Rand.
Diesen Sommer zieht Sprenger mit seiner Familie für ein Jahr nach Santa Fé in New Mexico. Hier an seinem Zweitwohnsitz entstanden viele seiner Bücher, ein ursprünglicher Landstrich, in den er sich nach dem Roadmovie „Easy Rider“ verliebt hat. Die Flüge sind gebucht, die Söhne bereits an der US-Schule angemeldet. Diese unangepasste Neugier aufs Leben findet sich auch in einem seiner Lieblingssätze: Jeder solle tun, was er am besten kann und womit er freiwillig seine Zeit verbringen würde. Die Hopi-Indianer, bei denen er von 1992-1997 regelmäßig vorbeischaute, nennen es: „Jeder Mensch hat seinen eigenen Traum“.
Der Untertitel „Führungsrezepte“ täuscht. Es sind keine Rezepte nach dem Motto „Man nehme...“. Spannend wird es in den 111 Unterkapiteln, wenn es ins Detail geht. Für Führungskräfte sicher keineswegs immer leicht zu akzeptierende Gedanken über Nächstenliebe, Arbeitsteilung, offenen Grenzen, Kannibalen oder Alt und Jung, die sich gut vor dem Einschlafen lesen lassen. Dann wirken Sprengers wohldurchdachte und provokante Stücke im Unbewussten nach. Sie sind inspirierend, gut beobachtet und mit viel Lebenserfahrung gewürzt. Ein Buch, das Lust machen will auf die Digitalisierung, die schneller auf die Unternehmen zukommt, als manchem lieb ist.
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