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Wie sollte berufliche Bildung in Zeiten eines wachsenden Fachkräftemangels aussehen? Was ist zu tun, um junge Menschen bestmöglich auf eine sich ständig verändernde Arbeitswelt vorzubereiten? Fragen wie diese stellen sich in vielen Berufszweigen, und ganz besonders in der Pflege. Mit einem ganzheitlichen Konzept hat das Regionale Berufliche Bildungszentrum (RBB) Müritz in Mecklenburg-Vorpommern eine Antwort darauf gefunden. Statt Theorie und Praxis zu trennen, wird der Unterricht handlungs- und zugleich zukunftsorientiert gestaltet. Dafür wurde das RBB als Hauptpreisträger des Deutschen Schulpreises 2022 ausgezeichnet, den die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung in Zusammenarbeit mit der ARD und der ZEIT Verlagsgruppe jährlich vergeben.
Derzeit nehmen 1.500 Schüler*innen das berufsschulische Angebot des RBB an den Standorten Waren und Malchin wahr. Sechs Fachbereiche wurden bislang aufbaut. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, das Abitur durch den Besuch des Fachgymnasiums zu erwerben oder ein Berufsvorbereitungsjahr zu absolvieren. „Wir bilden für den Arbeitsmarkt der Zukunft aus!“ So lautet der Leitsatz, dem sich das 71-köpfige Kollegium der staatlichen Berufsschule verpflichtet fühlt. Was damit gemeint ist, wird am Beispiel des Fachbereichs „Gesundheit und Pflege“ auf eindrucksvolle Weise sichtbar. In Waren, der Hauptstelle des RBB Müritz, lassen sich aktuell 80 Schüler*innen als Medizinische Fachangestellte bzw. Zahnmedizinische Fachangestellte ausbilden. 170 Schüler*innen absolvieren die Ausbildung als „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“ – erfreulicherweise mit steigender Tendenz.
Bekanntlich kommt es in der Akut- wie auch in der Langzeitpflege aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse immer wieder zu stressigen Situationen. Doch im Notfall muss jeder Handgriff sitzen. Alle erforderlichen Fertigkeiten einschließlich der Abläufe üben die angehenden Fachkräfte zunächst in einem Skill-Labor. Grundpflegerische Aufgaben, wie das Waschen, gehören ebenso dazu wie die Blutdruckmessung, Blutabnahme oder ein Verbandswechsel.
Anschließend erproben sie das Gelernte in einem Simulationslabor, kurz SimLab. Dort müssen die Schüler*innen zeigen, was etwa im Falle eines plötzlichen Herzstillstands oder eines Blutdruckabfalls zu tun ist. Damit dabei keine Patient*innen gefährdet werden, führen sie die einzelnen Schritte an sogenannten Patientensimulatoren durch. Es handelt sich um Puppen, deren Materialien dem menschlichen Gewebe nachempfunden sind und über modernste Technik verfügen. Beispielsweise können der Blutdruck oder die Atmung simuliert werden. Die Steuerung übernimmt eine Lehrkraft, die das Geschehen vom benachbarten Regieraum aus durch eine Spiegelscheibe beobachtet. „Das gesamte Szenario wird auf Video aufgezeichnet und später mit den Auszubildenden im sogenannten Debriefing besprochen und reflektiert“, erklärt Abteilungsleiterin Carola Seidel.
Die Schulleitung legt großen Wert darauf, dass die Schüler*innen so selbstständig wie möglich Lösungen für konkrete Aufgaben erarbeiten. Auf diese Weise werden nicht nur Fachkenntnisse erworben, sondern auch Schlüsselqualifikationen, wie Flexibilität, Teamfähigkeit, und Verantwortungsbereitschaft. All das stärkt die Handlungssicherheit und trägt dazu bei, dass Fehler im späteren Berufsalltag vermieden werden. Die Auszubildenden nehmen diese Chance offenbar dankbar an, wie sich einem Video der AG SimLab des Pflegebereiches am RBB Müritz entnehmen lässt: „Ich kann mit einem guten Gefühl in die Praxis starten“, beschreibt eine Schülerin ihre Erfahrung.
Die Finanzierung eines solchen Pflege-Simulationslaboratoriums ist jedoch kostspielig. 90 Prozent der Fördermittel stellte das Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung. Die restlichen zehn Prozent steuerte der Landkreis bei. „Angesichts sich verändernder Anforderungen an die berufliche Bildung muss man die Lernumgebungen anpassen und bei Bedarf weiterentwickeln“, sagt Schulleiterin Birgit Köpnick. Analog zur generalistischen Pflegeausbildung wurde das SimLab daher so ausgestattet, dass pflegerische Maßnahmen nicht nur in einem stationären, sondern auch in einem häuslichen Setting trainierbar sind. Es gibt sogar einen Säuglingssimulator.Technik sei somit keineswegs ein Selbstzweck. „An erster Stelle steht die didaktische Jahresplanung auf Grundlage des jeweiligen Curriculums“, betont Birgit Köpnick. Lehrkräfte und Praxisanleiter*innen kommen regelmäßig zusammen, um das bisher Erreichte kritisch zu hinterfragen und weitere Schritte zu planen. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt haben sie dabei immer im Blick.
Damit der Theorie-Praxis-Transfer gelingt, kooperiert das RBB Müritz zudem intensiv mit den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen aus der Region. Gemeinsam setzt man Projekte um, die konkreten Bedarfen aus dem Berufsalltag entsprechen. Besonders eng ist die Zusammenarbeit mit dem MEDICLIN Müritz-Klinikum. „Unter anderem sind verschiedene Flyer zu pflegeprophylaktischen Maßnahmen für Patienten und Angehörige entstanden, die tatsächlich eingesetzt werden“, berichtet Carola Seidel.
Diese Innovationsfreude hat die Jury des Deutschen Schulpreises 2022 überzeugt. Erstmalig stand die Unterrichtsqualität im Mittelpunkt der Ausschreibung. Die Entscheidung, den mit 100.000 Euro dotierten Hauptpreis des Deutschen Schulpreises an das RBB Müritz zu vergeben, wird mit der hohen Lernwirksamkeit begründet. Jury-Sprecher Michael Schratz: „Obwohl Fachpraxisunterricht in Mecklenburg-Vorpommern nicht vorgeschrieben ist, hat es die Schule geschafft, die praktische Arbeit in erheblichem Umfang in den Unterricht zu integrieren.“
Autorin: Michaela Allgeier
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