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Reinhard K. Sprenger (68) schreibt seit fast 40 Jahren Bücher übers Management, einige wurden Bestseller. Stets konstruktiv und optimistisch, meist gespickt mit Zitaten von Dichtern und Denkern. Seine immer wiederkehrenden Themen: Führung, Motivation, Orientierung. Diesmal setzt sich der promovierte Philosoph zwar auch wieder für Werte wie Freiheit, Würde, Vertrauen und Selbstvertrauen ein, nimmt dabei allerdings erstmals das Familienmanagement in den Blick. Sprenger hat über das Elternsein im 21. Jahrhundert einen Erziehungsratgeber geschrieben. Der Management-Coach mahnt in „Elternjahre. Wie wir mit Kindern leben, ohne uns selbst zu verlieren“: Elternwohl geht vor Kindeswohl. Unsere Autorin Maicke Mackerodt wollte wissen, ob er Ähnlichkeiten zwischen Familien und Unternehmen sieht.
Es gibt für Sprenger durchaus einige Parallelen, aber nur im weitesten Sinne. Für den vierfachen Familienvater hat das Führen von Kindern im Grunde kaum etwas mit dem Führen von Mitarbeitern zu tun. Ganz im Gegenteil. Ihn habe Anfang der 80er Jahre die Infantilisierung von erwachsenen Mitarbeitern eher zornig gemacht. Man sei immer von der Lenk- und Hilfsbedürftigkeit des „Mitarbeiter-Kindes“ ausgegangen, anstatt dass Führungskräfte in ihren Mitarbeitern Menschen sehen, denen sie Erwachsensein zutrauen. Mit seiner eigensinnigen Haltung mischte er vor fast 40 Jahren nicht nur die Management-Etagen auf – so sei auch sein Ursprungsmantra entstanden, schreibt der Autor: „Wir haben in Unternehmen keinen Erziehungsauftrag. Erziehung ist Führung; aber Führung bedeutet nicht Erziehung.“
Obwohl er als profilierter Führungsexperte und Personalentwickler immer wieder auf diese Unterschiede hingewiesen hat, haben ihn über all die Jahre viele Managerinnen und Manager gebeten, vielleicht doch mal ein Buch über Kindererziehung zu schreiben. Es gäbe doch sicher viele Ähnlichkeiten? Für ihn sei aber die Übertragung des Familiensystems auf die Unternehmensführung grundsätzlich problematisch, schreibt Sprenger. Fürsorge, Liebe, Obsorge – das gehört in die Familie und nur sehr abgeschwächt ins Unternehmen, obwohl der Trend in Firmen dorthin geht. „Für mich ist das übergriffig. Im Unternehmen haben wir eine Leistungspartnerschaft, in Familien hingegen ist Geben und Nehmen keine ausbalancierte Rechnung“, sagt Sprenger dem österreichischen Kurier.
Flache Hierarchien, als Freunde miteinander arbeiten, möglichst alle auf Augenhöhe: Gilt das nicht für Familien und Firmen gleichermaßen? Sowohl in Unternehmen als auch gegenüber Kindern ist es für Sprenger eine falsche Idee. „Wir sind gegenüber Kindern immer Eltern, diese Beziehung ist immer asymmetrisch. In Unternehmen kann die Leistungspartnerschaft zwar freundlich sein, aber wir sind keine elf Freunde. Von Teammitgliedern, die nicht mitspielen, muss man sich trennen können“, sagte er dem Schweizer Blick. „Kinder hingegen können Geben und Nehmen nicht ausgleichen: Bis zu einem gewissen Alter bin ich permanent im Geben.“
Eine wichtige Parallele sieht der Großvater von vier Enkeln dagegen zwischen dem Führen von Erwachsenen und dem Zusammenleben mit Kindern. Sie weist auf seine frühe Erkenntnis hin: „Übertriebene Fürsorge hält Menschen klein. Das gilt gegenüber Erwachsenen im besonderen Maße, aber schon relativ früh für Kinder“, schreibt Sprenger. Sein Credo: Kinder brauchen Eltern, keine Beziehungsexperten.
„Ein Kind, wohlerzogen und schulisch brillant, ist für viele Eltern eine Trophäe auf der Jagd nach Besonderem, mit denen man sich von der Masse abheben will“, schreibt Sprenger pointiert, beinah zynisch über das moderne Eltern-Sein. Früher wurden Kinder eher nebenbei und unabsichtlich selbstständig, heute ist der Nachwuchs zum „Projekt“ geworden, dass sorgfältig geplant wird. Ein glückliches Kind zu haben reicht nicht mehr, es muss beim Vergleich deutlich besser abschneiden. In vielen Familien sei das Kind zu einer „Ego-Prothese“ für Eltern geworden.
„Das Kind ist das neue Heiligtum“, beobachtet Sprenger. Die Eltern gucken zum Kind hoch, wollen es permanent optimieren. Sprenger hält dies für problematisch. Nur das Kind selbst könne später herausfinden, was für es das Richtige ist. „Die Lektüre dieses Buchs soll Eltern helfen, destruktive Ansprüche von sich fernzuhalten und das Kind mehr zu genießen, anstatt es dauernd nach vorne zu werfen“, wünscht sich der Autor im „Blick“.
Beim „familiären Anstrengungsprogramm“ geraten Eltern nicht nur in die Falle, sich als Person und als Paar zu verlieren, sondern geben sich aus Sprengers Sicht womöglich viel zu viel Mühe. „Die Familie mutiert zum Trainingslager für kindlichen Steigerungsstress“, schreibt er in der Neuen Züricher Zeitung. So schaden Eltern nicht nur dem Kind, sondern kümmern sich auch viel zu wenig um sich selbst als Paar, erklärt der Autor gebetsmühlenartig immer wieder. Und das verwandele Elternjahre in eine Zeit des Ungenügens.
In der andauernden Anstrengung, möglichst perfekte Eltern zu sein, werde die Leistung des Kindes zur Leistung der Eltern. Damit es klappt, wird bisweilen ein Vermögen für Fördermaßnahmen ausgegeben. „Spätestens seit #regrettingmotherhood wissen wir, Elternjahre sind nicht für alle eine Bullerbü-Idylle, sondern sind ein Hochrisikogebiet für Paare“, so Sprenger in der Neuen Züricher Zeitung.
Sie laufen Gefahr, sich ganz und gar an den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren. Die Crux dabei: Wenn man „nur noch Eltern“ ist, ist nicht zu erwarten, dass eine solche Beziehung das Paar durchs Leben trägt, betont der Autor. Wenn alles andere nicht mehr wichtig ist, läuft etwas grundlegend falsch. „Alle Erfahrung zeigt: Elternpaaren geht es am besten, wenn die Liebesbeziehung für sie vorrangig ist“, schreibt Sprenger. Wobei es nicht darum geht, sich zwischen Elternwohl und Kindeswohl zu entscheiden. Für den Autor hat das Elternwohl die älteren Rechte. Nach der simplen Formel: Geht es den Eltern gut, geht es auch dem Kind gut.
Der gebürtige Essener lebt mit seiner Partnerin, der Mutter seiner Kinder, abwechselnd an seinem Zweitwohnsitz in Santa Fee in New Mexico und seit 2006 in Winterthur. „Ich bin in die Nähe der Großeltern gezogen, um uns als Paar zu entlasten. So konnten wir regelmäßig Wochenenden zu zweit verbringen, uns daran erinnern, dass es mal Gründe gab, ein Paar zu werden – jenseits des Kinderwunsches“, so Sprenger im Spiegel. Letztlich geht es für den Autor „um eine innere Haltung, dass wir als Paar eine Zukunft haben wollen.“ Er habe es geschafft durch Rollentrennung: „Mann und Vater ist nicht dasselbe.“ Raus aus der Alltagsroutine sei für ihn wichtig, so probt er seit vielen Jahren weiter mit seiner Bluesrockband „Sprenger“ in Essen. „Man braucht Distanz, um für den Partner attraktiv zu bleiben, so freut man sich neu auf das Wiederbegegnen.“ Dies sei das Thema, mit dem sein Buch aus der Flut der Erziehungsratgeber heraussteche, sagt er: Beziehungspflege.
Die drei wichtigsten Tipps des Autors für entspanntes Elternsein. Erstens: Sich selbst nicht vernachlässigen, im Sinne „Elternwohl geht vor Kindeswohl“. Zweitens: Kinder nicht allzu sehr verhätschelt, dass sie einen Realitätsschock bekommen, wenn sie den Familienkokon verlassen und in das Berufsleben eintreten. Kinder sollten zudem lernen, dass nicht immer alles nur großartig ist, sondern scheitern zum Leben dazugehört. Der dritte Tipp ist Reinhard Sprenger der allerliebste: „Die Tage mit Kindern mögen lang sein, aber die Jahre mit Kindern sind kurz.“ Und das ist auch der Schlusssatz von „Elternjahre“. „Was ich damit meine: Genießen Sie die Zeit mit Ihrem Kind. Das kommt mir heute viel zu kurz bei diesem dauernden Bestreben, irgendwelche Ziele zu erreichen“, so Management-Coach in der Rheinischen Post.
Der Einfluss der Eltern auf die Erziehung ist gering, notiert Sprenger in seinem wirklich lesenswerten „Elternjahre“. Inspirierend, über 30 Jahre gut beobachtet und mit viel Lebenserfahrung beschreibt der Philosoph, dass Eltern seiner Meinung nach eher dazu dienen sollten, die Entwicklung des Kindes zu steuern. Die meisten Elternratgeber blicken dagegen meist nur „starr“ auf das Kind. „Was völlig herausfällt, ist, dass es auch den Eltern gut gehen muss.“ Mit feinem Humor und klarem Blick für das Wesentliche belegt Sprenger einleuchtend seine These: Das Elternwohl ist die Voraussetzung für das Kindeswohl. Was Kinder dabei immer brauchen, sind klare Regeln, Grenzen und Ansagen. Nur so entsteht die nötige Berechenbarkeit und Orientierung, die Kinder als Konstante benötigen.
Autorin: Maicke Mackerodt
Weiterführende Links (teilweise hinter der Bezahlschranke):
Neue Züricher Zeitung vom 04.11.2022
alle abgerufen am 11.01.2023
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